Was haben die TV-L-Streiks mit Feminismus zu tun?

25.11.2023, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Demonstrant:in am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen / Klasse Gegen Klasse

Sozialarbeiter:innen, Erzieher:innen, Lehrer:innen - sie alle streiken im kommenden Tarifvertrag der Länder für bessere Konditionen. Dieser Sektor besteht mehrheitlich aus Frauen, weshalb die kommenden Streiks auch feministische Streiks sein müssen. Wie das mit dem 25. November, dem Tag gegen die Gewalt an Frauen, zusammenhängt, erklären wir hier.

Aktuell stehen viele Streiks an – einige sind bereits in vollem Gange. Am vergangenen Donnerstag streikten 3.000 Erzieher:innen und Sozialarbeiter:innen für bessere Rahmenbedingungen im Tarifvertrag der Länder und auch für bessere Bedingungen ihrer Schüler:innen und Klient:innen. Gleichzeitig richteten sich die Forderungen aber auch klar gegen den Kürzungshaushalt des Berliner Senats. Diese könnten in Zukunft noch krasser ausfallen, weil das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass der Nachtragshaushalt von 2021 verfassungswidrig ist. Vor dem Abgeordnetenhaus protestierten die Streikenden fast zwei Stunden, ehe der Demonstrationszug Richtung Brandenburger Tor loszog. Ein besonderer Augenschmaus: Die Streikenden standen an der Absperrung und riefen nach der Bildungs- und Familienministerin Katharina Günther-Wünsch, die sich für ein Treffen mit der Streikleitung bereit erklärte, sich jedoch am Tag des Streiks scheinbar umentschied und nicht kam. Am Ende musste ein Polizist die symbolische Gefährdungsanzeige annehmen, die an Günther-Wünsch übergeben werden sollte, und brachte das „Päckchen“ ins Abgeordnetenhaus.

Doch eigentlich ist etwas anderes ganz besonders an diesem Streiktag: Die meisten der 3.000 Menschen waren Frauen. Denn der Erziehungs- und Bildungssektor ist durch und durch feminisiert. Hier arbeiten hauptsächlich Frauen und gerade hier treten  die strukturellen, systematischen und materiellen Probleme des Systems hervor. Obwohl mehrheitlich Frauen als Erzieher:innen arbeiten, verdienen sie durchschnittlich 2.100 Euro weniger im Jahr als ihre männlichen Kolleg:innen. Bei den Lehrer:innen sind es 12 Prozent weniger, die Lehrerinnen im Vergleich zu den männlichen Kollegen bekommen.

Nicht zuletzt sprechen wir auch von Eltern, die sowohl einer Beschäftigung in diesem Sektor nachgehen, als auch zumeist im eigenen Zuhause zusätzlich unbezahlte Care-Arbeit leisten müssen. Darunter leiden nicht nur Eltern, die in Kitas arbeiten, sondern in den meisten Fällen auch die Eltern der Kinder, mit denen man arbeitet. Umso motivierender ist auch zu sehen, dass sich bei den Streiks von Erzieher:innen oftmals auch Eltern mit Kindern beteiligen, um die Beschäftigten in ihren Forderungen zu unterstützen. Denn die meisten von ihnen wissen, dass bessere Arbeitsbedingungen für Erzieher:innen auch bessere Lebensbedingungen für ihre Kinder und sich selbst sind.

Rechtsruck und Rassismus

Wir streiken in einer Zeit, in der die „feministische Außenpolitik“ von Annalena Baerbock nichts anderes als mehr (reiche) Frauen in Regierungspositionen und eine Instrumentalisierung von feministischen Problemen für die eigene rassistische Agenda bedeutet. Dabei werden meistens gerade die Rechte von Frauen und Kindern ignoriert, wenn es um die rassistische Abschiebepolitik Deutschlands innerhalb der Grenzen Europas geht. Hier folgen Baerbock und ihre Partei mittlerweile komplett dem Rechtsruck, der sich in den letzten Jahren vollzieht.

Die GRÜNEN haben gemeinsam mit der SPD und FDP die Asylreform auf EU-Ebene abgesegnet. Die beinhaltet kurz und knapp: schnellere und mehr Abschiebungen, Asylverfahren direkt an den EU-Grenzen, noch weniger Aussichten auf Asyl für Geflüchtete. Dazu kommen Pläne wie das Abschiebezentrum am BER, schärfere Grenzkontrollen, Migrationsabkommen mit Ländern, die an die EU grenzen und noch schlimmere Kriminalisierung von Seenotrettung. All das ist eine Anbiederung an Positionen der AfD, die in den letzten Jahren extreme Sprünge bei Wahlen gemacht hat. Die jetzigen Prognosen deuten sogar darauf hin, dass die AfD die drittstärkste Kraft bei den Bundestagswahlen 2025 werden könnte. Dass bei den Pushbacks an den EU-Außengrenzen, den Zurückweisungen und gewaltvollen Abschiebungen an und innerhalb der deutschen Grenzen oder dem von Deutschland mitfinanzierten Genozid in Palästina tausende Frauen und Kinder getötet werden, bereitet ihr hin und wieder mal „Bauchschmerzen“, aber dem ein Ende setzen? Nada.

Alle Arbeiter:innen, besonders aber Frauen, Queers und Migrant:innen, werden im Kapitalismus durch Gewalt diszipliniert. Ständig verlieren Leute ihren Job und ihre Lebensgrundlage, zum Beispiel durch Abmahnungen oder Kündigungen, wenn sie sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen wehren. Besonders schlechte Arbeitsbedingungen gibt es vor allem in Bereichen, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, wie in Erziehung, Bildung und Gesundheit. Dort gehen Personalmangel und Überlastung auch noch mit schlechter Bezahlung einher – diese Berufe werden in der kapitalistischen Logik abgewertet. Das sind die Formen der materiellen Gewalt, die sich auf die feminisierten Sektoren auswirken.

Eben deshalb wird auch immer zuerst in diesen Sektoren gekürzt. Frauen und Queers sind oft outgesourct, also nicht an einen Tarif gebunden und dadurch oftschlechter bezahlt. Sie sind überdurchschnittlich oft von Altersarmut betroffen. Die Kürzungen in diesen Sektoren sind immer im Sinne der Kapitalist:innen, die ihre Profite zu sichern versuchen. Dass angeblich kein Geld da sei, ist schlicht und einfach gelogen – das beweist das 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr und auch das 109-Millionen-Euro-Sicherheitspaket für die Bullen in Berlin. Die Sicherung der Profite und der imperialistischen Ziele der Kapitalist:innen stehen immer im Vordergrund der gesamten Politik.

Die Auswirkungen von diesem Militarismus zeigen sich weltweit. Die Bombardements in Gaza, die von Deutschland mitfinanziert und als Verteidigungsrecht Israels ausgelegt werden, treffen mehrheitlich Frauen und Kinder. Gleichzeitig wurden die Waffenexporte nach Israel auf das 10-fache erhöht. In der Türkei dienen deutsche Waffen seit Jahrzehnten dem türkischen Vernichtungskrieg gegen die kurdische Bevölkerung. Auch dort sind es mehrheitlich Frauen und Kinder, die sterben. Diese Kriege, die von Deutschland teilweise sogar mit eigenen Soldat:innen unterstützt werden, sorgen für noch mehr Flüchtende. Flüchtende, die zu Zehntausenden auf dem Weg nach Europa sterben oder getötet werden.

Mehr Geld für die Polizei bedeutet mehr Repression für Migrant:innen, Obdachlose und Jugendliche. Wir haben die letzten Wochen auf der Sonnenallee mitbekommen, wie sich eine massive Polizeirepression aufgetan hat, die es so selbst für Berliner Verhältnisse nicht gegeben hat. Tag und Nacht standen Bullenwagen in den Seitenstraßen und kontrollierten Jugendliche, Hijabis und muslimisch gelesene Männer. Alles unter dem Vorwand der Antisemitismusbekämpfung. Grund dafür waren die Angriffe der Hamas am 7. Oktober. Die Aufrüstung der Cops ging schon Monate voraus, beispielsweise mit der Eröffnung der Kottiwache. Auch heute noch geht die Repression weiter – und erreicht sogar neue Ausmaße. Die CDU/CSU hat einen Gesetzesentwurf eingereicht, der pro-palästinensischen Migrant:innen die Staatsbürgerschaft verwehren und aberkennen soll. Organisationen wie Samidoun wurden bereits verboten und es fanden in den letzten Tagen vermehrt Razzien in Wohnungen von ehemaligen Mitgliedern statt. All das im selben Atemzug, in dem Abschiebungen erleichtert werden sollen, die vor allem Frauen und Kinder treffen. Und als ob all das nicht Beweis genug für die rechte Politik der Ampel ist, wird auch noch gegen Migrant:innen gehetzt von allen Seiten. Angeblich sei kein Geld mehr da für Bildung, Soziales, etc., weil all das Geld für Geflüchtete ausgegeben würde. Dabei leben Asylsuchende in Unterkünften sogar von weniger als Hartz IV bzw. Bürgergeld. Die Sozialleistungen nach dem Asylbewerbergesetz sind ein blanker Hohn für jede Menschenwürde. Auch das ist nichts als eine der etlichen Lügen der Regierung, um die Klasse zu spalten und uns gegeneinander auszuspielen.

Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen

Es liegt also auf der Hand, dass wir diese Streiks nicht getrennt von einem feministischen und auch antirassistischen Kampf sehen können. Feminismus darf sich nicht weiter von der Bundesregierung angeeignet und für kapitalistische, rassistische Zwecke missbraucht werden, muss im Gegenteil zur Praxis und zum Zweck von Gewerkschaften und Arbeiter:innen werden. Das heißt, dass wir aktiv mit feministischen Forderungen auf die Straßen gehen und diese Forderungen in die Streiks mitnehmen müssen. Sie müssen sich auch unbedingt gegen die Kürzungen im Sozialhaushalt richten, denn auch von diesen Kürzungen sind überwiegend Frauen betroffen. Ob für die Kindergrundsicherung, dem Sozialhaushalt oder bessere Löhne in feminisierten Sektoren – genug Geld ist da, doch der Bundesregierung ist wichtiger, dieses Geld in Waffen und Kriege zu investieren, als in Schulen, Kranken- und Frauenhäuser, Jugendeinrichtungen und Kindertagesstätten.

Am 25. November finden weltweit große Proteste zum Internationalen Tag gegen die Gewalt an Frauen statt. Auch wir als Klasse Gegen Klasse nehmen an der Demonstration der International Women Alliance teil. Im Vergleich zu den meisten anderen Demos an diesem Tag ist diese Demo keine FLINTA-only Demo. Was für viele durch das Argument von Safe Spaces sinnvoll klingt, schwächt jedoch den Kampf um die Befreiung von Frauen und Queers. Im Kampf gegen das System müssen alle Arbeiter:innen, Queers und Migrant:innen Schulter an Schulter gehen, um den Kapitalismus und das Patriarchat zu stürzen.

An diesem Tag steht die Gewalt an Frauen und Queers im Vordergrund. Der Tag findet dieses Jahr genau während der Streiktage im TV-L, also während der Streiks der Erzieher:innen und Sozialarbeiter:innen statt. Umso wichtiger ist es für uns, eine sozialistische Perspektive aufzuweisen im Kampf gegen patriarchale Gewalt und für die queere Befreiung. Die Gewalt kann nur abgeschafft werden, wenn wir das patriarchale, kapitalistische System abschaffen. Es kann keine befreite Gesellschaft im Kapitalismus, in einem System, das auf Ausbeutung und Diskriminierung basiert, geben. Keine Person kann frei sein in einem System, welches die Unterdrückung der Frau, der Arbeiter:innen, der Migrant:innen und der queeren Personen vorantreibt und diese Menschen gegeneinander ausspielt. Keine:r kann frei sein, solange nicht alle frei sind!

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