TVÖD: 7,5 Prozent mehr – im Tausch für fast drei Jahre Ruhe

18.04.2018, Lesezeit 5 Min.
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Am Dienstag abend endeten die Tarifverhandlungen im TVöD. Nach mehreren Warnstreiks mit insgesamt mehr als 220.000 Beteiligten kamen 7,5 Prozent mehr Lohn raus. Erkauft wurde dieser deutliche Zuwachs allerdings mit einer irrsinnig langen Laufzeit von 30 Monaten.

Das „beste Ergebnis seit vielen Jahren“: So kommentierte ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske den Abschluss, der in der diesjährigen TVöD-Runde am Dienstag abend von allen Verhandlungsparteien angenommen wurde. Konkret gibt es:

– eine Lohnerhöhung von insgesamt 7,5 Prozent in drei Schritten: 3,19 Prozent (1.3.2018), 3,09 Prozent (1.4.2019) und 1,06 Prozent (1.3.2020);
100 Euro mehr für Azubis in zwei Schritten von je 50 Euro (1.3.2018 und 1.3.2019);
– die Streichung der ersten Erfahrungsstufe, wodurch niedrige Einstiegslöhne kompensiert werden;
– eine Laufzeit von 30 Monaten.

Ursprünglich war ver.di mit einer Forderung von sechs Prozent über zwölf Monate, aber mindestens 200 Euro gestartet. Für die – im Streik besonders kämpferischen – Azubis forderte die Gewerkschaft auf diese zwölf Monate ein Plus von 100 Euro. Die in den Tarifverhandlungen vereinbarte Lohnsteigerung liegt also, wenn man sie auf die 30 Monate umrechnet, weit unter dem ausgegebenen Ziel. Und auch die 200 Euro als Mindestbeitrag wurden nicht eingehalten, auch wenn Bsirske beteuerte, dass am Ende der Laufzeit niemand „mit monatlich weniger als 175 Euro plus rechnen könne“. Denn auch hier versauert die 30-monatige Laufzeit die Zahlen, die sonst gut wären. So beträgt allein die jährliche Inflation auf zwölf Monate 1,6 Prozent, für untere Einkommensschichten ist sie wegen des höheren Anteils von Miete und Lebenshaltungskosten nochmal deutlich größer.

Obwohl also auch untere Lohngruppen nach dem geplanten Abschluss durchaus spürbare Verbesserungen erhalten, ist die ausgegebene Losung der Verringerung der Schere zwischen unteren und oberen Lohngruppen nicht umgesetzt worden. Die Spaltung zwischen prekären Beschäftigten und Fachkräften bleibt weiter bestehen. Diese Spaltung, die sich überschneidet mit der Schlechterstellung von lohnabhängigen Frauen und Migrant*innen, ist nicht nur ungerecht. Sie ist auch ein großes Problem für die Lohnabhängigen insgesamt, die nur mit einem Bewusstsein der Einheit in Zukunft dem Neoliberalismus der „Schwarzen Null“ und der ständigen Prekarisierung etwas abtrotzen können.

Soll so das „beste Ergebnis seit vielen Jahren“ aussehen?

Hier geht es nicht um „Jammern auf hohem Niveau“, auch wenn das die Verteidiger*innen des Abschlusses wohl sagen werden. Es geht darum, dass über 220.000 Streikende in den vergangenen Wochen für deutlich mehr auf die Straße gegangen sind. Und deutlich mehr wäre angesichts der Kassensituation der öffentlichen Hand auch noch drin gewesen, doch die Gewerkschaftsführungen haben sich gescheut, aus dem Warnstreik einen Erzwingungsstreik zu machen.

Besonders enttäuschend: In der Vergangenheit waren TVöD-Verträge normalerweise für 24 Monate abgeschlossen worden – doch diese zweijährige Ruhepause wollte die Gewerkschaftsbasis diesmal endlich überwinden. Denn nicht nur sind selbst hohe Lohnsteigerungen bei langen Laufzeiten viel weniger wert – eine Verringerung der Laufzeit auf zwölf Monate hätte auch die Synchronisierung der Tarifverhandlungen mit den Beschäftigten der Länder, die unter den TV-L fallen, erlaubt. Wenn also ver.di die Forderung durchgesetzt hätte, wäre endlich die unsägliche Spaltung in Landesbeschäftigte einerseits und Bundes- und Kommunalbeschäftigte andererseits zumindest teilweise überwunden worden, denn dann hätte gleichzeitig gestreikt werden können.

Das hätte allerdings für die neue Große Koalition im kommenden Jahr eine wahrhafte Streikwelle bedeutet. Nun wurde in den Verhandlungen die Laufzeit sogar noch um weitere sechs Monate verlängert. Damit hat die GroKo 30 Monate lang Ruhe vor den TVöD-Beschäftigten. Erst zu Jahresbeginn hatte die IG Metall in einem ähnlich umstrittenen Tarifabschluss eine Laufzeit von 27 Monaten vereinbart. So kann die Bundesregierung aufatmen: Die beiden wichtigsten Beschäftigungssektoren in Deutschland – der Metallsektor mit 3,9 Millionen Beschäftigten und die insgesamt 2,3 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen – halten über zwei Jahre lang die Füße still.

Ver.di wird zu dem Abschluss seine Mitglieder befragen. Diese Befragung ist nicht bindend, selbst wenn die Mehrheit der ver.di-Mitglieder den Abschluss ablehnt. Nichtsdestotrotz würde eine deutliche Ablehnung die Legitimität des Abschlusses deutlich in Frage stellen und die Führung erinnern, für was eigentlich gekämpft wurde – nämlich besonders für den Sockelbetrag von 200 Euro auf zwölf Monate Laufzeit.

Dass die Basis für Erzwingungsmaßnahmen gegen die Arbeitgeber bereit ist, zeigte nicht zuletzt die TVöD-Streikdemonstration in München am 10. April: Als der ver.di-Geschäftsführer für München, Heinrich Birner, von der Bühne fragte, wer bereit sei weiter zu streiken, gingen auf dem Marienplatz alle Hände nach oben. Bundesweit haben über 220.000 Kolleg*innen ihre Kampfbereitschaft in den Warnstreiks der letzten Wochen bewiesen. Ver.di hätte zu einer Verschärfung der Auseinandersetzung aufrufen können und kann es jetzt noch. Hunderttausende würden wieder aufstehen und kämpfen. Das würde eine Konfrontation mit der neuen Bundesregierung bedeuten. Sicher wäre ein Erzwingungsstreik hart, doch in jedem Fall besser als die Spaltung der öffentlich Beschäftigten in Besser- und Schlechtbezahlte kampflos hinzunehmen.

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