Tote Kinder und die Hetze über die Herkunft der Täter*innen

01.08.2019, Lesezeit 5 Min.
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Seitdem ein achtjähriger Junge in Frankfurt am Main vor einen Zug gestoßen wurde und daraufhin starb, gibt es wieder eine rassistische Hetzkampagne in Deutschland. Zu anderen Morden jedoch herrscht großes Schweigen.

Als es hieß, in Frankfurt am Main habe ein Mann mit eritreischer Staatsbürgerschaft ein Kind vor einen Zug und damit in den sicheren Tod geschubst, schlug die Stunde der AfD. Sie startete eine rassistische Hetzkampagne. Alice Weidel beispielsweise twitterte: „Schützt endlich die Bürger unseres Landes – statt der grenzenlosen Willkommenskultur!“ Die sozialen Medien explodierten voller rassistischer Forderungen. Dabei spielt auch keine Rolle, dass statistisch gesehen Straftaten in Deutschland rückläufig sind, wie selbst Bundesinnenminister Seehofer (CSU) zugeben musste.

Keine Frage, die Tat ist schockierend. Sie erregt Empörung in jedem fühlenden Wesen. Aber sie ist nicht schockierender und empörender als die alltägliche Gewalt, die uns umgibt, die rassistisch und sexistisch ist. Die Empörung ist verständlicherweise größer, wenn Kinder zu Opfern von Gewalttaten werden.

Die zahlreichen Kinder, die den Grenzregimen der EU und USA zum Opfer fallen, sorgen dabei immer wieder für heftige Diskussionen. Das Foto eines kleinen Jungen, der leblos am Strand lag, ging um die Welt. In den USA werden Kinder tagelang von ihren Eltern getrennt und unter schrecklichen Bedingungen an der Grenze festgehalten.

Die Kinder, die dem Apartheitsregime in Israel zum Opfer fallen, schockieren ebenso. Ein Regime, dass von Deutschland und den USA geschützt wird. Ebenso sind es deutsche Waffen, mit denen Saudi-Arabien im Yemen mit US-amerikanischer Unterstützung einen blutigen Krieg führt. Auch hier sind es die Bilder unterernährter Kinder, die den Folgen des Krieges zum Opfer fallen, die die Gemüter erregen.

Über all das sprechen die AfD – und ein Großteil der bürgerlichen Medien – jedoch nicht. Und wo war die Empörung der AfD, als vor einigen Tagen ein zweijähriges Kind aus Essen fast 20 Stunden in einem überhitzen Zimmer eingesperrt war und verdurstete? Oder was war, als Ende Januar zwei 16-Jährige in Nürnberg vor einen Zug gestoßen wurden? Die AfD schwieg, denn die Täter waren deutsche Staatsbürger und keine Nicht-Weißen.

Daher ist es heuchlerisch, wenn die AfD den Tod eines achtjährigen Jungen für ihre rassistische Agenda missbraucht, während sie gleichzeitig ein noch aggressiveres Grenzregime fordert, dem jetzt schon zahllose Kinder zum Opfer fallen. Ebenso heuchlerisch ist eine Bundesregierung, die ihr Mitgefühl ausspricht, während ihrer Politik weltweit täglich Kinder zum Opfer fallen.

Wie der Tagesspiegel schreibt, sterben in Deutschland „jedes Jahr im Schnitt 150 Kinder infolge von Straftaten. Das ist schlimm, insbesondere weil diese Zahl seit Jahren stabil ist. Die Täter stammen meistens aus dem engeren Familienkreis.“

Das Leid von Kindern spielt für Rechte nur dann eine Rolle, wenn sie es für ihre rassistische politische Agenda benutzen können. Außerhalb davon ist es ihnen das Leid von Kindern vollkommen egal. Das Leben „deutscher“ Kinder besitzt für sie nur einen Wert, wenn es durch die Hand von „nicht-deutschen“ Täter*innen genommen wird.

Höcke, der den rechtsextremen Flügel der AfD anführt, bezeichnet die Holocaust-Gedenkstätte im Zentrum von Berlin als „Mahnmal der Schande“, ungeachtet der zahllosen jüdischen Kinder, die in den Konzentrationslagern der deutschen Faschist*innen umkamen. Für Alexander Gauland war es sogar nur ein „Vogelschiss“, ungeachtet wie viel Leid, Genozid und Weltkrieg verursacht wurde. Alles was sie benötigen, ist nur ein Sündenbock zur Rechtfertigung ihrer politischen Agenda.

Zur Einschüchterung des politischen Gegners scheuen sich Rechtsextreme nicht, Drohungen auch gegen deren Kinder zu richten. Das Leben eines Menschen ist ihnen nichts wert. Wie beim Kampf gegen das Recht auf Abtreibung geht es ihnen nicht um das „Leben“, sondern um die Kontrolle über den weiblichen Körper und ihre frauenverachtende Agenda.

Die rassistische Hetze, die den Tod des Achtjährigen nun für ihre Zwecke ausschlachtet, könnte der AfD bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen noch weitere Stimmen bedeuten.

Auch die „Sicherheitspolitik“ der Bundesregierung wird sich möglicherweise nun weiter verschärfen. Seehofer und oberste Polizeichefs haben bei einer Pressekonferenz vom angeblich „abnehmenden Sicherheitsgefühl“ und von „Werteverfall“ gesprochen und angekündigt, Maßnahmen wie Aufstockung der Bundespolizei, mehr Videoüberwachung und Ähnliches zu prüfen.Derweil werden rechte sogenannte „Prepper“netzwerke in Bundeswehr und Polizei von der politischen Führung konsequent heruntergespielt. Zu groß ist die Angst, dass aufgedeckt wird, wie sich weite Teile des Sicherheitsapparats rechtsextremen Positionen annähern könnten. Die rechte Terrorzelle NSU wurde jahrelang vom Verfassungsschutz gedeckt.

Währenddessen ist erst kürzlich ein Eritreer in Deutschland angeschossen worden. Nur durch Glück hatte er die Tat überlebt. Das Motiv des Täters war dabei eindeutig rassistisch. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs der rassistischen Gewalt in Deutschland: Drohungen gegen Moscheen, Sprengsätze und Übergriffe auf Lokalpolitiker*innen der Linkspartei, sowie der Mord an dem hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke Anfang Juni zeigen, dass der rechtsextreme Terror in Deutschland auf dem Vormarsch ist.

Was wir brauchen, ist eine Bewegung, die sich entschlossen gegen diese rechte Hetze stellt, aber zugleich gegen sämtliche imperialistischen Kriege, gegen die Toten an den Grenzen, gegen die Verelendung der Massen, gegen die kapitalistische Produktion als solche, die nichts anderes als einen Zyklus von Krieg und Krise erzeugt, welcher das Leben zahlloser vorzeitig beendet. Sei es durch schlechte Bedingungen in den Fabriken, durch Hungersnöte, schlechte medizinische Versorgung oder die weltweite Umweltzerstörung, die letztendlich die Existenz der Menschheit grundlegend bedroht.

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