Vio.me-Arbeiter*innen verurteilen Syriza

17.11.2015, Lesezeit 9 Min.
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Die Fabrik Vio.me in Thessaloniki befindet sich schon seit drei Jahren unter Arbeiter*innenkontrolle. Nun soll das Gelände, auf dem sich die Fabrik befindet, versteigert werden. Die Arbeiter*innen von Vio.me verurteilen dies und rufen zu einer internationalen Solidaritätskampagne auf.

Nach dem die ehemaligen Besitzer*innen 2011 die Fabrik Vio.me aufgegeben hatten, wurde sie von den Arbeiter*innen besetzt. Kurze Zeit später begannen sie, unter Arbeiter*innenkontrolle ökologische Seife und Reinigungsmittel zu produzieren. Seitdem hält Vio.me stand, dank der Anstrengungen und der Kreativität der Arbeiter*innen und dank einer breiten Solidaritätsbewegung in Griechenland und darüber hinaus.

In einem Video, welches die Arbeiter*innen in diesen Tagen verbreiten, betont ein Arbeiter von Vio.me die Bedeutung der internationalen Solidarität, die sie von besetzten Fabriken in Argentinien erhalten haben – zum Beispiel von der Keramikfabrik Zanon, die unter Arbeiter*innenkontrolle geführt wird. Von den Erfahrungen in Argentinien haben die Arbeiter*innen von Vio.me viel gelernt.

„Dies passierte 2001 in Argentinien und so begannen die [besetzten] Fabriken. Auch dort war die Solidarität sehr wichtig. Aber das wichtigste war die innere Organisation der Fabrik. Sie schufen Kitas, Krankenstationen, Schulen. Dies zeigt, dass die Gesellschaft sich wieder neu erfinden kann. Wir können eine neue Gesellschaft erschaffen, die auf kollektiver Basis funktioniert.

Genoss*innen aus diesen Fabriken waren hier bei uns [das Bild zeigt ein Plakat, auf dem steht ‚Zanon und Vio.me unter Arbeiter*innenkontrolle‘]. Sie haben uns geholfen, unsere Sichtweite zu erweitern und uns Mut gegeben. Sie haben uns auch vor den Schwierigkeiten, die auf uns zukommen, gewarnt und vor denen, die sich uns in den Weg stellen würden.“

Heute bieten die Arbeiter*innen von Vio.me neuen Hindernissen die Stirn. Deshalb ist heute mehr denn je internationale Solidarität notwendig.

Wir führen ein Interview mit Theodoros Karyotis vom Vio.me-Solidaritätskomitee in Thessaloniki über die aktuelle Situation in der Fabrik und die internationale Solidaritätskampagne.

Wie ist die aktuelle Situation bei Vio.me?

Derzeit produziert Vio.me unter Arbeiter*innenkontrolle und das funktioniert ziemlich gut. Aber gleichzeitig gibt es einen Kampf um die rechtliche Situation. Nach einigen Gerichtsverfahren hat nun ein vom Staat ernannter Konkursverwalter vom Gericht die Erlaubnis erhalten, das Gelände des Betriebs zu versteigern. Die Situation ist komplex, denn Vio.me ist das Tochterunternehmen eines anderen bankrotten Unternehmen, Philkeram. Das Gelände, das in der Auktion verkauft werden soll, gehört Philkeram. Auf ungefähr einem Achtel dieses Geländes befindet sich Vio.me.

Es soll nun verkauft werden, um die Gläubiger*innen von Philkeram zu befriedigen, also die Gläubiger*innen der Muttergesellschaft, nicht die von Vio.me. Es heißt, dass der Erlös auch dazu da ist, die Arbeiter*innen auszuzahlen. Aber sie werden dieses Geld nie bekommen, weil sie auf der Liste der Gläubiger*innen nicht weit oben stehen. Und die Arbeiter*innen von Vio.me werden [im Gerichtsverfahren] natürlich gar nicht erst erwähnt.

Die Forderung der Arbeiter*innen von Vio.me ist es, das Gelände von Vio.me vom Gelände von Philkeram zu trennen. Sie fordern den Staat auf, das Grundstück, auf dem Vio.me liegt, zu enteignen und der Kooperative der Arbeiter*innen zu übergeben.

Die Erklärung der Versammlung der Arbeiter*innen von Vio.me verurteilt die Rolle von Syriza. Als sie noch in der Opposition war, hatte Syriza versprochen, den Konflikt zu lösen. Sobald sie an der Regierung war, hat sie sich aber nicht mehr um die Situation gekümmert. Die Arbeiter*innen sagen, dass es „die ‚große Errungenschaft‘ nach acht Monaten Regierung ist, den Kampf um Vio.me den Machenschaften des Justizsystems zu überlassen.“ Welche Rolle spielt Syriza im Konflikt?

Zur Zeit hat die politische Macht keinerlei Interesse daran, den Kampf bei Vio.me zu unterstützen.

Die Syriza-Regierung tut so, als ob sie eine „neutrale“ Haltung hätte, aber in Wirklichkeit existiert keine neutrale Haltung. Diese neutrale Haltung bedeutet nämlich, den Interessen der Unternehmer*innen und Richter*innen freie Hand zu lassen und diese wollen Vio.me auflösen.

Am 26. November diesen Jahres findet die erste Versteigerung statt und die Arbeiter*innen rufen dazu auf, sie zu blockieren und zu verhindern. Wie geht der Kampf weiter?

Das Gericht hat im März einen Preis für den Verkauf festgesetzt. Er liegt bei 30 Millionen Euro für das gesamte Gelände von Philkeram. Das ist sehr viel, deshalb denken wir, dass es bei den ersten drei Versteigerungen vielleicht keine Interessent*innen geben wird. Wenn es keine Käufer*innen gibt, wird in einem neuen Gerichtsverfahren ein niedrigerer Preis festgesetzt und es gibt drei weitere Versteigerungen. Dies geht so lange weiter, bis ein*e Käufer*in gefunden ist. Deshalb kann der Verkaufsprozess sehr lange dauern; wir rechnen mit einigen Monaten.

Trotzdem ist es sehr wichtig für uns, gegen diesen Prozess zu demonstrieren und die Versteigerung zu blockieren. Und zwar aus verschiedenen Gründen: Einerseits demonstrieren wir so möglichen Käufer*innen unsere Entschlossenheit. Andererseits schaffen wir Sichtbarkeit und ein Bewusstsein für den Kampf bei Vio.me.

Ihr ruft zu einem Tag der internationalen Solidarität auf. Was erwartet ihr von internationalen Aktionen?

Wir denken, dass internationaler Druck die Regierung dazu bewegen könnte, Maßnahmen zu ergreifen. Außerdem wollen wir so Bewusstsein und Sichtbarkeit für unseren Kampf herstellen.

Wir rufen international alle solidarischen Menschen dazu auf, uns zu unterstützen, und zwar auf verschiedene Arten. Erstens ist es wichtig Informationen zu verbreiten. Es gibt eine spannende Dokumentation (https://www.youtube.com/watch?v=2Fg2akSUvFM mit englischen Untertiteln), die kürzlich über Vio.me gedreht wurde. Sie ist kurz und sehr gut, weil sie die Versammlungen von Vio.me und den Kampf aus dem Inneren heraus zeigt.

Außerdem bitten wir darum, eine Unterstützungserklärung zu unterschreiben und uns zuzusenden. Und es kann zu Solidaritätsaktionen aufgerufen werden. Am meisten Effekt haben Kundgebungen vor griechischen Botschaften und Konsulaten, bei denen Unterschriften an die Verantwortlichen der Botschaft übergeben werden, damit diese sie an das Arbeitsministerium weiterleiten.

Allgemein freuen wir uns über jede Art von Verbreitung und Aktion. Es wäre hilfreich, wenn uns Informationen und Fotografien von Solidaritätsaktionen geschickt werden, damit wir sie hier zeigen können.

Die Fabrik Vio.me ist nun schon seit drei Jahren unter Arbeiter*innenkontrolle. Was ist die Bedeutung dieser Erfahrung für die Kämpfe der Arbeiter*innen, angesichts der aktuellen Krise?

Griechenland ist ein Beispiel dafür, wie sich das Akkumulationsmodell des Kapitals international ändert. Dieser Wandel, der von einem heftigen Prozess der Strukturanpassung begleitet wird, hat einen sichtbaren und direkten Effekt. Große Teile der Bevölkerung werden arbeitslos. Die einzige Möglichkeit, unser Wohlergehen sicherzustellen und die Produktion den Bedürfnissen der Gesellschaft unterzuordnen, liegt darin, dass die Arbeiter*innen die Produktionsmittel in ihre eigenen Hände nehmen – und nicht nur die Produktionsmittel, sondern alle Mittel des Lebens, zum Beispiel die Erziehung oder das Gesundheitssystem. Der Staat hat bewiesen, dass er ein Verbündeter des Kapitals ist und immer seine Vorteile und seine Akkumulation sichert.

Zum Schluss: Erzähl uns davon, wie in Thessaloniki der Generalstreik am Donnerstag, den 12. November, ablief.

Wir sind ziemlich zufrieden mit diesem Streiktag, weil er nach einer langen Zeit stattfand, in der die Leute gelähmt waren. Er fand statt nach einem Sommer, in dem die Medien nicht aufhören wollten zu wiederholen, dass wir am Rande des Bankrotts stünden und deshalb die Austeritätsmaßnahmen akzeptieren müssten. Und er fand statt, nachdem die Regierung alle Versprechen gebrochen und alle Erwartungen und Hoffnungen der Leute verraten hat. Lange Zeit wussten die Leute nicht, wie sie darauf reagieren sollten.

Dieser Streik ist die erste große Antwort, mit großen Kundgebungen und Demonstrationen in allen griechischen Städten, die teilweise recht gewalttätig geworden sind, besonders in Athen.

Der Streik hat auch das wahre Gesicht der aktuellen Regierung gezeigt. Und zwar, dass sie sich nicht von den vorherigen unterscheidet. Sie setzt ebenso Austeritätsmaßnahmen durch, und antwortet auf Stimmen, die diese Maßnahmen hinterfragen, mit Repression, so wie alle Regierungen vor ihr.

Wir von Vio.me rufen immer zu einer getrennten Demonstrationen auf, die sich am Schluss der großen Demonstration anschließt. Unsere Auftaktkundgebung findet aber nicht gemeinsam mit den großen Gewerkschaftsdachverbänden und der Gewerkschaftsbürokratie statt, die die Interessen der Unternehmer*innen und der Regierung vertreten.

Dieses Jahr war das ein ziemlicher Erfolg: Wir haben eine Solidaritätskarawane organisiert. Dies ist eine Möglichkeit, horizontale Verbindungen zwischen den verschiedenen kämpfenden Sektoren der Arbeiter*innenklasse herzustellen, ohne die Vermittlung der traditionellen Gewerkschaften.

Dieses Jahr wollten wir unsere Demonstration vor einer Lokalzeitung, die geschlossen wurde und Hunderte Arbeiter*innen auf die Straße gesetzt hat, beenden, aber die Repressivkräfte haben das nicht zugelassen.

Die Solidaritätserklärung mit der Arbeiter*innen von Vio.me kann hier heruntergeladen werden. Die Unterschriften können an protbiometal@gmail.com zurückgesandt werden.
Seid solidarisch und verbreitet den Kampf von Vio.me!

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