Warum Arbeiter:innen sich in den Ukrainekrieg einmischen sollten

11.04.2022, Lesezeit 9 Min.
1
Foto: Lukas Schmolzi

Jeden Tag spielt der Krieg in der Ukraine bei mir auf der Arbeit am Botanischen Garten und der Freien Universität Berlin eine Rolle. Immer wieder werden Kolleg:innen und ich gefragt, warum wir uns als Arbeiter:innen dazu positionieren sollten. Einige der häufigeren Fragen möchte ich hier beantworten und zur Diskussion stellen.

Warum sollten sich Arbeiter:innen zu Fragen des Krieges äußern, überlässt man das nicht lieber den Expert:innen?

Es ist längst überfällig, dass sich Beschäftigte zu Wort melden, auch über den Krieg. Es ist unglaublich, dass angesichts des Reallohnverlust durch Inflation noch so viel Ruhe herrscht. Die Ampelkoalition sieht sich gleichzeitig nicht veranlasst, mit einer Vermögenssteuer dafür zu sorgen, dass Reiche auch ihren Beitrag leisten. Die 100 Milliarden, die jetzt für Aufrüstung ausgegeben werden sollen, sind von Lohnabhängigen erwirtschaftet worden. Profitieren würden letztere, wenn das Geld in Pflege, Bildung, Klima oder in die öffentliche Daseinsvorsorge investiert würde.

Wir erleben gerade eine Situation, in der überall stellvertretend für Beschäftigte das Wort erhoben wird. Man benutzt Arbeiter:innen, um den Krieg zu rechtfertigen. Putin spricht für russische, Selenskyj für ukrainische Arbeiter:innen. Gleichzeitig wurde den russischen und ukrainischen Beschäftigten das Wort abgedreht.

Was erhoffst Du Dir davon, wenn sich Arbeiter:innen positionieren?

Arbeiter:innen kommen in ihren Analysen zu anderen Einschätzungen, weil sie völlig andere Interessen haben. Für die Einordnung dieses Krieges ist es notwendig, dass sich Beschäftigte international austauschen und zu Wort melden. Solange sie das nicht tun, wird man ihr Schweigen als Zustimmung auslegen. Es zeigt sich an vielen Beispielen, dass mit den Vorschlägen von Arbeiter:innen Leid vermieden worden wäre.

Das Krankenhauspersonal machte bereits vor Jahren auf Probleme im Gesundheitswesen und die damit einhergehenden Risiken aufmerksam. Sie hatten mit ihren Gewerkschaften genaue Vorstellungen zu Mindestpersonalbemessung und ähnlichem. Bereits vor Corona starben Menschen in Krankenhäusern an Unterversorgung. Hätte man rechtzeitig auf die Beschäftigten gehört und die Löhne und das Personal aufgestockt, hätte es in der Pandemie keine Milliarden an ad hoc Reparaturmaßnahmen gebraucht. Letztere überstiegen bei Weitem die von den Beschäftigten zuvor geforderte Ausfinanzierung – und haben trotzdem nicht die strukturellen Probleme gelöst.

Warum denkst Du, fällt es Beschäftigten so schwer, sich zum Ukrainekrieg zu positionieren?

Ich verstehe teilweise, dass sie angesichts des unendlichen Leids, dass sie jeden Tag mitbekommen, zurückhaltend sind, weil sie keine Fehler machen wollen. Sie haben Angst, unsolidarisch gegenüber der ukrainischen Bevölkerung zu sein. Wir erleben derzeit aber auch, dass Menschen massiv unter Druck gesetzt und als „Putinversteher“ diffamiert werden, wenn sie sich gegen Aufrüstung aussprechen.

Das klingt nach Medienschelte…

Friedrich Merz (CDU) lobte kürzlich unwidersprochen in der Talkshow „Maischberger“ die Menschen in der Ukraine: Ihre Bereitschaft zu kämpfen sei lobens- und anerkennenswert. Die Wahrheit ist: Männer zwischen 18 und 60 durften nicht ausreisen und müssen kämpfen. Das ist eins von vielen Beispielen zynischer und manipulierender Kriegsrhetorik in den Medien.

Das klingt ein bisschen nach dem, was Verschwörungstheoretiker:innen sagen.

Auf keinen Fall. Verschwörungstheoretiker:innen haben Corona geleugnet und leugnen bis heute den Klimawandel. Wir sind ja diejenigen, die sagen, dass eben mehr auf die Wissenschaft gehört werden und sich kapitalistische Interessen wissenschaftlichen Erkenntnissen unterzuordnen haben. Ich denke, man muss mal wegkommen von diesen Schwarz/Weiß-Positionierungen. Es gab während der Coronapandemie nur noch zwei Lager: Die Bundesregierung und die Coronaleugner:innen. Viel zu kurz kam der Protest und die Forderung nach einer gerechten Verteilung der Maßnahmen und Kosten. Wir können selbstverständlich auch die Politik der Bundesregierung im Ukrainekonflikt in Frage stellen, ohne „Putinversteher“ zu sein. Die Invasion Putins in die Ukraine ist ein Verbrechen, die Truppen müssen raus aus der Ukraine. Unterschiedlich sind die Auffassungen darüber, welche Schritte notwendig sind, dauerhaft Frieden in Europa zu erreichen.

Woran liegt Deiner Meinung nach dieses Schwarz/Weiß-Denken?

Ein Grund dafür liegt in dem ausgerufenen Burgfrieden, auf den sich Gewerkschaftsführungen und Regierungen während der Coronakrise geeinigt haben. Das wird jetzt fortgesetzt. Dabei gäbe es andere Ansätze. Ich denke eine längst überfällige Aufgabe der Gewerkschaften wäre es, ihre Mitglieder über die Möglichkeit von politischen Streiks aufzuklären, um sich gegen Regierungen, die Kriege führen, zur Wehr zu setzen. Stattdessen sprechen sich Gewerkschaftsführungen mit den Regierungen für Sanktionen gegenüber Russland aus. Sanktionen werden als friedliche Alternative zu Waffen und Raketen propagiert. Dabei handelt es sich bei Sanktionen um brutale Kriegsmaßnahmen. Aus der Geschichte des Irak wissen wir, dass eine Wirtschaftsblockade ähnlich verheerende Folgen für die Zivilbevölkerung eines Landes haben kann wie eine Militärintervention. Den Sanktionen fielen dort durch die Unterversorgung hunderttausende Kinder zum Opfer.

Gibt es denn Beispiele, wo sich Beschäftige zum Krieg in der Ukraine positioniert haben?

Ja, auf der Mitgliederversammlung von Charité, Vivantes und der Vivantes Töchter beschlossen die Beschäftigten eine Resolution und positionierten sich gegen die Aufrüstung und stattdessen für Investitionen in Gesundheit, Bildung, Soziales und Klima. Feuerwehrleute aus Großbritannien verfassten ebenfalls eine Resolution. Darin lehnten sie die Expansion der NATO und jede Intervention der NATO-Truppen in diesen Konflikt ab, verurteilten gleichzeitig die russische Invasion und erklärten sich solidarisch mit Geflüchteten sowie den Feuerwehrleuten und Einsatzkräften in der Ukraine. Sie solidarisierten sich auch mit Oppositionellen in Russland.

Ist es nicht eine Utopie, zu denken, russische Arbeiter:innen könnten sich mit ukrainischen und europäischen Arbeiter:innen verbünden?

Gegenfrage: Ist es nicht die größere Utopie zu denken, man könnte mit Waffen Frieden schaffen?

Gibt es neben den Resolutionen auch handfeste Aktionen?

Laut ukrainischen Quellen haben kürzlich belarussische Eisenbahnarbeiter:innen die Zugverbindungen in die Ukraine gekappt. Dadurch ist der Nachschub der russischen Armee unterbrochen worden. In Pisa weigerten sich Flughafenbeschäftigte als „humanitäre Hilfe“ getarnte Waffen in die Ukraine zu verladen. Und in Griechenland haben Arbeiter:innen aus Thessaloniki zwei Wochen lang den Transport von US-Panzern in Richtung der Ukrainischen Grenze aufgehalten. All das sind wichtige Beispiele, über die zu wenig berichtet wird.

Leider gibt es keine Nachahmer:innen in Russland oder der Ukraine.

Im Internet findet man zumindest einen interessanten Bericht von Bergarbeiter:innen aus der Ukraine aus der Zeit vor der russischen Invasion. Darin wird beschrieben, wie Selenskyj mit streikenden, ukrainischen Bergarbeiter:innen umgegangen ist. Er ließ deren Familien hungern und vom Geheimdienst unter Druck setzen, während die Bergleute unter Tage im Streik waren. Ein Arbeiter starb in einem Bergwerk. Ein Gericht räumte später ein, dass dies auf den schlechten technischen Zustand der Ausrüstung zurückzuführen gewesen sei. Die Bergarbeiter:innen forderten 1000 Euro Lohn, während ihr Einkommen bei 300 Euro lag. Das Unternehmen verweigerte die Lohnerhöhung und verdoppelte gleichzeitig im Jahr 2019 seinen Gewinn umgerechnet von 24 auf 48 Millionen Euro.

Was schließt du daraus?

Das, was die Bergarbeiter:innen aufdeckten und an die Öffentlichkeit brachten, hilft uns, den Krieg und dessen Akteure besser einzuordnen. Zumindest können wir feststellen, dass ein Teil der Verantwortung, ob es zu einer Ausdehnung des Krieges oder vielleicht sogar zu einem dritten Weltkrieg kommt, offensichtlich bei einem Mann liegt, der aus Profitgründen tote Bergarbeiter:innen in Kauf genommen hat. Wir müssen uns die Frage stellen, wie verantwortungsvoll geht so eine Person erst in Kriegszeiten mit dem ukrainischen Volk um und ist es wirklich eine gute Idee, ihm noch mehr und noch größere Waffen zu liefern?

Ist es nicht abwegig Arbeitskämpfe und Kriege in Zusammenhang zu bringen?

Beides sind Verteilungskämpfe. Ich stelle mir es schwer vor, Menschen, die ein auskömmliches Gehalt und ein gutes Leben mit ihrer Familie haben, für Kriege zu begeistern. In Betrieben ist es eine altbewährte Strategie der Unternehmen, Beschäftigte in einen Verteilungskampf untereinander zu setzen, weil dann die hohen Löhne in den Führungspositionen unbeachtet bleiben. Sowohl Kriege als auch schlechte Arbeitsbedingungen könnten damit wirksam beendet werden, indem sich die Ausgebeuteten zusammenschließen und ihren Groll nicht mehr gegeneinander, sondern gegen ihre Ausbeuter:innen richten, indem sie ihnen ihre Arbeitkraft entziehen. Mit den Aktionen in Pisa, Griechenland und Belarus setzten Beschäftigte bereits starke Zeichen.

In den vergangenen Jahren war Fridays for Future eine der größten Protestbewegungen. Auch Beschäftigte haben mitdemonstriert, bis hin zu Ansätzen eines Klimastreiks. Aber angesichts der gefährdeten Energieversorgung durch den Krieg sind diese Forderungen kaum noch wahrzunehmen.

Ja, der Ukrainekrieg wirft in Sachen Klimawandel Fragen auf. Die Ukraine verfügt ja nicht nur über Weizen, sondern auch über Bodenschätze – von Eisenerz, Graphit, Titan, Nickel, Lithium bis hin zu sogenannten seltenen Erden. Alle samt energiepolitisch relevanten Rohstoffe der Zukunft. So müsste es heute wohl statt „Kein Krieg um Öl“ wie 1991 „Kein Krieg um energiepolitisch relevante Rohstoffe“ heißen. Der Krieg wird bereits jetzt genutzt, mit Kohle, Öl, Fracking-Gas und sogar Atomkraft weiter das große Geld zu verdienen. Also nützt der Krieg längst denjenigen Oligarch:innen weltweit, denen ja noch nie ein Krieg zu schade war, um ihren Einfluss zu sichern. Warum sollten wir darauf vertrauen, dass ausgerechnet sie ihn beenden?

Habeck sagt ja, dass der Ukrainekrieg den Umbau hin zu regenerativen Energien erst Recht beschleunigen würde.

Man muss Politiker:innen an ihren Taten, nicht an ihren Worten messen. Nach Informationen der F.A.Z. plant ausgerechnet die in Energiefragen grün dominierte Bundesregierung die Verlängerung der sogenannten Sicherheitsbereitschaft für Kohlekraftwerke von RWE. Außerdem weigert sich die Ampelregierung trotz der immer knapperen Ressourcen, ein Tempolimit auf den Autobahnen umzusetzen. Man muss sich mal vorstellen, dass mit Appellen wie „Frieren für die Freiheit“ an das Gewissen der Bevölkerung appelliert wird, während gleichzeitig Wohlhabende mit 200 über die Autobahn brettern dürfen. Das sagt viel über die Glaubwürdigkeit der politisch Verantwortlichen aus.

Mehr zum Thema