Wie den Verbrechen des Faschismus gedenken?

18.05.2020, Lesezeit 5 Min.
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Der Ausspruch „dass Auschwitz nie wieder sei“ scheint deutsche Staatsdoktrin. Adorno forderte, Ziel aller Pädagogik müsse es sein, dass Auschwitz sich nicht wiederhole. Wie kann Gedenken dabei helfen?

Der Regisseur Dror Dayan beschrieb in einem Beitrag 2017 seine Erfahrungen beim Besuch von Ausschwitz. In den Gaskammern nahe der polnischen Stadt wurden mindestens 1,1 Million Juden*Jüdinnen ermordet. Beim Besuch der ehemaligen Konzentrationslager werden aber keine Antworten gegeben. Warum mussten sechs Millionen Menschen ihr Leben lassen? Der Schrecken wird mit Zahlen, Fotos und Berichten erlebbar gemacht. Die Shoa wird als ein schreckliches Ereignis präsentiert, wie ein Unfall der Geschichte, der sich nicht wiederholen darf – als würde man mit Todeszahlen im Straßenverkehr für Airbags, Promillegrenze und Tempolimit werben.

Der liberale Antifaschismus klagt die Regierung an, den Verbrechen des Naziregimes nicht genug zu gedenken. Die Ursachen liegen aber viel tiefer. Hier erklärt sich auch das Unvermögen der deutschen bürgerlichen Regierung die wahren Ursachen für die faschistischen Verbrechen zu nennen, damit Auschwitz tatsächlich „nie wieder sei“.

Der russische Revolutionär Leo Trotzki beschrieb den Faschismus als eine kleinbürgerliche Massenbewegung im Interesse des Großkapitals. Nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg, der Pattsituation nach der Novemberrevolution und dem Vertrag von Versaille war die deutsche Bourgeoisie zu einem Befreiungsschlag gezwungen. Ihren Helden fand sie in Hitler und seiner faschistischen Bande.

Diese kam natürlich nicht ohne Ideologie aus und so musste jemand für das Elend der Massen verantwortlich gemacht werden. Die Sündenböcke wurden im „Weltjudentum“ gefunden. Die faschistische Propaganda unterschied in „schaffendes“ und „raffendes“ Kapital. Dem „guten“ Industriellen wurde der „gierige“ Wucherer entgegengestellt. Dabei bediente man sich antisemitischen Stereotypen aus dem Mittelalter. Man sprach jüdischen Menschen eine genetische Veranlagung zu Wucherei zu. Dies sorge für Not und Elend. Vor allem unter dem verarmten Kleinbürger*innentum und den in Not und Elend Geworfenen verfing sich diese Demagogie. Der „gute“ Kapitalist stand unter der „Zinsknechtschaft“ des gierigen Finanzspekulanten. Dieser fand seine Verkörperung im Judentum.

Ihren Ursprung hatte die Bewegung im Ende des Ersten Weltkriegs. Die Reichkorps, die auch von der SPD zur Niederschlagung von revolutionären Arbeiter*innenaufständen benutzt wurden, bildeten das Fundament des Faschismus. Mit der Dolchstoßlegende machte sie die Arbeiter*innenbewegung für die Kriegsniederlage 1918 verantwortlich. Tatsächlich war die Novemberrevolution ein Aufstand der Arbeiter*innenklasse, die nicht in einem verlorenen Krieg ihr Leben lassen wollte.

Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 konnten weitere Teile der Mittelklassen gegen das Proletariat in Stellung gebracht werden. Es war eine verbreitete Sichtweise, dass Lohnsteigerungen für die Arbeiter*innen für steigende Preise verantwortlich wären, während das „raffende“ Finanzkapital für die wirtschaftlichen Krisen verantwortlich sei.

Es gehört zu den größten Tragödien der Geschichte, dass der deutsche Faschismus siegen konnte, ohne dass eine einzige Kugel fiel. Denn während sich die faschistische Bewegung mit der Wirtschaftskrise stärken konnte, warfen sich SPD und KPD gegenseitig vor, die „wahren Faschisten“ zu sein. Mit der Zerschlagung der Arbeiter*innenbewegung durch die faschistischen Banden war es schon zu spät, um ernsthaften Widerstand zu leisten. Die Führungen der deutschen Arbeiter*innenbewegung schauten hilflos aus der Wäsche und später aus den Gefängnisgittern der Gestapo.

Wie soll man dessen gedenken?

Hieraus wird ersichtlich, weshalb es in Deutschland so schwer fällt, den Verbrechen des Faschismus ernsthaft zu gedenken. Selbst dem Stalinismus fiel es schwer. Er musste seine eigene unrühmliche Rolle beim Sieg des deutschen Faschismus verdecken und sich stattdessen als sein Bezwinger darstellen.

Genauso ergeht es der SPD. Sie prangert zwar an, dass auch sie mit den Gewerkschaften dem Faschismus zum Opfer fiel, aber auch sie kann die Niederlage nicht erklären, ohne sich selbst die Blöße zu geben. Aufgrund ihrer vermittelnden Rolle durch die Gewerkschaftsbürokratie ist sie auch nicht in der Lage, dem deutschen Kapital die Verantwortung zu geben. Stattdessen begnügt sie sich mit der Kollektivschuldthese und dass Ausschwitz nie wieder sei.

An letzter Stelle steht das Kapital selbst. Zwar wird beiläufig immer wieder mal erwähnt, dass alle Unternehmer*innen in der NSDAP waren (wie in der Doku über die Dassler-Brüder), aber in aller Öffentlichkeit wird gerne so getan, als wäre es das gesamte Volk gewesen, um von der eigenen Schuld abzulenken. Stattdessen wird Leuten wie Stauffenberg gedacht, ein Militär, der Deutschland vor der totalen Niederlage bewahren wollte, dessen Attentat auf Hitler 1944 jedoch scheiterte.

Wie soll so eine echte Aufarbeitung in einem kapitalistischen Deutschland stattfinden? Der Geschichtsrevisionismus ist deutsche Staatsdoktrin, nicht jedoch weil man aus der Vergangenheit nicht lernen möchte, sondern weil es eng mit der materiellen Stellung der Bourgeoisie verbunden ist. Soll das Kapital sich selbst entmachten und den Arbeiter*innen ihre Fabriken geben damit „Auschwitz nie wieder sei“?

Die Vorstellung ist utopisch. Wahres Gedenken an die Verbrechen des Faschismus kann nur darin bestehen, eine revolutionäre Strömung innerhalb der Arbeiter*innenbewegung aufzubauen, die ein hegemoniales Programm aufstellt, um auch die Mittelschichten auf seine Seite zu ziehen und sie nicht der faschistischen Demagogie zu überlassen. Das ist die wohl wichtigste Lektion aus dem Sieg des Faschismus.

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