Ukraine: Nach Minsk II und Debalzewe

24.02.2015, Lesezeit 5 Min.
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// Was ist das zweite in Minsk ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen wert? //

Bis vor wenigen Tagen kannte kaum ein Mensch die Stadt Debalzewe, welche zwischen den beiden SeparatistInnenhochburgen Donezk und Lugansk im Osten der Ukraine liegt. Die Kleinstadt ist jedoch ein wichtiger Knotenpunkt des Eisenbahnverkehrs, weshalb sie so stark umkämpft war. Bis zu 8.000 SoldatInnen der ukrainischen Streitkräfte sollen zwischenzeitlich dort eingekesselt worden sein und sich trotz dem zweiten Waffenstillstandsabkommen „Minsk II“ noch heftige Gefechte geliefert haben, ehe sie die Stadt räumen mussten, um einen wichtigen Teil ihrer ohnehin schon geschwächten Armee zu retten. Dennoch gerieten viele auch in Gefangenschaft und werden nun in den Medien der SeparatistInnen als reuige SoldatInnen präsentiert, die die Kiewer Führung kritisieren und einen Frieden mit dem „großen Brudervolk“ anstreben. Die fast völlig zerstörte Stadt ist nun unter Kontrolle der prorussischen SeparatistInnen. Damit konnten sie seit dem letzten Minsker Abkommen weitere Landgewinne verzeichnen und stehen im Südosten des Landes auch vor der Stadt Mariupol, welches die letzte größere Stadt vor der Krim ist.

Ein schon totes Abkommen?

Eben diese Stadt am Asowschen Meer war es auch, die Angela Merkel und François Hollande dazu bewegten, so schnell wie möglich mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko sowie seinem russischen Pendant Wladimir Putin über ein neues Waffenstillstandsabkommen zu verhandeln – nachdem das letzte im Herbst 2014 ausgehandelte Abkommen nach dem Raketenbeschuss der Hafenstadt offensichtlich zur Makulatur wurde. Mehrmals sollen die Verhandlungen kurz vor dem Scheitern gestanden haben. Am Ende gelang es allen Parteien zwar nicht einmal mehr eine gemeinsame Pressekonferenz abzuhalten, jedoch konnte nach einem 17-stündigen Verhandlungsmarathon eine Lösung präsentiert werden.

Diese Lösung sah eine Feuerpause ab dem 15. Februar um 24 Uhr sowie einen schrittweisen Abzug schwerer Waffen auf beiden Seiten vor. Voraussetzung hierfür sollte eine gegenseitige Pufferzone mit jeweils 50 km auf beiden Seiten sein. Während sodann zu großen Teilen der Frontlinie das Feuer beendet wurde – nicht ohne bis dahin so viel wie möglich geschossen zu haben, – ging der erbitterte Kampf um Debalzewe weiter. Und das mit einer Härte, die bisher unbekannt war in diesem Kriege – abgesehen vom ähnlich umkämpften Donezker Flughafen ab, welcher nun ebenfalls komplett zerstört und in Händen der SeparatistInnen ist.

Beide Seiten hatten schon nach dem ersten Abkommen im September 2014 kein gegenseitiges Vertrauen oder Hoffnung auf einen baldigen Frieden. Auch nach diesem neuen Abkommen traten sie sehr pessimistisch auf. Es stellt sich die Frage, ob nicht auch dieses Abkommen bereits gescheitert ist. Die ukrainische Seite ging mit einer klaren Niederlage aus den Verhandlungen und dem Kampf um Debalzewe hervor, wo sie gegen Menschen verlor, die angeblich „gestern noch Bergarbeiter oder Traktorfahrer waren“ – so Wladimir Putin, der sich auch als Sieger der Verhandlungen fühlte, da die SeparatistInnen mit russischer Hilfe in der Lage waren, militärische Fakten zu schaffen.

Beide Seiten sind unzufrieden und habe den Willen weiterzukämpfen. Auf ukrainischer Seite bekommt die Kiewer Regierung besonders von rechts massiven Druck, wo auf eine militärische Lösung samt einer weiteren Mobilmachung und der Verhängung des Kriegsrechts gepocht wird. Die SeparatistInnen dagegen haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie weitere Städte wie Charkiw oder Dnjepropetrowsk „befreien“ wollen, da auch dort ein großer Anteil an russischsprachigen Menschen vorliegt.

Eine diplomatische Lösung?

Warum wurden überhaupt so lange Verhandlungen geführt, da der Konflikt offensichtlich nicht am Verhandlungstisch sondern auf dem Schlachtfeld entschieden wird? Es ist besonders die deutsche Seite, die eine diplomatische Lösung sucht, oder zumindest damit (vorerst) den Konflikt einfrieren will. So ist auch Merkel bisher gegen Waffenlieferungen oder eine weitere Aufrüstung der Kiewer Armee durch die NATO. Damit wird gleichzeitig die militärische Überlegenheit der SeparatistInnen samt ihrer russischen Schutzmacht anerkannt und mit zähen diplomatischen Verhandlungen versucht Zeit zu gewinnen.

Das Bedürfnis eines Waffenstillstandes entspringt dem deutschen Regime nicht aus einem „humanitären“ oder pazifistischen Geist, sondern aus ökonomischen und geopolitischen Interessen. Das Kiewer Regime wird dafür zum Beispiel mithilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit Krediten zugeschüttet, jedoch gegen die Zusage von harten Sparmaßnahmen, die letztes Jahr etwa zu einer Verdoppelung der Wohnnebenkosten führten. Zugleich zeigten Merkels Verhandlungen das deutsche Bestreben immer stärker aus dem Schatten der USA zu treten. Statt Obama war es Merkels wichtigster europäischer Verbündeter, François Hollande, der mit ihr bei den Verhandlungen auftrat.

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