Uberisierung und Ausbeutung – Das wahre Gesicht des „kollaborativen“ Kapitalismus

11.07.2017, Lesezeit 10 Min.
Übersetzung:
1

„Kollaborativer Kapitalismus“, Scheinselbstständige, Prekarisierung. Was steht hinter diesen neuen kapitalistischen Geschäftsformen?

Die kollaborativen Apps oder die Uberisierung der Wirtschaft

Plattformen wie Uber, Airbnb, Deliveroo und andere stützen sich auf ein allgemeines Prinzip: Apps auf Smartphones ermöglichen es der klugen Marketingstrategie dazu benutzt, Menschen, die Güter oder Dienstleistungen anbieten, mit anderen „zu vernetzen“. Demzufolge würde die Wirtschaft des „Zugriffs“ die Wirtschaft des „Eigentums“ ersetzen. Die Plattformen treten nur als „Vermittler“ oder neutrales Instrument für die Vermittlung sozialer Beziehungen zwischen Menschen auf, als Art „soziale Netzwerke“ für den kollaborativen Austausch. Es scheint so, als würde Karl Marxens Definition des Warenfetischs, nach der zufolge sich die Beziehungen zwischen Personen als Beziehungen zwischen Dingen ausdrücken, wie durch die Zauberkraft der Technologie aufgelöst haben.

Indem sie dieses Prinzip zu Ende führen, träumen die Götzen dieses „kollaborativen“ Kapitalismus vom Ende der Arbeit, wie wir sie heute kennen. Einige, wie der Wirtschaftsberater der Europäischen Union Jeremy Rifkin, sprechen von der „dritten industriellen Revolution“, die zwar nicht zum vollständigen Verschwinden der Arbeit führe, jedoch ein „Mischsystem aus Marktwirtschaft und kollaborativer Wirtschaft“ schaffe.

Ein Bericht der Europäischen Kommission „European agenda for the collaborative economy“ (2016) hebt hervor, dass dieser Geschäftszweig seine Gewinne in Europa verdoppelt hat auf insgesamt 28 Milliarden Euro.

Die Ideologie, die diese „neue Form der Wirtschaft“ begleitet, stellt sie als „Kollaboration“ dar, als würde sie eine freie Beziehung zwischen Dienstleistungen und Bedürfnissen ohne Vermittlung von Kapital ermöglichen. Das „Sharewashing“ (also das Darstellen und Verkaufen mit der Idee des „Teilens“) ist eine neue Praktik vieler Unternehmen. Damit steht es in einer Reihe mit dem „Greenwashing“, das von Unternehmen benutzt wird, die sich als besonders umweltfreundlich darstellen, und dem „Pinkwashing“, mit dem sich Unternehmen als besonders gayfriendly darstellen, um mehr zu verkaufen. Dadurch verwandeln sich gewerbliche Handlungen wie Verkaufen, Kaufen oder Mieten in einfaches „Teilen“.

Dieser Diskurs nimmt die Ideen der „Kollaboration“ und des „Tauschhandels“ auf, die besonders nach der kapitalistischen Krise von 2007 Aufwind gewannen. Gleichzeitig verbindet er diese Ideen mit neoliberalen Praktiken und Gemeinplätzen: die Idee des Entrepreneurs, des*r Arbeiter*in-Unternehmer*in, der*die sich selbst in einer freien Welt voller Möglichkeiten zu Reichtum verschafft. Wilder Kapitalismus in der Hipster-Ära.

Märchen und Wahrheiten der „neuen“ Wirtschaft

Doch hinter den erfolgreichsten „kollaborativen“ kapitalistischen Geschäften steht in Wirklichkeit das konzentrierteste Finanzkapital durch große Investmentfonds und die brutalste kapitalistische Ausbeutung durch den fortwährenden Verlust von Arbeitsrechten und zunehmender Prekarität.

Uber ist ein Unternehmen, dessen Wert bei 70 Milliarden US-Dollar liegt. Bis vor kurzem war der Multi-Milliardär Travis Kalanick CEO. Sein Privatbesitz wird auf 6,3 Milliarden US-Dollar geschätzt und bis Februar dieses Jahres war er Berater von Donald Trump. Seine Laufbahn als Uber-CEO wurde als große US-amerikanische Geschichte des „erfolgreichen Unternehmens“ verkauft, doch sie ist gespickt von Vorfällen sexueller Belästigung innerhalb des Unternehmens, die von der Geschäftsleitung verheimlicht werden, Industriespionage und Plagiaten von der Konkurrenz. Das Erfolgsgeheimnis liegt in der verallgemeinerten Verletzung von den Arbeitsrechten der Fahrer*innen und darin, dass sich das Unternehmen von jeglichen zusätzlichen Arbeitskosten wie Kranken- oder Rentenkasse und Urlaub losgesagt hat.

In Seattle haben die Fahrer*innen von Uber Ende 2015 ein historisches Gerichtsurteil erreicht, das die gewerkschaftliche Organisierung bei Uber erlaubt, woraufhin das Unternehmen mit einer Klage gegen die Stadt antwortete. Uber sieht die Fahrer*innen als „selbstständige Unternehmer*innen“ an, denen sie es nur erleichtert, sich mit ihren „Klient*innen“ per App in Verbindung zu setzen, jedoch keine Arbeitsbeziehung zu ihnen hat. Diese Idee ist pervers: Die Arbeiter*innen verlieren alle ihre Rechte, weil sie jetzt Unternehmer*innen sind! Was für eine kreative Idee, um mehr auszubeuten. Vor kurzem erschien im The Wall Street Journal ein Bericht, dass Uber die Fahrer*innen in Seattle aufforderte, einen Podcast mit gewerkschaftsfeindlichem Inhalt zu hören, bevor sie freigeschaltet werden. In diesem Podcast wurde vor den „Fehlern“ gewarnt, die das „Geschäft“ stören würden und die Fahrer*innen wurden dazu angehalten, „ihre Freiheit zu verteidigen“ gegenüber den Gewerkschaften. Bis heute versuchen die Arbeiter*innen von Uber Seattle, eine Gewerkschaft aufzubauen, was auch bei Fahrer*innen in anderen Städten wie New York oder San Francisco verfolgt wird.

In Europa hat die Konfrontation zwischen spanischen oder französischen Taxi-Fahrer*innen und Unternehmen wie Uber und Cabify zu Klagen vor dem Obersten Gerichtshof der Europäischen Union geführt. Ein Richter des Europäischen Gerichtshof hat kürzlich festgestellt, dass Uber ein Transportunternehmen ist und sich deshalb an die allgemeinen Gesetze der Branche zu halten habe. In den Taxi-Streiks in Madrid und Barcelona haben die Taxi-Fahrer*innen die unfaire Konkurrenz und die fehlenden Regulierungen für Fahrer*innen von Uber und Cabify, die durch ihr Auftreten die Arbeitsbedingungen im ganzen Sektor nach unten drücken, beklagt.

Durch diese Streiks und den Widerstand hat sich ein allgemeines Gefühl gegen Uber und das Geschäftsmodell des „unregulierten“ Kapitalismus verbreitet, denn niemand glaubt an das Märchen des „kollaborativen Kapitalismus“. Doch diese Proteste haben auch einen großen Widerspruch: Denn es sind auch Inhaber von Taxi-Unternehmen beteiligt, die selbst Lohnabhängige unter schlechten Arbeitsbedingungen mit Arbeitszeiten von über zehn Stunden am Tag anstellen. Sie verstecken sich hinter dem Kampf gegen Uber, um ihre eigene Ausbeutung der Arbeitskraft zu rechtfertigen. Selbst Teile der europäischen extremen Rechten, wie Marine Le Pen, stellen sich gegen die „Uberisierung der Wirtschaft“ und verteidigen das Modell eines „nationalen“ und „regulierten“ Kapitalismus für die Einheimischen.

Der Kampf gegen die Uberisierung der Wirtschaft sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die „traditionellen“ und „regulierten“ Unternehmer*innen ebenfalls eine intensive Ausbeutung und Prekarisierung ihrer Arbeiter*innen durchführen.

Die Mietplattform Airbnb von privaten Wohnungen und Häusern ist ein weiteres erfolgreiches Beispiel der „kollaborativen Wirtschaft“. Doch sie führt nicht zu einer Angleichung des Zugangs zu Wohnraum, sondern verschärft die soziale Ungleichheit innerhalb der Städte.

In den touristischen Zentren von Madrid und Barcelona steigen die Preise für Mieten und Immobilien gerade enorm an. In vielen Fällen kaufen Immobilienmakler nur noch Wohnraum, um ihn an Tourist*innen zu vermieten und lehnen Arbeiter*innen oder Student*innen ab, die eine Wohnung suchen. Der Prozess der Gentrifizierung durch die Zunahme der Lebenshaltungskosten weitet sich von den Stadtzentren immer mehr aus und verbannt die ärmeren Anwohner*innen in die Randbezirke.

Die sozialen Auswirkungen von Airbnb und anderen ähnlichen Plattformen zeigen, dass der Kapitalismus unfähig ist, eine „freien Zusammenarbeit“ von Personen zu ermöglichen durch die Entwicklung der Kommunikationsmittel und kollaborativen Apps. Im Gegenteil dazu übernimmt der Kapitalismus in seiner unerbitterlichen Logik der Profitmaximierung jede Möglichkeit der Zusammenarbeit und verwandelt sie in Ausbeutung, soziale Differenzierung und größeres soziales Übel.

Die neue Mietpreisblase hat zur Gründung von neuen Mieter*innengewerkschaften in zahlreichen spanischen Städten als Widerstandsform geführt. Dieser Kampf muss sich, um ein größeres Potential zu entwickeln, mit der Bewegung der Familien gegen Zwangsräumungen verbinden sowie mit dem Kampf für die Enteignung tausender leerstehender Wohnungen, die sich im Besitz von Banken befinden, und für den Bau von sozialem Wohnraum. Dabei müsste er eine antikapitalistische Perspektive annehmen und die gesellschaftliche Planung des Wohnungsbaus gegen die Immobilienspekulation und die Gentrifizierung der Städte, was in den engen Grenzen des Kapitalismus nicht möglich ist.

Deliveroo: Pinkwashing und Prekarität auf zwei Rädern

Der Lieferdienst Deliveroo nahm mit einem eigenen Block auf der World Pride Kundgebung teil, die am vergangenen 1. Juli in Madrid stattfand. Ein Unternehmen, das sich in Pink kleidet, um die Ausbeutung zu verdecken.

Die Idee hinter der App ist einfach: Menschen können in ihrer „Freizeit“ und mit einem Fahrrad Lieferdienste für andere Personen erledigen, die sie von zu Hause aus anrufen, um Essen zu bestellen. Erneut das Märchen des freien Austausches ohne Vermittlung.

Tatsächlich hat Deliveroo im spanischen Staat eine Flotte von mehr als 1.000 Riders, wie sie ihre Arbeiter*innen nennen. Die Riders müssen mehrere Stunden am Tag verfügbar sein und verdienen zwischen drei und vier Euro pro Lieferung, ohne Arbeitsrechte, Urlaub, Krankschreibungen und ohne zu wissen, wie viel sie am Ende des Monats verdienen werden. Da sie vom Unternehmen nicht als Arbeiter*innen anerkannt werden, sondern als Selbstständige, müssen sie selbst die Sozialversicherungsbeiträge zahlen und werden bei Krankheit nicht bezahlt.

Vor kurzem entstanden Bündnisse von Deliveroo-Arbeiter*innen in Barcelona, Madrid und anderen Städten. Sie beklagen, dass kranke Arbeiter*innen direkt von der App „runtergenommen“ wurden. Eine weitere Metapher der aktuellen Zeit, eine Entlassung wird als „Abschalten“ bezeichnet.

Die Arbeiter*innen von Deliveroo haben Streiks organisiert und neue Kampfmaßnahmen angekündigt. Sie fordern bessere Arbeitsbedingungen durch die Absicherung einer bestimmten Anzahl an Lieferungen pro Stunde, einen Mindestlohn und die Anerkennung längerer Betriebszugehörigkeit. Das zentrale dabei ist, dass Deliveroo die Riders als Arbeiter*innen anerkennt und der Verhandlung der Arbeitsbedingungen zustimmt. Ähnliche Kämpfe fanden auch in Großbritannien, Italien und Deutschland statt.

Der aktuelle Kapitalismus zeigt wieder einmal seine große Fähigkeit, die Ausbeutung durch ein „fortschrittliches“ Antlitz zu vertuschen. Doch unter diesem Antlitz liegt die private Aneignung fremder Arbeit als Quelle des Profits. Die Möglichkeit, die Entwicklung sozialer Netzwerke und neue Apps zur Verbreiterung sozialer Zusammenarbeit zwischen den Personen ohne Vermittlung des Kapitals zu nutzen, zwischen freien Produzent*innen, kann sich durch neue technologische Entwicklungen und kollaborative Apps verstärken, um das Leben gemeinsam zu planen und zu organisieren.

Das vielleicht wichtigste ist die Tatsache, dass die neuen Formen der Ausbeutung auch neue Formen des Widerstands unter den Arbeiter*innen hervorrufen. Kampfbündnisse der Arbeiter*innen von Deliveroo in zahlreichen Ländern, die gewerkschaftliche Organisierung der Fahrer*innen von Uber in Seattle, Streiks der scheinselbstständigen Techniker*innen von Movistar im spanischen Staat – all das sind Erfahrungen, die gemeinsam mit anderen Kämpfen gegen die Prekarisierung stattfinden, wie der Kampf der Hotelreiniger*innen Las Kellys. Diese Kämpfe mit der Gesamtheit der Arbeiter*innenklasse zu verbinden, sowohl in den „uberisierten“ Sektoren als auch in den traditionellen – wo die Ausgliederungen, die Teilzeitarbeit und prekäre Beschäftigungsformen auf dem Vormarsch sind –, würde die Durchsetzungskraft dieser Kämpfe vergrößern.

Mehr zum Thema