„Während Gaza blutet, klingt das Schweigen der Universitätsleitung dröhnend laut“

04.12.2023, Lesezeit 8 Min.
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Foto: Baki von Klasse Gegen Klasse

Wir veröffentlichen die Rede von Fabio, Geographiestudent an der Freien Universität Berlin. Die Rede hielt er an der Kundgebung gegen den Genozid in Gaza vor dem Henry-Ford-Bau der FU Berlin.

Hallo, ich bin Fabio von Waffen der Kritik und bin Student an der FU Berlin. Heute jährt sich die Gründung der Freien Universität zum 75. Mal, doch das ist kein Grund zum Feiern. Die Feier ist in dem Gebäude hinter uns, was nach Henry Ford benannt ist, einem glühendem Antisemiten, der ein Bewunderer und Förderer Adolf Hitlers war, mal so nebenbei bemerkt. Eine Uni, die sich selbst damit schmückt, ein demokratischer, weltoffener und freier Ort zu sein, während die Universitätsleitung sich ohne Unterlass direkt hinter Israel und den Bombardements auf Gaza stellt.

Wir mussten in den Wochen seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober erleben, wie eben diese so freie Universität alles daran setzt, kritische Stimmen zu unterdrücken. Die deutsche Staatsräson, die bedingungslose Unterstützung Israels, soll unwidersprochen bleiben. Stattdessen werden Palästinenser:innen, Palästina-solidarische Studierende und Beschäftigte gedoxt, sie werden angefeindet und bedroht. Palästinensische Studierende werden allein gelassen, während Familien, Freund:innen und Bekannte im Feuerregen sterben. Gleichzeitig unterhält die FU eine Kooperation mit der Hebrew University, die im völkerrechtswidrig besetzten Ost-Jerusalem steht.

Doch warum sind uns die Universitäten hier so wichtig, mag sich jetzt manch einer fragen?

Universitäten in den imperialistischen Zentren sind die Orte, an denen die imperialistischen Ideolog:innen von morgen geschaffen werden. Woher glaubt ihr denn woher die Journalist:innen, Politiker:innen und Intellektuelle stammen, die heute das Massen-Bombardement in Gaza verteidigen oder die Mitglieder der Regierung selbst, die die Waffenlieferungen an Israel verzehnfacht haben? Kritische Studiengänge wie die Postcolonial Studies werden andererseits als Brutstätten des Antisemitismus diffamiert – was eine lächerliche Anschuldigung.

Während wir lernen sollen dass ein Genozid „kompliziert“ sei, mindestens 5500 Tote Kinder potenzielle Terrorist:innen und Palästina nicht real sei, wird an manchen technischen Universitäten sogar direkt an den neuesten Waffensystemen geforscht, die heute weltweit in Kriegen eingesetzt werden. Allen voran im Krieg gegen Palästina, wo deutsch-israelische Militärforschung Waffen, Überwachung und Abschottung bringt. Blicken wir mal dabei auf das Aktienportfolio der Freien Universität, dann zeigt sich, dass diese sogar Rheinmetall-Aktien besitzt. Der Krieg beginnt direkt an unseren Universitäten, an dem Ort an dem wir uns tagtäglich bewegen und leben. Daher brauchen wir eine universale und verbindliche Zivilklausel, um jegliche Rüstungsforschungen an den Universitäten zu beenden.

Uns wird vorgeworfen antisemitisch zu sein, weil wir den Bombenhagel auf das palästinensische Volk nicht unbeantwortet lassen wollen. Es gibt nichts antisemitisches daran einen Völkermord zu verurteilen. Wenn aber davon gesprochen wird, dass jede Kritik am israelischen Staat ein Hassverbrechen an jüdischen Menschen darstellt, folgt das einer antisemitischen Logik. Einer Logik, in der es Staaten geben sollte, die ethnisch einheitlich sind. Einer Logik, in der ein Staat mit der Bevölkerung gleichgesetzt wird. Dieser Ethnopluralismus ist keine neue Idee, sondern steht in einer direkten Kontinuität eben jener Antisemit:innen des 19. und 20. Jahrhundert, die das jüdische Leben in Europa loswerden und später vernichten wollten. Das gleiche Narrativ wird ebenso gerne über Muslim:innen in Deutschland verbreitet. Allzu oft hören wir der Islam gehöre nicht zu Deutschland

Während die Hassverbrechen gegen jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland und Europa rasant zunehmen, sprechen die bürgerlichen Zeitungen bis hin zu den Parteien im Bundestag von importiertem Antisemitismus. Jenes Land was 6 Millionen jüdische Menschen auf bestialische Weise ermordete, muss wieder dem Rest der Welt, erklären wie Erinnerungskultur funktioniert. Die deutsche staatsräson schützt die Interessen des imperialistischen deutschen kapitals mit dem Argument des historischen Gewissens. Das ist eigentlich selbst die größte Verhöhnung der Opfer der Shoah, das nämlich die Interessen des deutschen Kapitals, das den Zweiten Weltkrieg angestoßen hat, nun mit den angeblichen Interessen der jüdischen Bevölkerung weltweit gleichgesetzt werden.

Wir sehen derzeit, wie sich die rassistische Hetze in der bürgerlichen Presse tagtäglich selbst überbietet, man spricht gar von importieren Antisemitismus und fordert bis weilen den Entzug der Staatsbürgerschaft oder direkt die Abschiebung. Dies fußt auf keiner Weise darauf dass dieser Staat ein Interesse an einem sicheren Leben für jüdische Menschen in diesem Land hat. Vielmehr war die bedingungslose Unterstützung Israels die Bedingung des deutschen Staates für die Wiederbewaffnung 1955 gewesen. Wenn dieser Staat Interesse an der Bekämpfung von Antisemitismus hätte, würde die Antisemistismusbekämpfung in Deutschland nicht zusammengesparrt werden.

Und wenn wir hier von Einsparungen reden, müssen wir ebenso über die Kürzungen reden, die unsere wissenschaftliche Freiheit bedroht und die Unibeschäftigten in Prekarität treibt, das Sozial- und Erziehungswesen kaputt spart, im Namen der nationalen Anstrengungen die militärische Rolle Deutschlands in der Welt wiedererstarkten zu lassen. Wieder einmal muss die Souveränität Deutschlands am anderen Ende der Welt verteidigt werden, während an Sozialem, Bildung, Gesundheit und Klimaschutz gespart wird.

Die deutsche Staatsräson wird unbekümmert von dieser Universität mitgetragen. Währenddessen tut man so als sei der Angriff der Hamas in einem politischen Vakuum entstanden, ohne irgendeinen historischen Kontext. Als wäre der Israelische Staat nicht auf gestohlenem Land und durch eine Vertreibung des palästinensischen Volkes entstanden. Übrigens sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass in den 1970ern das israelische Militär die Hamas als Gegengewicht zu säkularen und sozialistischen Gruppen mit finanziert hat.

Während die Universität dieses Jahr sein 75-jähriges Bestehen feiert, erinnern wir an 75 Jahre Nakba. Die Vertreibung von über 700.000 und Ermordung von tausenden Palästinenser:innen während der Staatsgründung Israels 1948. Derzeit sehen wir, wie sich diese Nakba wiederholt – in der Tat wurde sie nie unterbrochen. Seit dem Gegenangriff Israels im Oktober diesen Jahres wurden bereits mehr Menschen getötet als 1948 und über 1,5 Millionen in den südlichen Teil Gazas vertrieben. Während Gaza blutet, klingt das Schweigen der Universitätsleitung dröhnend laut.

Unsere Losung kann keine Zwei-Staaten-Lösung sein, die unter kapitalistischen Bedingungen einen bröckeligen Frieden zu den Bedingungen des Imperialismus darstellt. Mit einem siedlerkonialen Apartheidstaat ist kein Frieden zu machen, wie auch dieser Staat nie Frieden oder eine Zwei-Staaten-Lösung zugelassen hat. Wir kämpfen für ein sozialistisches, freies und laizistisches Palästina, in dem Palästinenser:innen, jüdische Menschen und andere ethnische Gruppen gemeinsam leben können.

Und dieser Kampf beginnt genau hier, mit jedem:jeder Student:in, wissenschaftlichen Mitarbeiter:in, Mensabeschäftigten, mit dem Reinigungspersonal und den Professor:innen. Wir müssen uns dem Aufruf der Ben-Zait-Universität in der Westbank anschließen und diesen Genozid dort stoppen wo er beginnt. Wir müssen unsere Gewerkschaften auffordern, den internationalen Beispielen aus Kent und anderen Orten zu folgen und als Beschäftigte die Waffenlieferungen verhindern. Wir müssen uns den weltweiten Massenbewegungen anschließen, denen in UK mit einer Millionen Menschen auf den Straßen, dem internationalen Streik für Palästina, mit den Studierenden aus Harvard, mit jüdischen Menschen weltweit die keinen Völkermord vermeintlich in ihrem Namen mittragen wollen. Wir müssen auch hier die Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf stark machen – und zum 1000x Mal, das heißt nicht, dass wir die Strategien und Methoden der Hamas teilen – im Gegenteil. Wir stehen an der Seite der Unterdrückten und Arbeiter:innen in Palästina und Israel, und möchten mit ihnen gemeinsam kämpfen. Wir sind diese Uni und wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Arbeit, unser Wissen, unsere Uni für einen Krieg missbraucht wird.

Wir sind diese Universität und wir müssen uns gegen diesen Genozid stellen als eine geeinte Kraft, dafür brauchen wir ein Solidaritäts-Komitte was alle diese Kräfte bündelt, wenn wir dem deutschen Imperialismus ein Messer ins Herz stechen wollen.
In diesem Sinne: Hoch die internationale Solidarität, Freiheit für Palästina!

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