Unsere Körper, unsere Entscheidung

15.09.2016, Lesezeit 4 Min.
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Reaktionäre „Lebensschützer*innen“ hetzen unter dem Deckmantel der traditionellen Familie und kirchlicher Werte gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen* und LGBTI*-Menschen.

Die „Lebensschützer*innen“ setzen sich mit ihrer beengten Weltsicht radikal über das Selbstbestimmungsrecht der Frauen* hinweg. Sie wollen uns vorschreiben, was mit unseren Körpern geschieht, indem sie uns unser erkämpftes – und immer noch zu stark eingeschränktes – Recht auf Abtreibung nehmen wollen. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass eine ungewollte Schwangerschaft sehr viel Schaden anrichten kann. Dass dem Kind manchmal weder eine emotionale, noch eine materielle Basis geboten werden kann. Dass die Schwangere in finanzielle und psychische Nöte gedrängt wird, falls sie sich nicht dafür entscheiden kann, sich einer Abtreibung zu unterziehen. Dass in vielen Ländern illegalisierte Abtreibungen aufgrund ihrer Heimlichkeit Leben kosten.

„Jedes Leben ist gleich viel wert“ ist die Losung der Reaktionär*innen – aber sie räumen dem Haufen befruchteter Eizellen mehr Wert ein, als der Frau*, die sie austrägt. Ihre Logik ist: Der weibliche Körper hat Allgemeingut zu sein, über den andere entscheiden können. Auch LGBTI*- Menschen haben in dieser engen Weltsicht keinen Platz. Anhand der Bibel wird argumentiert, Homosexualität oder eine nicht-binäre Geschlechterzuordnung sei pervers und nicht gottgewollt. In ihrer „traditionellen“ Familie ist kein Platz für andere Rollen als die des männlichen Oberhauptes, der das Geld verdient, und der Frau, die sich um Heim und Kinder kümmert.

Woher kommt das Wiedererstarken dieser reaktionären Ideen?

Durch die Wirtschafts- und Migrationskrise fühlen sich die Kleinbürger*innen in ihren weitestgehend sicheren Verhältnissen bedroht. In ihrer Verzweiflung klammern sie sich an das „Alte“, als Deutschland noch nicht „überfremdet“ war und alles noch seine enge „Ordnung“ hatte.

Die Begründung des Schützens ungeborener „Leben“ ist nur ein Vorwand, um veraltete, repressive Normen zu wahren, die mit dem Gefühl der Normalität und Sicherheit einhergehen.

Doch nicht nur konservative Reaktionär*innen verteidigen diese Einstellung. Auch Bossen und Großunternehmen kommt die Bewahrung der traditionellen Familie zu Gute: Trotz aller Veränderungen fällt die Erziehung und Betreuung der Kinder weiterhin größtenteils den Frauen* zu. Meist unbezahlt neben der Lohnarbeit. So lassen sich prekäre Arbeitsverhältnisse schaffen und es wird zudem so billig wie möglich für Nachschub ausbeutbarer Arbeiter*innen gesorgt. Die Zurückdrängung der Frau* in das traditionelle Rollenbild ist somit eine fruchtbare Strategie des Kapitalismus – besonders in Krisenzeiten.

Besonders Frauen* der Arbeiter*innenklasse sind von dieser Repression betroffen: Durch eine Schwangerschaft und die darauf folgende Pause ist ihr Arbeitsplatz gefährdet. Allein durch die Möglichkeit, schwanger zu werden und dadurch auszusetzen, wird ihr häufig von vornherein weniger Lohn gezahlt, oder sie wird gar nicht erst eingestellt. In Ländern, wo Abtreibungen illegalisiert sind, können die Wenigsten das Geld aufbringen, im Zuge einer ungewollten Schwangerschaft in ein anderes Land zu reisen, und den Eingriff dort vornehmen zu lassen. Durch illegale Abtreibung kommt es oftmals zu Verletzungen oder gar dem Tod.

Und da zeigt sich das Paradoxon des Spruches „Jedes Leben ist gleich viel wert“: Warum wird das Leben und Wohlergehen der Frau aufs Spiel gesetzt? Warum ist das Leben Homosexueller, oder nicht-binärer Geschlechter nichts wert?

„Wert“ ist nur der*diejenige, der*die sich dem verengten Familienbild anpasst, womit noch ein Mal bewiesen wäre, dass es nicht um irgendeinen Schutz von „Leben“ geht, sondern nur um die Verteidigung des patriarchalen Weltbildes.

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