„Wenn wir organisiert sind, können uns Arbeitgeber nicht viel anhaben“

11.08.2021, Lesezeit 4 Min.
Gastbeitrag

Nach ihrem Einsatz für gewerkschaftliche Organisierung wurde der Arbeitsvertrag einer Beschäftigten der Coaching-Firma Goldnetz nicht verlängert. Ihre Klage auf Schadensersatz wurde nun abgelehnt, doch die Solidarität macht ihr Mut.

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Archivfoto: Jonas Priester

Knapp 20 Aktivist:innen versammelten sich am vergangenen Dienstag zu einer Kundgebung vor dem Berliner Arbeitsgericht und begleiteten Nuria Schmidt (Name geändert) zu ihrem Prozess. Sie klagte gegen die Goldnetz gGmbH, einen „arbeitsmarktpolitischen Dienstleister“ aus der Hauptstadt, auf Schadenersatz. Der Grund: Ihr befristeter Arbeitsvertrag wurde nicht verlängert. Schmidt war dort als Beraterin zu Bildung und Beruf für geflüchtete Frauen angestellt worden. Die Richterin des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wies nun ihre Klage zurück.

Vor einigen Monaten hatten Nuria und zwei Verdi-Mitglieder bei der Geschäftsführung die Forderung nach einem Tarifvertrag für die haushaltsfinanzierte Bildungs- und Beratungsbranche vorgebracht. Als Reaktion ließ das Unternehmen den dreien in einer Sitzung mitteilen, dass ihre befristeten Arbeitsverträge nicht verlängert würden, wenn sie sich weiterhin für die Kampagne engagierten. So kam es dann. Alle drei verloren ihren Arbeitsplatz.

Reinhold Niemerg, Schmidts Rechtsanwalt, äußerte vergangenen Freitag gegenüber der Jungen Welt (jW): „Befristungen sind Werkzeuge zur Disziplinierung. Die Arbeitgeber können entscheiden, ob sie einen weiteren – befristeten oder unbefristeten – Arbeitsvertrag abschließen wollen, ohne sich hierfür rechtfertigen zu müssen.“ Darauf berief sich Niemerg zufolge Goldnetz in dem Gerichtsverfahren. Der Anwalt vermutet, dass die unterbliebene Weiterbeschäftigung eine unzulässige Maßregelung dafür war, dass Nuria sich gewerkschaftlich engagiert hat.

In der Verhandlung führte die Richterin zugunsten von Goldnetz immer wieder die unternehmerische Entscheidungsfreiheit ins Feld, die ebenso wie die durch die Koalitionsfreiheit geschützte gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit grundrechtlich geschützt sei. Den Einwand Niemergs, dass die von Goldnetz für die Ausübung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit angeführten Gründe offensichtlich vorgeschoben waren, ließ die Richterin nicht gelten. Der Rechtsanwalt bemerkte, dass alle weiteren Mitarbeitenden des vom Berliner Senat geförderten Projekts ihre Arbeit anderweitig bei dem Dienstleister fortsetzen konnten. „Wir sind weiter der Überzeugung, dass Goldnetz vor allem deshalb keine Fortsetzung des Projekts beantragt hat, weil gerade die Mitarbeiter dieses Projekts sich am vehementesten für die Tarifkampagne der haushaltsfinanzierten Bildungsarbeiter des Landes Berlin eingesetzt haben“, so Niemerg.

Ruth Kreuzer, ehemalige Betriebsrätin beim Wombats-Hostel und Unterstützerin der Beschäftigten, sagte am vergangenen Donnerstag im jW-Gespräch: „Der Kampf war trotz des Urteils keineswegs umsonst, denn es ist den Beschäftigten zu verdanken, dass handfeste Skandale in der Branche aufgedeckt wurden und der harte repressive Umgang an die Öffentlichkeit gelangt ist.“ Offenbar zur Einschüchterung wurde gegen Schmidt Strafanzeige wegen Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede gestellt, ohne dass bisher klar ist, auf welchen Sachverhalt sich die Anzeige konkret stützt. Es ist davon auszugehen, dass die Strafanzeige aus dem Umkreis des Unternehmens stammt.

Ob die von der Partei Die Linke geführte Senatsverwaltung (SVW) für Integration, Arbeit und Soziales diese Art Umgang mit den Beschäftigten geduldet oder gefördert hat, kann nicht abschließend beantwortet werden. Eine Recherche von jW ergab, dass die SVW Monate zuvor die Münchener Kanzlei Vielmeyer Rechtsanwaltsschaftgesellschaft mbH, der unter anderem Juraprofessor Volker Rieble als nichtanwaltlicher wissenschaftlicher Berater angehört, als tarifrechtlichen Berater beauftragte. Rieble propagiert im Internet Thesen wie „mehr Spaß ohne Tarif“ und sieht Tariffluchtmöglichkeiten als notwendiges Korrektiv. Erstmals wurde er 2009 durch einen Artikel über die Kassiererin „Emmely“ bekannt, die er als „Straftäterin“ zu denunzieren versuchte. In einer Kolumne trat Rieble gegen eine vermeintlich neue Ausgrenzung politisch rechts Stehender auf, durch die man „Menschen mit falscher Gesinnung Rechte absprechen“ wolle. Rieble ist Mitglied der pflichtschlagenden Verbindung „Corps Rhenania Freiburg“. Nicht nur deshalb war dessen Beauftragung für Tariffragen bei Beschäftigten, die sich unter anderem für Geflüchtete einsetzen, auf Kritik gestoßen.

Und wie resümiert die Exbeschäftigte bei Goldnetz den Prozessausgang? Nuria Schmidt: „Ich hätte mir von einem linken Senat erwartet, dass er Strukturen schafft, in denen die Beschäftigten vor Willkür der Arbeitgeber geschützt sind.“ Der Senat solle Projekte nur an soziale Träger vergeben, die gewerkschaftliches Betriebsengagement nicht sanktionieren. Trotz der Einschüchterungsversuche habe ihr die Solidarität der Mitstreiterinnen und Mitstreiter Mut gemacht. Schmidt: „Wenn wir organisiert sind, können uns Arbeitgeber nicht viel anhaben.“

Dieser Beitrag von Pascal Richter wurde zuerst bei Junge Welt veröffentlicht.

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