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Wenn Kapitalismus krank macht – Maskenpflicht wird zur politischen Farce

03.05.2020, Lesezeit 7 Min.
Gastbeitrag

Ein Beitrag für das Netzwerk von Klasse Gegen Klasse, geschrieben von Johanna Descy, Krankenpflegerin und Autorin des Blogs Tamponkollektiv.

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Stell dir vor, du bist Pflegekraft in einem Krankenhaus. Dann passiert etwas, womit in diesem Ausmaß keiner gerechnet hat. Eine weltweite Pandemie bricht aus. Zuerst ist alles weit weg. Dann gibt es die ersten Fälle in deinem Land, zudem noch in deiner Region. Die Regierung tut alles, um diesen Menschen zu helfen. Die Infektionskette wird unterbrochen, die Menschen sind genesen. Alles gut. Der Gesundheitsminister vertritt die Meinung, alles wäre nicht so schlimm und die Ansteckungswahrscheinlichkeit sehr gering.

Zudem wird der Bevölkerung immer wieder versichert, man wäre gut auf so was vorbereitet und man hätte „das weltbeste“ Gesundheitssystem.

Aber dann kommt alles anders. Plötzlich gibt es viele Fälle, und die Gesundheitsämter kommen nicht hinterher, die Infektionsketten nachzuverfolgen. In der Zwischenzeit häufen sich Berichte, dass Mund-Nasen-Schutzmasken, FFP2-Masken und FFP3-Masken, sowie Händedesinfektionsmittel in Apotheken und Online-Versandhäusern so gut verkauft werden wie noch nie. Von Hamsterkäufen ist die Rede. Und irgendwann auch davon, dass diese Schutzkleidungen und Desinfektionsmittel ausverkauft sind, Nachlieferungen lassen auf sich warten.

Plötzlich gehen Gerüchte herum, über Arztpraxen, in denen diese Materialien geklaut werden. Im Internet blüht der Handel damit, zu gesalzenen Preisen. In deinem Krankenhaus gibt es plötzlich eine offizielle Anweisung von deiner Pflegedirektion und der Geschäftsführung, wo und wie man diese Sachen zu lagern hat, wann und an wen sie ausgegeben werden. Du wunderst dich, aber man erzählt dir, dass Besucher und Patienten, dass mittlerweile mitnehmen, weil es in den Geschäften nichts mehr gibt.

Mittlerweile gibt es immer mehr Erkrankte, die entsprechend versorgt werden müssen. Deine Klinik bereitet sich, so gut es geht, darauf vor, aber Schutzkleidung ist Mangelware. Es entfacht sich eine Diskussion in der Klinik darüber, wer was braucht und warum. Dass die neue Quarantäne-Station, die Notfallambulanz, die Intensivstation und der OP-Bereich das am dringendsten benötigen, ist allen klar. Aber die Angst der restlichen Belegschaft wächst. Zudem werden zu wenige Menschen auf die Krankheit getestet. Es ist nicht klar, wer es hat und wer nicht.

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Man einig sich darauf, diese Einmalprodukte (Betonung liegt auf EINMAL) mehrfach oder länger herzunehmen, als es ursprünglich hygienisch erlaubt ist. Zudem holt man sich die Bevölkerung ins Boot, die das Krankenhaus mit selbst genähten Mundschutz-Spenden versorgt. In öffentlichkeitswirksamem Stil setzen sich der Landrat und der zuständige Versorgungsarzt in Szene. Vor großen und lang ersehnten Lieferungen mit Schutzkleidung, die fair im Landkreis an Arztpraxen, Pflegeheime und die Klinik verteilt werden, sind die beiden zu sehen. Natürlich mit begehrten FFP3-Masken.

Die Politik sieht sich, nach Wochen mit Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverboten, in der Verantwortung, die Wirtschaft des Landes zu retten. Sie führt daher die Maskenpflicht ein.

Ärgerlich dabei ist folgendes:

Sehr verwundert hat es mich, als die Stadt Pfaffenhofen a. d. Ilm am Samstag, den 25. April für ihren Wochenmarkt bereits eine Maskenpflicht für die Bürger eingefordert hat. Über Social Media und die Lokalzeitung wurde dies mitgeteilt, hieß es von Seiten der Kreisstadt. Leider waren viele nicht darüber informiert. Es hat eben nicht jeder die Lokalzeitung abonniert oder nutzt die sozialen Medien. Das muss der Stadt Pfaffenhofen klar gewesen sein, denn sonst hätte der Marktstand der Firma MedPro GmbH keinen Sinn gehabt.

Dort wurden sowohl Mund-Nasen-Schutzmasken, FFP2-Masken, FFP3-Masken, sowie Händedesinfektionsmittel an die Bevölkerung verkauft. Viele Kartons mit Ware waren dort zu sehen. Auf die Nachfrage, warum diese begehrten Einmalprodukte, die für Kliniken, Arztpraxen und Pflegeheime so wichtig wären, an die Bevölkerung verkauft werden, wurde mir mit einem Schulterzucken wurde mir mitgeteilt, man habe auch an die ortsansässige Klinik Schutzkleidung verkauft. Beim Nachhaken, ob diese Produkte nicht besser an die Kliniken etc. verkauft werden sollen, zu einem angemessenen Preis, weil die Bevölkerung mit selbst genähte Mundschutz-Masken ausreichend versorgt wären, wurde ich wieder darauf hingewiesen, man habe eben ja auch an die Klinik verkauft.

Die Preise an diesem Stand waren nicht ohne. Eine Packung mit 50 einfachen Mund-Nasen-Schutzmasken kostete 50€. Das sind pro Stück 1€. Vor der Pandemie war der Preis bei ca. 0,05€, bzw. für eine Packung 2,50€. Kliniken, Praxen und Pflegeheime haben für diese Materialien auch nur ein begrenztes Budget. Der Sparkurs der letzten Jahre der Regierung hat diese Misere verursacht. Die Firmen machen derweil den großen Reibach.

Leistungen des Sozialstaates wurden gekürzt, während man steuerliche Kaufanreize für die Autoindustrie auf die Agenda setzte. Während die Arbeiter*innen im Gesundheitssystem ihre eigene Gesundheit aufs Spiel setzten, wird ernsthaft darüber diskutiert, ob die Fußball-Bundesliga Geisterspiele durchführen darf. Natürlich müssen dafür die Spieler getestet werden. Dafür benötigt werden rund 20.000 Tests. Und das, wo bereits jetzt Expert*innen immer wieder betonen, das in Deutschland generell zu wenig Menschen auf Covid-19 getestet werden. Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen werden noch seltener getestet. Eine Branche, die seit sehr langer Zeit auf Fachkraftmangel, zunehmende Arbeitsbelastung und zunehmende Risiken für Patienten hinweist, muss endlich von der Politik gehört werden.

Ich fordere daher:

Schluss mit der Privatisierung des Gesundheitssystems.

Sofortige Einführung einer Pflegekammer in Deutschland.

Gezielte und systematische Förderung von Frauen, Transgender, Menschen mit Behinderung und Menschen mit Migrationshintergrund durch Arbeitgeber.

Keine Profite mit Gesundheitsschutz.

Förderung von Aus-, Fort- und Weiterbildungen von Pflegekräften im eigenen Land, anstatt Abwerbung von Pflegekräften im Ausland. Unser Pflegenotstand darf nicht durch die Verursachung von Pflegenotständen in anderen Ländern behoben werden.

Bessere Bezahlung und bessere Rahmenbedingungen für Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen.

Ein Gesundheitssystem, das von den Mitarbeiter*innen gestaltet wird.

Eine verstärkte politisch-solidarische Bildung für Studenten und Auszubildende im Gesundheitswesen.

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von Charlotte und Leonie, Beschäftigte im Krankenhaus und organisiert bei akut, eine Gruppe junger Beschäftigter an Münchener Krankenhäusern

In der aktuellen Corona-Krise werden die Forderungen nach Veränderungen von vielen Kolleg*innen lauter. Die Kürzungen, der Personalmangel, der Ressourcenmangel – kurz, alle Maßnahmen der Sparpolitik der letzten Jahre – kommen vermehrt ans Licht und machen für uns, die Beschäftigten, sowie für unsere Patient*innen den Alltag im Krankenhaus unsicher. Was sind die Forderungen der Beschäftigten? Wie können wir ein Gesundheitssystem aufbauen, dass uns nicht krank macht und unseren Patient*innen nicht schadet? Was bedeutet es für uns alle, dass die Produktion in wirtschaftszentralen Sektoren wieder aufgenommen wird, während wir noch immer nicht sicher sind, ob sich die Situation zuspitzen wird? Während wir immer noch nicht genug Schutzmaßnahmen und Personal haben, um sicher zu arbeiten?

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