„Vorwürfe des Antisemitismus bringen auch Juden*Jüdinnen zum Schweigen“ – Interview mit der Jewish Antifa

10.02.2018, Lesezeit 4 Min.
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Am Sonntag führt Jackie Walker ein Theaterstück in Berlin-Neukölln auf. Walker, eine jüdische Schwarze Frau und Antirassismus-Aktivistin aus Großbritannien, wird seit einigen Jahren mit falschen Vorwürfen des Antisemitismus attackiert. Ein Interview mit der Jewish Antifa Berlin, die diese Veranstaltung organisiert.

Nicht alle Linke in Deutschland werden den Namen Jackie Walker kennen. Wer ist sie?

Jackie Walker ist eine jüdische Schwarze Frau und Mitglied der Labour Party. Sie war stellvertretende Vorsitzende von Momentum, einer Gruppe, die den linken Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn unterstützt.

Seit 2016 steht Jackie im Mittelpunkt eines Skandals. Ihr wurde fälschlicherweise Antisemitismus vorgeworfen. Sie wurde ihres Amtes bei Momentum enthoben und von der Labour Party suspendiert.

Während eines Workshops über Antisemitismus von der Jewish Labour Movement hat sie die Antisemitismus-Definition der IHRA in Frage gestellt. Konkret ging es um das Verhältnis zu anderen Formen des Rassismus sowie zu anderen Genoziden.

Es gab viel Empörung – aber warum? Es ist sicherlich legitim, wenn Juden*Jüdinnen bestimmte Definitionen des Antisemitismus kritisch hinterfragen, um eine Definition zu entwickeln, die viele Erfahrungen reflektiert.

Die Motivation hinter diesen Angriffen auf Jackie ist offensichtlich, dass sie in Solidarität mit den Palästinenser*innen steht und den Zionismus ablehnt. Das erklärt, weshalb pro-israelische Gruppen und Individuen sie weiter angreifen, obwohl sie bereits zahlreiche Klarstellungen und Kontextualisierungen angeboten hat.

Worum geht es in ihrem Theaterstück „The Lynching“?

In diesem Theaterstück wird Jackie auf der Bühne von ihrer Erfahrung berichten. Die Affäre soll in den breiteren Kontext von verschiedenen Erfahrungen des Rassismus und Antisemitismus gestellt werden. Gleichzeitig geht es um ihre individuelle Perspektive und ihre Familiengeschichte – als Tochter eines jüdischen Manns und einer Schwarzen Frau aus Jamaika.

Wo siehst du Parallelen zwischen den Vorgängen in der britischen Labour Party und Erfahrungen in der deutschen Linken?

Es gibt einen pro-israelischen Diskurs in Großbritannien, in Deutschland und anderswo, die „Juden*Jüdinnen“ mit „Zionismus“ gleichsetzt. Dieser Diskurs war nützlich für das Projekt der Schaffung eines Nationalstaates – aber er hat nie sein Versprechen eingelöst, den Antisemitismus auszumerzen. Ganz im Gegenteil: Auf der ganzen Welt finden wir viele Beispiele, wie Antisemitismus und Unterstützung für Israel friedlich nebeneinander existieren.

Interessant in dieser Hinsicht sind die Angriffe gegen den ehemaligen Labour-Vorsitzenden Ed Miliband. Rechte Zeitungen greifen Miliband mit antisemitischen Codes an – und die gleichen Zeitungen verbreiten nun eifrig falsche Vorwürfe des Antisemitismus gegen Corbyn.

An den meisten Orten ist die pro-Israel-Lobby ganz klar im rechten Spektrum positioniert. Aber in Deutschland ist diese Position auch in der Linken zu finden, oder zumindest bei manchen Bewegungen und Individuen, die sich als antirassistisch und antikapitalistisch verstehen.

Global betrachtet steht die Linke in Solidarität mit den Palästinenser*innen und ihrem Kampf gegen Besatzung und Kolonialismus. Doch in Deutschland wird man ignoriert und belästigt, wenn man eine ernsthafte Diskussion über den israelischen Staat führen will. Menschen, die sich als links verstehen, sind plötzlich still, oder sogar Kritik über die israelische Besatzung pauschal zum Schweigen bringen.

Im Fall von Jackie sehen wir, wie schwierig es ist, das Narrativ der Palästinenser*innen in den gesellschaftlichen Mainstream hineinzutragen. Der Rassismus hat sicherlich dazu beitragen, dass Jackie auf so rauer Art mundtot gemacht wurde. Es ist doch ironisch: falsche Vorwürfe des Antisemitismus bringen Menschen – auch Juden*Jüdinnen – zum Schweigen, wenn sie für Gleichheit und Gerechtigkeit eintreten.

Die Geschichte von Jackie ist ihre Geschichte. Aber diese Art von Diffamierung kennen viele Menschen, die in Solidarität mit den Palästinenser*innen stehen.

Die Genossin spricht auch auf der Konferenz „Zur Zeit der Verleumder“ am 10. Februar. Stehen diese Veranstaltungen in Verbindung?

Beide Veranstaltungen stehen nicht offiziell miteinander in Verbindung. Aber sie sind Teil eines weltweiten Trends. Es gibt viele Juden*Jüdinnen in Deutschland und anderswo, die die Gleichsetzung von Juden*Jüdinnen und ablehnen. Es gehört zur zionistischen Ideologie, Israel als jüdisches Heimatland vorzustellen – das passt auch für Menschen, die Juden*Jüdinnen lieber aus Europa rauswerfen möchten.

Doch unsere Heimat ist dort, wo wir sind. Wir beharren auf unsere Freiheit zu leben, so wie wir wollen, und unsere Meinung zu sagen, ohne Angst. Wir wollen eine Kritik des Zionismus als legitim etablieren in unserem lokalen Kontext. Wir wollen die tief sitzende, falsche Vorstellung hinterfragen, dass jüdische Identität und politische Unterstützung für Israel das Gleiche sein müssen.

The Lynching, by Jackie Walker. 11. Februar, 19 Uhr, Braunschweiger Str. 53

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