Tja, das war der Bildungsstreik

10.02.2012, Lesezeit 6 Min.
1

Am 17. November fanden erneut in vielen Städten Deutschlands Protestaktionen im Rahmen des Bildungsstreiks statt. Die Probleme im Bildungssystem sind in den letzten Jahren schärfer geworden – doch diese Verschärfung drückte sich nicht in der Zahl der Protestierenden aus. Im Gegenteil: Gingen beim Bildungsstreik im Sommer 2009 eine Viertelmillion Menschen auf die Straße, waren es dieses Mal nur einige Zehntausende.

Woran liegt das? Bei vielen Auswertungstreffen ist diskutiert worden, in welchen Straßen keine Plakate hingen oder welche Absprachen nicht eingehalten wurden. Doch so wichtig Diskussionen über organisatorische Probleme in den verschiedenen Bündnissen sind, geben sie keine Antwort auf die Frage, warum das Interesse am Bildungsstreik diesmal eher gering war.

In den letzten Jahren gab es im Durchschnitt zweimal im Jahr, meistens kurz nach dem Semesterbeginn an den Universitäten, einen Bildungsstreik. Diese Ritualisierung führte zu einer gewissen Demoralisierung unter Studierenden und Schülerinnen, weil sie wahrnahmen, dass jedes Jahr Ähnliches stattfindet, jedoch zu keinen Ergebnissen führt.

Unmittelbare Anlässe

Die Bildungsstreikbewegung der letzten Jahre hatte bis auf einige Ausnahmen keinen konkreten Anlass, oder genauer gesagt, der Anlass war die allgemein schlechte Situation im Bildungssystem. Eine Ausnahme war Bayern, wo es immer noch Studiengebühren und damit einen unmittelbaren Grund zum Streiken gibt – und vor allem, weil Unistreiks und Straßenblockaden in anderen Bundesländern gegen Studiengebühren erfolgreich waren.

Doch in München konnte selbst diese unmittelbare Forderung nach der Aufhebung der Studiengebühren nicht massenweise mobilisieren. Und das, obwohl spätestens seit den Enthüllungen darüber, dass die eingetriebenen Studiengebühren von den bayerischen Unis gar nicht komplett ausgegeben wurden, klar ist, dass der vorgeschobene Grund für die Erhebung solcher massiver Studiengebühren (bis zu 500 Euro pro Semester) nur ein Ausschlusskriterium darstellt, damit nicht noch mehr Menschen die Möglichkeit eines Studiums bekommen, was immer noch mit einem gewissen sozialen Status, einem relativ lockeren Arbeitstag und einer (möglicherweise illusorischen) Hoffnung auf einen Arbeitsplatz verbunden wird.

Allerdings gehört ein großer Teil der Studierenden sowieso schon finanziell den besser gestellten Schichten an, sodass ihr Studium von ihren Eltern bezahlt werden kann. Warum diese Studierenden nicht für eine Abschaffung der Studiengebühren kämpfen, liegt auf der Hand: Jede/r Weitere, der/die studieren kann, schmälert den Wert eines abgeschlossenen Studiums auf dem Arbeitsmarkt und verschärft spätestens dann die Konkurrenz.

Die Frage bleibt aber, wo all die Studierenden geblieben sind, die ihr Studium durch Nebenjobs und Kredite gerade so finanziert bekommen. Wieso waren sie nicht massenweise auf den Straßen, um den Bildungsstreik zu nutzen, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen? Die Ursache liegt tiefer als die organisatorischen Probleme, nämlich bei den politischen Perspektiven der Bewegung.

Kleiner aber radikaler

Die bisherige Bildungsstreikbewegung, obwohl sie hauptsächlich von Gruppen mit antikapitalistischem Selbstverständnis getragen wurde, blieb von ihrer Ausrichtung her reformistisch: Symbolische Massenaktionen sollten auf die Probleme im Bildungssystem aufmerksam machen, damit die Herrschenden diese Probleme beheben. Doch die Herrschenden haben im Großen und Ganzen das Bildungssystem, das sie brauchen – sie sind nicht etwa über die Zustände schlecht informiert. Sie brauchen ein System samt sozialer Selektion und einer starken Anpassung an den Arbeitsmarkt, weshalb ihre Zugeständnisse an die Bewegung rhetorisch blieben bzw. auf ein Ende der Proteste oder auf die nächste Wahl abzielen.

Nach einigen Jahren dieser Prozedur zerstreuten sich bei den meisten Studierenden die Illusionen darüber, dass eine solche Strategie Verbesserungen erzielen könnte. Zudem erscheint es im Rahmen der Wirtschaftskrise zunehmend unrealistisch, dass Reformen finanziert werden könnten, womit an den weitgehend entpolitisierten Unis die individuelle und unsolidarische Strategie beliebter wurde: möglichst schnell mit dem Studium fertig werden, bevor die Bedingungen noch schlechter werden.

Doch die Enttäuschung über die bisherigen Bildungsstreiks führte bei einigen Sektoren auch umgekehrt zu einer Radikalisierung der Aktionsformen: Waren die symbolischen Besetzungen und eintägigen Streiks der Vergangenheit nicht wirksam, so war die Lösung an einigen Orten nicht Resignation, sondern Radikalisierung.

Jene Sektoren, die den Bildungsstreik 2011 organisiert und getragen haben, waren kleiner, aber radikaler als in früheren Jahren. Unter anderem bedingt durch die internationale Occupy-Bewegung war es wie selbstverständlich, dass Gebäude besetzt werden müssten – auch wenn meistens Orte dafür ausgesucht wurden, die wenig störten, um eine Besetzung möglichst lange ohne Widerstand der Behörden aufrecht zu erhalten. Doch die in den letzten Jahren übliche Duldung wurde von oben aufgekündigt: Es war sehr bezeichnend, dass der neue Präsident der Freien Universität Berlin, wo Ende 2009 ein Hörsaal drei Monate lang besetzt wurde, die Besetzung eines Seminarraums gleich am ersten Abend von der Polizei räumen ließ. Die Anklagen gegen Studierende ließ er erst nach wochenlangem Druck fallen.

Noch interessanter ist es, dass die Solidarität von Bildungsstreikenden mit ArbeiterInnenprotesten ebenfalls wie selbstverständlich wirkte. Im Gegensatz zur Protestwelle von 2009-10, wo selbst Solidaritätserklärungen mit Beschäftigten gegen den Widerstand von bedeutenden Minderheiten durchgesetzt werden mussten (weil es angeblich „nur um Bildung“ ginge[1]), konnten beim Streik bei der Charité Facility Management (CFM) in Berlin mehrmals kleine, aber bedeutende studentische Solidaritätsdelegationen organisiert werden, die von einem breiten Spektrum an AktivistInnen getragen wurden.

Nun haben diese radikalisierten Sektoren die Aufgabe, eine längerfristige Perspektive zu finden und nicht im Unisumpf zu versinken, mit den machtlosen offiziellen Gremien und den endlosen „runden Tischen“, die nirgendwohin führen. Unserer Meinung nach kann diese Perspektive nur eine starke, revolutionär-marxistische Strömung an den Universitäten sein. Dafür tritt RIO gemeinsam mit unabhängigen Studierenden ein.

[1] Für eine Analyse des Bildungsstreiks 2009-10, siehe Der Bildungsstreik.

Mehr zum Thema