Weg mit Bolsonaro, dem Militär und den Putschisten!

09.04.2020, Lesezeit 9 Min.
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Jair Bolsonaro, brasilianischer Präsident und einer der stärksten Verbündeten Trumps in Lateinamerika, ist angezählt: Seine Reaktionen auf die Corona-Krise waren so stümperhaft, dass selbst große Teile seiner Basis sich von ihm abwendeten. Jetzt wollen verschiedene Akteur*innen der brasilianischen Gesellschaft seinen Rücktritt - sowohl die Bourgeoisie, als auch die Leitmedien und die politische Linke. Doch der jetzt im Raum stehende Vizepräsident Hamilton Mourão ist keine Alternative.

Bild: Jair Bolsonaro mit seinem Vizepräsident Hamilton Mourão (Agência Brasil)

Dies ist eine Kritik an einer gemeinsamen Erklärung der PT (Partido dos Trabalhadores), PDT (Partido Democrático Trabalhista) und PSOL (Partido Socialismo e Liberdade). Sie wurde von von der MRT (Movimento Revolucionário de Trabalhadores), der brasilianischen Sektion der Trotzkistischen Fraktion, verfasst.

Am 30. März wurde eine gemeinsame Erklärung der meisten linken und sozialdemokratischen Parteien Brasiliens herausgegeben, in der sie den Präsidenten Jair Bolsonaro inmitten der Corona-Krise zum Rücktritt inmitten auffordern. Sie berufen sich dabei auf seinen unfähigen, beinahe kriminellen, Umgang mit der Situation. Unterzeichnet wurde das Manifest von einigen wichtigen politischen Persönlichkeiten und Parteien des Landes, unter anderem dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Fernando Haddad (PT – Partido dos Trabalhadores ), Ciro Gomes (PDT – Partido Democrático Trabalhista) und Guilherme Boulos (PSOL – Partido Socialismo e Liberdade).

Die Erklärung fordert nicht nur Bolsonaros Rücktritt. Eine Forderung, die faktisch den Vizepräsidenten und Ex-General Mourão auffordert, die Macht zu übernehmen und den militärischen Autoritarismus (Bonapartismus) im Land zu festigen. Sie enthält auch einige „programmatische Punkte“, die einer reaktionären Militärregierung dienen.
Dieses schändliche Pamphlet schlägt doch tatsächlich vor, das Land in die Hände von Militärputschist*innen zu geben. Es erzeugt die Illusion, diese Parteien würden die eher „fortschrittlichen“ Programmpunkte Mourãos mittragen.

Diese Linie sollte von der Linken rigoros abgelehnt werden. Dennoch wurde sie, auf beschämende Weise, vom Präsidentschaftskandidaten der PSOL, Guilherme Boulos und anderen bedeutenden Akteur*innen der brasilianischen Linken gebilligt. Dies stellt nicht nur eine Abkehr von elementaren demokratischen Werten dar, sondern auch von den Grundsätzen der Klassenunabhängigkeit. Dabei handelt es sich um eingrundlegendes Prinzip – eines, dass diese Parteien niemals anerkannt haben. Die Erklärung ist ein politischer Vorstoß, der die Verantwortung für die medizinische, politische und soziale Krise Brasiliens an unsere Henker, die Putschist*innen, abgibt. Bolsonaro und das Militär befürchten einen Aufstand und sind bereits dabei, sich gegen ihn zu wappnen. Es ist offensichtlich, dass wir gegen diese Art von „Opposition“ aktiv werden müssen, um einen Ausweg aus der Krise in Brasilien zu finden.

Die Anti-Bolsonaro-Stimmung wird in die schlimmste Richtung gelenkt

Die massenhafte Unzufriedenheit mit Bolsonaro ist im Angesicht der Corona-Krise gewachsen. Dies ist nicht nur eine legitime, sondern eine absolut richtige Reaktion auf die Absurdität des staatlichen Umgangs mit der Pandemie. Es ist die Wut auf eine menschenverachtende Regierung.

Dieses äußerst progressive Empfinden ist eine der Voraussetzungen für einen revolutionären Ausweg aus der großen Not Brasiliens. Die medizinische, wirtschaftliche, politische und soziale Krise provoziert Unruhen, denen Analyst*innen und sogar Bolsonaro selbst mit Sorge entgegen sehen. Wird diese Stimmung durch solche Führungen und die „Frente Ampla“ (dt. „Breite Front“, eine 1966 gegründete politische Gruppe aus dem konservativen Spektrum mit engen Verbindungen zum Militär, A.d.Ü.) kanalisiert, so wird sie das Land in den Abgrund führen: in eine Herrschaft des mörderischen Militärs.

Die linken Parteien, die dieses Manifest mitunterzeichnet haben, bauen eine Front mit bürgerlichen Parteien auf. Sie haben mit jeder Aussicht auf Klassenunabhängigkeit gebrochen. Wir können diese „Front“ nicht als „demokratisch“ betrachten.
Seien wir ehrlich: Man kann nicht von „Demokratie“ sprechen und gleichzeitig für eine Regierung Mourãos und des Militärs plädieren.
Dass dieses Manöver von bürgerlichen „Nationalist*innen“, wie dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Ciro Gomes, oder von Parteien der Klassenversöhnung wie Lulas PT stammt, ist weder überraschend noch auf irgendeine Art und Weise akzeptabel. Ausgerechnet diejenigen, die sich über den institutionellen Putsch in Brasilien (bei dem der demokratisch gewählte Dilma Rousseff (PT) verdrängt wurde) empörten, wünschen sich Mourão an die Spitze des Landes – obwohl sie zuvor die politische Involvierung eines Militärfunktionärs anprangerten.

Doch das Schlimmste an dieser Erklärung sind die Unterzeichnungen von linken Sektionen wie der PSOL und der PCB. Das Manifest fordert den Rücktritt Bolsonaros, aber ist es dadurch automatisch „oppositionell“? Die konkreten Vorschläge in der Erklärung würden zu einer Präsidentschaft Mourãos, eines Ex-Generals, sowie einer tiefgreifenden Stärkung des Militärs führen. Diese Antwort auf den Bolsonarismus ist eine Verteidigung einer „Einheitsfront“ mit reaktionären Akteure*innen bürgerlicher Institutionen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass das Militär bereits die Rolle des „Vermittlers“ zwischen Bolsonaro und dem Kongress gespielt hat. Der vorgeschlagene „Ausweg aus der Krise“, den diese Politik aufzeigt, wäre die Ernennung eines Mannes zum Präsidenten, der erst vergangene Woche die blutige brasilianische Militärdiktatur und ihre Gräueltaten offen zu verteidigen gewagt hat. Um einen Auszug aus der Erklärung zu zitieren:

Angesichts einer Regierung, die verantwortungslos auf soziales, wirtschaftliches und politisches Chaos setzt, ist es die Pflicht des Nationalkongresses, in der Krise Gesetze zum Schutz der Bevölkerung und des Landes vor der Pandemie zu erlassen. Es ist die Pflicht der Gouverneure und Bürgermeister, sich koordiniert des Gesundheitswesens anzunehmen, wie es viele lobenswerterweise getan haben. Es ist auch die Pflicht von Staatsanwaltschaft und Justiz, unverzüglich gegen die kriminellen Vorstöße eines Machthabers, der gegen das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Leben verstößt, vorzugehen. Es ist die Pflicht aller, verantwortungsbewusst und patriotisch zu handeln.

Sie geben vorsätzlich alle Mittel im Kampf gegen Bolsonaro in die Hände des Kongresses, der Bühne der neoliberalen Reformen, und der Justiz, die eine zentrale Rolle beim institutionellen Staatsstreich im Jahre 2016 gespielt und damit den Weg für Bolsonaros Präsidentschaft geebnet hat.

Lula bekundet selbst in einem kürzlich veröffentlichten Video, sich darauf zu verlassen dass der Kongress Bolsonaro „konfrontiert“.
Dieser Kongress setzt sich jedoch aus einigen der reaktionärsten politischen Sektoren zusammen und vertritt die Interessen der größten Kapitalist*innen des Landes.
Darüber hinaus erklärt Lula auf Facebook und Twitter:

Wir müssen erkennen, dass diejenigen, die die schwerste Arbeit in dieser Krise leisten, die Gouverneure und Bürgermeister sind.

Damit nimmt er die Maßnahmen des reaktionären João Doria in São Paulo in Schutz. Solche Figuren sind es, mit denen die PT und die Linke den wachsenden Ärger über den Bolsonarismus kanalisieren wollen.

Das Manifest lobt auch die Gouverneur*innen für eine Politik, die in völligem Widerspruch zur Schadensbegrenzung steht. In den verschiedenen Bundesstaaten gibt es weder Massentests, noch Krankenhausbetten oder Schutzausrüstung für die, die weiterhin arbeiten müssen. Die Gouverneur*innen stellen keine neuen Ärztin*nnen oder Krankenpfleger*innen ein, sie garantieren weder für Arbeitsplätze noch für Gehälter. Sie setzen die Gesundheit und das Leben von Millionen Arbeiter*innen und ihren Familien aufs Spiel.

Wie weit ist diese selbst ernannte „sozialistische Linke“ bereit zu gehen?

Außer der Stärkung der bürgerlichen Akteur*innen des Regimes bietet das Manifest keinen alternativen Ausweg aus der Krise an. Bolsonaro ist nicht der Einzige, der beabsichtigt, Arbeiter*innen und verarmte Teile der Bevölkerung diese Krise mit ihrem Leben bezahlen zu lassen. Von einem „kleineren Übel“ zum nächsten nähern wir uns Schritt für Schritt dem Abgrund. Dies ist die Politik, auf die die Mehrheit der PSOL seit Längerem besteht: die Suche nach einem beständigen Kompromiss mit Parteien, die sich in der „Opposition“ zu Bolsonaro sehen – anstatt sich auf die Einheit der Arbeiter*innenklasse zu stützen.

Das kann nicht der Weg sein, den die Linke der Arbeiter*innenklasse, den Jugendlichen, die in extrem prekären Arbeitsverhältnissen ihre Leben riskieren, und den verarmten Massen aufzeigt. Dieselben Kräfte, die Menschenleben riskieren um den Markt zu retten, werden als Helden dargestellt.

Für eine Politik ohne Militär und Putschisten!

Wir von der MRT und Esquerda Diario sagen:

Raus mit Bolsonaro, dem Militär und den Putschisten!

Der Kampf um eine unabhängige Antwort muss die Konfrontation aller drei Sektoren beinhalten und in offener Opposition gegen das gesamte Regime stehen. Wir müssen ihnen ein Programm entgegen setzen, das die Interessen der Arbeiter*innenklasse in dieser Krise verteidigt.

Brasilien braucht ein Notfallkommitee. Sie muss sich aus medizinischem Personal, Medizinexpert*innen, Gewerkschaften und anderen Organisationen der Arbeiter*innen und der Bevölkerung zusammen setzen. Dies ist die einzige mögliche Antwort unserer Klasse auf die gegenwärtige Krise.
Eine der zentralen Aufgaben dieser Notfallgruppe wäre die Einberufung und Organisation eines freien und souveränen verfassungsgebenden Gremiums. Ein solches würde Exekutive, Legislative und Judikative in sich vereinen und die demokratische Kontrolle über die Struktur der Gesellschaft sichern.
Dieser Rat würde nicht nur die dringliche Frage nach einer Garantie für Arbeitsplätze und Leben beantworten, sondern auch all die strukturellen Hürden angreifen, welche die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung zu einem Leben in Elend verdammen.
Wenn wir für dieses Programm kämpfen, setzen wir uns für die Errichtung der größten Plattformen der Selbstorganisation ein. Sie sind die einzige Garantie für einen demokratischen Weg aus der Krise. Gleichzeitig sind sie die Basis für einen Übergang zu einer Arbeiter*innenregierung, die mit dem Kapitalismus brechen wird.

Eine solche Politik ist die einzige Alternative zu einem Aufstand gegen die Krise dieses dekadenten Systems.

Dieser Artikel erschien zuerst in portugiesischer Sprache, am 2. April auf Esquerda Diário.

Englische Version auf LeftVoice.

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