USA: Zehntausende Arbeiter*innen im „Streik für Schwarze Leben“

23.07.2020, Lesezeit 10 Min.
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Zehntausende Arbeiter*innen nahmen am 20. Juli am "Streik für Schwarze Leben" teil. Die landesweite Aktion markierte einen Fortschritt in der Beteiligung der Arbeiter*innenbewegung am landesweiten Aufstand gegen die Krise und den strukturellen Rassismus. Doch sie zeigte auch die klaren Grenzen der Kollaboration der Gewerkschaftsführungen mit Politiker*innen und ihre mangelnde Bereitschaft, die wahre Macht der Arbeiter*innenklasse einzusetzen.

Bild: Paul Sancya/AP

Am Montag, den 20. Juli, nahmen zehntausende Arbeiter*innen in zweihundert Städten der Vereinigten Staaten an Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen im Rahmen des „Streiks für Schwarze Leben“ teil. Die Mobilisierungen wurden von 60 verschiedenen Gewerkschaften und Organisationen organisiert, darunter die Dienstleistungsgewerkschaft SEIU, die Lehrer*innengewerkschaft American Federation of Teachers, die Movement for Black Lives und die U.S. Youth Climate Strike Coalition. Die Aktionen reichten von kurzen Arbeitsunterbrechungen bis hin zu Streiks und Kundgebungen während des ganzen Tages. Beschäftigte aus verschiedenen Sektoren, von Reinigungskräften und Krankenpfleger*innen bis hin zu Landarbeiter*innen und Beschäftigten in der Gastronomie, griffen den Aufruf auf und wiesen auf die schlechten Arbeitsbedingungen und die historischen Ungerechtigkeiten hin, mit denen Schwarze und Braune Beschäftigte konfrontiert sind – insbesondere diejenigen, die vor und während der Pandemie gezwungen waren, Niedriglohnarbeit in prekären Arbeitsverhältnissen zu verrichten, sowie diejenigen, die vor der Wiedereröffnung der Wirtschaft ohne angemessenen Schutz und Entlohnung stehen.

Angesichts des landesweiten Aufstands gegen Rassismus und Polizeiterror waren die Aktionen der Arbeiter*innen an der Basis der Gewerkschaften ein mitreißendes Zeichen der Solidarität und der lebenswichtigen Notwendigkeit für die Arbeiter*innenbewegung, sich mit der Bewegung auf den Straßen zu verbinden, deren Dynamik abnimmt und die immer mehr der Repression ausgesetzt ist; es war ein deutlicher Fortschritt in der Beteiligung der Arbeiter*innenbewegung, die sich bisher meist auf Solidaritätsbekundungen beschränkt hatte. Angeführt und organisiert von Gewerkschaftsführungen und Non-Profit-Organisationen, die kaum die Absicht hatten, diese Ungerechtigkeiten über die Lobbyarbeit für ein paar Gesetzesänderungen und ein wenig zusätzliche Medienaufmerksamkeit hinaus anzugreifen, war dieser Aktionstag jedoch nur ein Hauch der vollen Macht, die die Arbeiter*innenklasse zur Verteidigung des Lebens der Schwarzen gegen Rassismus und kapitalistische Ausbeutung mobilisieren könnte.

In Kalifornien veranstalteten die Gewerkschaften große Proteste in ganz Los Angeles, San Francisco und Oakland. Eine Karawane von Hunderten von Autos zog durch die Straßen im Süden von Los Angeles, wobei Schilder in Englisch und Spanisch mit Parolen wie „Black Lives Matter“ und sogar „Abolish USC Police“ („Campuspolizei der Universität von Südkalifornien abschaffen“) versehen waren. Die Karawane hielt vor einem McDonald’s an und blockierte den Verkehr für 8 Minuten und 46 Sekunden, die Zeit, in der der Mörder-Polizist Derek Chauvin auf George Floyds Hals kniete und ihn ermordete.

Viele der Aktionen im ganzen Land, darunter die in Los Angeles, Chicago und anderen Großstädten, richteten sich gegen den Fastfood-Giganten McDonald’s, der eine lange Geschichte rassistischer Diskriminierung hat. In jüngster Zeit wurde McDonald’s vorgeworfen, sich während der Pandemie geweigert zu haben, den Beschäftigten angemessene Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen. Wie Angely Rodriguez Lambert, eine McDonald’s-Mitarbeiterin in Oakland, gegenüber dem Radiosender NPR erklärte: „Wir treten in den Streik, weil McDonald’s und andere Fast-Food-Unternehmen uns bei der Pandemie nicht geschützt haben, als sie die Schwarzen und Braunen Gemeinden im ganzen Land heimgesucht hat… Wir werden uns weiterhin zusammenschließen und unsere Stimme erheben, bis McDonald’s und andere Unternehmen mit Taten reagieren, die zeigen, dass sie unser Leben wirklich schätzen.“

Fastfood-, Sanitär- und Pflegeheimarbeiter*innen in Detroit legten ebenfalls ihre Arbeit nieder, um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu fordern. Die Arbeitsniederlegungen wurden in erster Linie rund um die Kampagne der SEIU für einen Mindestlohn von 15 Dollar organisiert, eine Forderung, die im Zusammenhang mit der Pandemie und der Wirtschaftskrise neue Bedeutung gewonnen hat. Gezwungen, sich für den kapitalistischen Profit in Gefahr zu begeben, fordern die lebensnotwendigen Arbeiter*innen angemessenen Schutz und höhere Löhne sowie das Recht, sich für ihre Interessen in Gewerkschaften zu organisieren.

Aber der landesweite Aktionstag erstreckte sich über die großen Städte hinaus auch auf die ländlichen Gebiete, wo Tausende von Arbeiter*innen, viele von ihnen Nicht-Weiße und Migrant*innen ohne Papiere, als Niedriglohnarbeiter*innen und prekäre Landarbeiter*innen schuften. Weinbauarbeiter*innen im Yakima-Tal im Bundesstaat Washington legten aus Solidarität mit der Black-Lives-Matter-Bewegung und angesichts der gemeinsamen Ausbeutung, der die Arbeiter*innen im Kapitalismus ausgesetzt sind, für neun Minuten die Arbeit nieder. Die an der Arbeitsniederlegung beteiligten Arbeiter*innen hielten Schilder wie „Campesinos en apoyo de Black Lives Matter! („Bäuer*innen unterstützen Black Lives Matter!“) und „Nadie es libre hasta que todos somos libres!“ („Keine*r von uns ist frei, bis wir alle frei sind!“). In einer Erklärung, in der sie die Arbeitsniederlegung und die Unterstützung des Streiks für Schwarze Leben ankündigte, griff die Gewerkschaft United Farm Workers auf die Vermächtnisse von Cesar Chávez und Martin Luther King Jr. zurück und bekundete ihre Solidarität mit den Protesten gegen Polizeigewalt auf den Straßen: „Diese Bewegung reicht von den Straßen unserer Städte bis zu den Feldern und Obstgärten, die dieses Land ernähren.“

In New York organisierten verschiedene Gewerkschaften trotz der großen Hitze Aktionen in der ganzen Stadt und zogen Krankenpfleger*innen, Pförtner*innen, Fahrer*innen und Bauarbeiter*innen auf die Straßen. Eine Demonstration versammelte sich vor dem Trump Tower, wo sich den Demonstrant*innen der demokratische Senator Chuck Schumer anschloss, der diese weithin publik gemachte Gelegenheit nutzte, um im Kongress für die Verabschiedung des HEROES-Gesetzes zu werben. Dieses Konjunkturpaket in Höhe von drei Billionen Dollar bietet denselben Großkonzernen, gegen die die Teilnehmer*innen des Streiks für Schwarze Leben kämpfen, reichlich Schutz, trägt aber wenig dazu bei, das Leben von Arbeiter*innen zu schützen, die unter den Auswirkungen der Pandemie und der Wirtschaftskrise leiden.

Hierin liegt der Widerspruch des „Streiks für Schwarze Leben“. Der Marsch brachte verschiedene Sektoren der Arbeiter*innenklasse auf die Straße und verknüpfte den Staatsterror, dem die Schwarzen ausgesetzt sind, ausdrücklich mit der Ausbeutung von Schwarzen und Braunen und prekären Arbeiter*innen am Arbeitsplatz. Er wurde jedoch von Gewerkschaftsführungen und Organisationen, die sich für soziale Gerechtigkeit engagierten, organisiert, die der Demokratischen Partei verpflichtet sind. Sie sind nicht bereit, ein System in Frage zu stellen, das die Unterdrückung der Arbeiter*innen zur Folge hat. Daher zielte die landesweite Aktion darauf ab, kaum mehr als die Sichtbarkeit verschiedener Gesetzesvorschläge zu erreichen, die „unsere Wirtschaft und Demokratie neu gestalten“ sollen, und öffentlichen Druck auf die Unternehmen auszuüben, damit diese geringfügige Änderungen an den Maßnahmen und den Bedingungen vornehmen.

Einfach ausgedrückt: Die Arbeiter*innenklasse kann sich nicht mit ihren Feinden verbünden, wenn wir unsere Forderungen durchsetzen wollen. Kein Versuch, den Schwarzen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, kann über die Demokratische Partei laufen, die in einem Atemzug „Black Lives Matter“ sagt und im nächsten Spargesetze und Rettungsaktionen für Unternehmen verabschiedet, die den Schwarzen und Braunen Arbeiter*innen überproportional schaden.

Die Demokratische Partei ist kein Freund der Arbeiter*innen oder der Black-Lives-Matter-Bewegung, ebenso wenig wie Gewerkschaftsführungen, die sich weigern, echte Streiks für Forderungen zu organisieren, die tatsächlich bessere Bedingungen und Positionen für die Arbeiter*innenklasse erreichen könnten, wie z.B. den Rauswurf von Polizist*innen aus den Gewerkschaften oder die Forderung nach einem Ende der Entlassungen angesichts einer sich vertiefenden Wirtschaftskrise. Und wenn Gewerkschaften ihre Solidarität mit der Black-Lives-Matter-Bewegung über symbolische Arbeitsniederlegungen hinaus zeigen wollten, würden sie ihre Streikmöglichkeiten nutzen, um gegen die unglaublichen Repressionen zu protestieren, die den Demonstrant*innen in Portland und anderen Städten durch Donald Trump sowie demokratische Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen zugefügt werden.

Im „Streik für Schwarze Leben“ sehen wir das Potenzial für eine echte Arbeiter*innenbewegung, die gegen Rassismus, Staatsterror und wirtschaftliche Unterdrückung kämpft. In den Zehntausenden von Arbeiter*innen, die nicht nur an den Aktionen vom Montag, sondern auch an der Protestwelle der letzten zwei Monate teilgenommen haben, können wir den Willen der Arbeiter*innenklasse erkennen, gegen Unterdrücker*innen zu kämpfen, die sie für den Kauf von Lebensmitteln töten und sie mitten in einer Pandemie in den Tod schicken würden, um Profit zu machen. Aber um diesen Wut und Macht anzuzapfen, müssen sich die Arbeiter*innen an der Basis den Befriedungsversuchen ihrer Gewerkschaftsführungen widersetzen und echte, anhaltende Streiks um radikale Forderungen herum organisieren, in breiten Sektoren gewerkschaftlich organisierter und nicht organisierter Arbeiter*innen. Mit dieser Art von Aktionen könnte die Arbeiter*innenklasse weit mehr zur Verteidigung des Lebens der Schwarzen tun als symbolische Gesten. Wie der Arzt und SEIU-Mitglied Mike Pappas kürzlich schrieb:

Wenn wir es schaffen, uns an unseren Arbeitsplätzen und in unseren Nachbarschaften gewerkschaftlich zu organisieren, könnten wir das System stoppen, Millionen auf die Straße mobilisieren, und, was am wichtigsten ist, die Macht der Arbeiter*innen gegen Rassismus zeigen. Und diese Organisierung wird mehr erfordern, als ein Datum festzulegen und die Presse anzurufen. Sie wird im Allgemeinen die langsame Arbeit erfordern, Komitees aufzubauen, Versammlungen an den Arbeitsplätzen einzuberufen, zwischen den verschiedenen Industriezweigen zu koordinieren und auf unzählige andere Möglichkeiten die für einen Streik notwendigen Strukturen zu schaffen. Und obwohl es harte Arbeit sein wird, könnte die Unterstützung für eine solche Aktion massiv sein.

Dieser Artikel erschien zuerst am 22. Juli 2020 auf Englisch bei Left Voice.

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