Wir trauern um Emmely

04.04.2015, Lesezeit 5 Min.
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// NACHRUF: Barbara „Emmely“ Emme, die Kaiser‘s-Kassiererin, die mit viel Mut für ihre Rechte kämpfte, ist im Alter von 57 gestorben. //

Am 23. März starb Barbara „Emmely“ Emme mit 57 Jahren an Herzversagen. Wir trauern um die mutige Kämpferin, die sich unermüdlich gegen die Ungerechtigkeit auflehnte, die ihr das Management der Supermarktkette Kaiser’s immer wieder antat. Mit ihr verliert die deutsche ArbeiterInnenbewegung eine große Quelle der Inspiration und des Kampfgeistes. Für ihr Erbe wollen wir kämpfen.

„Emmely“ wurde 2008 zum Symbol des Kampfes gegen Unternehmenswillkür, Gewerkschaftsfeindlichkeit und Prekarisierung. Nachdem sie 15 Jahre bei Kaiser’s als Kassiererin gearbeitet hatte, wurde sie fristlos gekündigt, weil sie angeblich zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro eingelöst hatte. Zuvor hatte sie ihre KollegInnen im vorangegangenen Einzelhandelsstreik organisiert und war in ihrer Filiale als Streikführerin aufgetreten. Das Motiv von Kaiser’s war eindeutig: Die mutige Kämpferin sollte dafür abgestraft werden, dass sie sich für ihre Rechte und die ihrer KollegInnen eingesetzt hatte.

Doch Kaiser’s hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Emmely setzte sich zur Wehr. Zweieinhalb Jahre lang kämpfte Emmely gemeinsam mit einem Solidaritätskreis aus gewerkschaftlichen und linken UnterstützerInnen gegen ihre Entlassung. Nach endlosen Gerichtsprozessen und Urteilen gegen sie musste Kaiser’s sie schließlich wieder einstellen. Sie bot nicht nur ihren Bossen und der deutschen Justiz eisern die Stirn, sondern auch der Gewerkschaftsbürokratie, die ihren Kampf schon längst abgeschrieben hatten. Emmely erteilte ihnen allen eine Lektion der Klassenmoral und bot somit eine Inspiration für Tausende ArbeiterInnen im ganzen Land, die sich an ihrem Kampf ein Beispiel nahmen.

Tochter der Annexion

In der DDR geboren, begann Emmely 1977 ihre Arbeit in der Handelsorganisation (HO). Mit der Annexion der DDR und der folgenden Expansion des westdeutschen Kapitals wurde die HO von Kaiser’s-Tengelmann gekauft, inklusive einem Teil ihrer ArbeiterInnen, unter anderem Emmely.

Mit der Wiedereinführung des kapitalistischen Marktes begann ein schmerzhafter und dramatischer Prozess der Integration von Millionen von ostdeutschen ArbeiterInnen in eine Gesellschaft, die den Traum des Fortschritts verkündete, aber nichts anzubieten hatte außer Prekarisierung, Zerstörung der Lebensqualität und Arbeitslosigkeit. Eine ArbeiterInnenklasse „zweiter Klasse“ entstand, die dem deutschen Kapital als billige Arbeitskraft und Konkurrenzdruck gegen ihre westdeutschen KollegInnen dienen musste.

Der Fall Emmely brach den Glauben an die deutschen Institutionen und ihre Legalität. Er zeigte, dass der deutsche Staat ein Klassenstaat und seine Justiz eine Klassenjustiz ist. Für viele, die den deutschen Staat als „demokratisch und gerecht“ wahrnehmen, war die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ein Anzeichen für die „Gesundheit“ der deutschen Institutionen. Was sie jedoch nicht verstehen, ist, dass es nur aufgrund von Emmelys Klassenbewusstsein, ihrer stahlharten Moral und der großen Solidarität möglich war, die vorherigen Gerichtsurteile zurückzuschlagen und die deutsche Justiz zu einem Urteil zum Vorteil der ArbeiterInnen zu zwingen.

Nach dem Gerichtsurteil im Jahr 2010 kehrte Emmely mit großer Würde an ihren alten Job zurück, ohne aufzuhören zu kämpfen und sich mit anderen Kämpfen zu solidarisieren. Sie nahm am Einzelhandelsstreik 2013 teil und engagierte sich gegen das sogenannte „Tarifeinheitsgesetz“. In einem Land mit einer derart dominanten Gewerkschaftsbürokratie wie der deutschen, hätte Emmely von ver.di kooptiert werden können (wie es viele andere taten), aber sie wollte lieber bei ihren KollegInnen bleiben.

Eine neue Tradition

Die Jahre der Ruhe für die deutsche Bourgeoisie und die Gewerkschaftsbürokratie nähern sich ihrem Ende. Der Anstieg der Armut, die lange Stagnation der Löhne und ein immer prekärerer Arbeitsmarkt sorgen für die Notwendigkeit zu kämpfen. Neben traditionellen Streiks, in denen die Gewerkschaftsbürokratie uns ein ums andere Mal ihre verräterische Rolle vorführt, entwickeln sich immer mehr Kämpfe, die aus diesem traditionellen Modell ausbrechen, insbesondere in den Sektoren, die von der Krise am stärksten getroffen wurden. Der aktuelle Kampf bei Amazon ist ein Beispiel davon.

Auch wenn Emmely ein „Einzelfall“ war, zeigte er auf, was die ArbeiterInnenklasse erreichen kann, wenn sie sich entscheidet, für ihre Interessen zu kämpfen – gegen die „Gerechtigkeit“ der herrschenden Klasse und ihrer PolitikerInnen, und allein auf die Klassensolidarität vertrauend.

Die größte Hommage an Emmely – wie auch an viele andere ArbeiterInnen, die nicht mehr unter uns sind – ist es, für ihr Erbe zu kämpfen. Sie wird eine Quelle der Inspiration und des Mutes bleiben, für die neuen Generationen von ArbeiterInnen, die zu kämpfen beginnen, für eine Zukunft im Sinne der Ausgebeuteten und Unterdrückten.

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