Wer waren die Besetzer*innen auf der Bühne der Rosa-Luxemburg-Konferenz? [mit Video]

14.01.2018, Lesezeit 6 Min.
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Am Abend vor der LL-Demonstration wird die Bühne der Rosa-Luxemburg-Konferenz besetzt. Die Besetzer*innen fordern Solidarität mit den Arbeiter*innen und den fortschrittlichen Teilen der Gesellschaft im Iran. Gegen das islamische Regime. Mit dem Abspielen von "Die Internationale" versuchen die Veranstalter*innen sie von der Bühne zu bekommen.

Der Applaus für die letzte Rede ebbt gerade ab, die nächste wird angekündigt. Auf einmal stehen gut zwei dutzend Menschen auf der Bühne, entrollen ein Transparent: „Nan, Kar, Azadi – Solidarity with resistance of oppressed in Iran“ und fordern das Mikrofon. Sie bezeichnen sich als revolutionäre Marxist*innen und wollen auf die Dringlichkeit der Solidarität mit den Protesten im Iran hinweisen.

„Wir müssen über das Verständnis vom Anti-Imperialismus reden”, so Narges Nassimi, eine der Redner*innen. Weltweit berichteten die Medien in die letzten Wochen über die Proteste im Iran, auch in Deutschland. Das Internet wurde zeitweise gesperrt, Studierende verfolgt, Menschen erschossen. Seit Wochen sind immer wieder tausende Arbeiter*innen auf der Straße. Die Demonstrierenden fordern Brot, Arbeit und Freiheit. Sie streiken! In einem Land, in dem Gewerkschaften verboten sind, stellen organisierte Arbeiter*innen Forderungen auf. Aber anstatt diese Forderungen aufzugreifen, gibt es teils offene Unterstützung für das islamische Regime und Theorien, die die Proteste allein auf westliche Einflussnahme reduzieren. „Aber das“, so Nassimi weiter „ist fatal.“ Zum einen sei eine Unterstützung des islamischen Regimes völlig indiskutabel. Repression durch Behörden als Selbstbewusstsein zu verkaufen, könne man fast schon als Beihilfe zum Mord verstehen. Zum anderen reden auch die bürgerlichen und regimetreuen Medien im Iran von ausländischen Agent*innen. „Das fördert nur den nationalistischen Kontext im Iran. Teheran bleibt mörderisch und neoliberal. Unsere Aufgabe als Marxist*innen in Deutschland ist es, die Forderungen der Unterdrückten und Ausgebeuteten weiter zu tragen, sich mit ihnen solidarisch zu zeigen.“ Die Menschen auf den Straßen Irans fordern die Verbesserung ihrer materiellen Grundlage. „Diese Menschen müssen wir als handelnde Sujekte im Klassenkampf wahrnehmen, das ist unser Fokus. Nicht die rivalisierenden, bürgerlichen Blöcke.“

Nassimi, selbst vor vier Jahren aus dem Iran geflohen, kann die dortige Situation gut einschätzen. Auch sie stand 2009 auf den Straßen und Plätzen, forderte mehr Freiheiten. Als Frau, Kurdin und Marxistin gehört sie zu dem Teil der Bevölkerung, der ständigen Repressionen ausgesetzt war und immer noch ist. Die sogenannte „Grüne Revolution“ verlieh Hoffnung, zumal eine Lockerung der Sanktionen im Raum stand. Von dieser profitierten bisher allerdings nur die Besitzenden. Und so steht sie nun auf dieser Bühne in Berlin.

Der größte Saal der Konferenz ist auch gut gefüllt, die Stimmung allerdings merklich angespannt. Die Veranstalter*innen lassen die Gruppe der Aktivist*innen zunächst weitestgehend in Ruhe, die Security stellt sich gar schützend mit dem Rücken zu ihnen. Während sich im Publikum die Ersten spontan aus den Sitzen erheben, den Besetzer*innen in Solidarität die Faust entgegenstrecken, pfeifen Andere und murmeln verschwörerisch von CIA und Co. Auf der Bühne wird mit „Hoch die internationale Solidarität!“ geantwortet. Wohl wissend, dass ihnen das Mikrofon abgestellt werden könnte, haben sich die kurdischen und iranischen Bühnenbesetzer*innen einen eigenen Verstärker mitgebracht. Sie haben Reden in drei Sprachen vorbereitet: Englisch, Farsi und Deutsch. Das verschafft den fleißigen Dolmetscher*innen der Konferenz eine wohlverdiente Verschnaufpause, zeigt aber auch den Internationalismus, dem sich die Aktivist*innen verpflichtet fühlen. Wer sich hinter die Forderungen von Regionalmächten wie den Iran stelle, der mache den Feind des eigenen Feindes zum Freund. „Das ist kein Anti-Imperialismus, das ist bürgerlicher Pragmatismus!“, ruft Nassimi von der Bühne und erntet Applaus.

Man merkt Nassimi und ihren Mitstreiter*innen ihre Entschlossenheit an. Der Schritt, auf die Bühne der Konferenz zu kommen, ist auch den hiesigen Umständen geschuldet. „Die deutsche Linke hat gar kein Vertrauen an die Kraft der Arbeiterklasse. Weder in Deutschland noch im Iran. Daher werden ihre Kämpfe, Auseinandersetzungen und Aufstände völlig unterschätzt.“ Dementsprechend hielt sich auch die Unterstützung in Deutschland trotz der Berichterstattung in Grenzen. Eine Welle der Solidarität hätte zumindest für eine Verschnaufpause im Kampf gegen die politische und wirtschaftliche Elite Irans bedeuten können. Das Land am Kaspischen Meer ist nämlich alles andere als unwichtig für die deutsche Wirtschaft. „Die Teilnahme deutscher Konzerne an der wirtschaftlichen Entwicklung des Irans bedeutet in unserem Alltag die Foltergeräte und die Ausbeutung als billige Arbeitskräfte.“ Ein Satz, der ausgesprochen wie ein Stich wirkt. Er macht mit einem Mal sehr klar, warum revolutionäre Marxist*innen immer sowohl die einzelnen Auseinandersetzungen wie auch die globalen Zusammenhänge im Auge behalten müssen. Doch er geht unter, in einer sich selbst karikierenden Aktion der Veranstalter*innen, die scheinbar um ihren eigenen Zerfall wissend „Die Internationale“ abspielen, wie um sich von der eben gehörten Kritik mit letzter Kraft rein zu waschen. Viele der Anwesenden stimmen mit ein.

Denkt man genauer darüber nach, ist das schon ein starkes Stück. Das ist einer Konferenz unwürdig, die nach der unvergleichlichen Rosa Luxemburg benannt ist. Auf eine Konferenz im Namen des Internationalismus kann ein Regimevertreter Chinas nahezu unangefochten über die „Zusammenarbeit“ mit afrikanischen Staaten referieren. Iranische Marxist*innen aber, die sich eine Bühne nehmen, weil ihnen vom deutschen Chauvinismus keine Bühne gegeben wird, werden mit dem Singen der Internationalen von eben jener gejagt.

Unten vorm Haupteingang stehen wenig später alle „Ruhestörer*innen“ beisammen. In ihrer Bewertung sind sie sich einig: die Aktion war ein Erfolg, allenfalls das Mikro sei ein bisschen zu leise gewesen. Wie es jetzt weitergehe? Lächelnd antwortet Narges Nassimi: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Morgen sehen wir uns auf der Demo!“


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