Tausende in Berlin für Hanau: Erinnern heißt kämpfen! 

21.02.2024, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Ayrin Giorgia (KGK)

Gestern gingen tausende Menschen auf die Straße, nach einem Aufruf von Migrantifa und weiteren Organisationen im Gedenken an den rassistischen Anschlag in Hanau. Sie forderten die Aufklärung des rechten Terroranschlags vor vier Jahren und kritisierten die Rolle der Sicherheitsbehörden.

Am Montagabend riefen Migrantifa, Global South United, Palästina spricht und weitere Organisationen unter dem Motto „Konsequenz heißt Widerstand“ dazu auf, sich zunächst an einer Gedenkkundgebung zu beteiligen und anschließend an der Demonstration zum Jahrestag des rassistischen Anschlags in Hanau teilzunehmen. Laut den Veranstaltern versammelten sich 10.000 Menschen auf der Sonnenallee, um den Opfern zu gedenken und anschließend dem rassistischen Normalzustand den Kampf anzusagen. Kurz vor Ende der Demonstration wurde diese von der Polizei gestoppt und aufgelöst. Auf Höhe Reuterstraße ging die Polizei in die Demonstration und begann mit massiver Polizeigewalt, friedliche Demonstrant:innen und Ordner:innen festzunehmen. Schon im Vorhinein hatte die Polizei Parolen wie „From the river to the sea“ und palästina-solidarische Symbole verboten.

“Hanau war kein Einzelfall!” hallt es durch die Sonnenallee. Die zahlreichen Reden bei der Kundgebung prangerten die unzähligen rassistischen Morde der letzten Jahrzehnte an und beleuchteten die Realität der Migrant:innen in Deutschland, die von fortwährender Angst geprägt ist. Unzählige Schilder auf der Demonstration trugen die Namen der Opfer rassistischer Gewalt. Doch wo bleiben die Konsequenzen? 

In einer Zeit, in der der gesellschaftliche Rechtsruck immer offensichtlicher wird, ist eine Entpolitisierung von Hanau unmöglich. Der rassistische Mordanschlag in Hanau ist Teil einer Kette von rechtsextremen Morden in Deutschland und weltweit. Nach Ergebnissen des Untersuchungsausschusses für Hanau wurde wieder einmal klar – der Staat hat neun Menschen willentlich ihrem Schicksal ausgeliefert. Keine Antwort auf den Notruf, verriegelte Notausgänge durch Polizeivorgabe, Obduktion ohne Beteiligung der Angehörigen und noch etliche weitere absichtliche Versagen von Staat und Polizei. All das kennen wir bereits von vorherigen Ereignissen: Halle, Mölln, Rostock-Lichtenhagen. Auch Fälle, in denen der Staat und die Polizei aktiv involviert oder sogar die Täter waren, wie beispielsweise in den Morden von Achidi John, Oury Jalloh, Mouhamed Lamine Dramé oder dem NSU-Komplex. All das steht in einem gemeinsamen Kontext: Der Staat ist nicht nur Teil des rechten Gewaltproblems – sie ist oftmals die rechte Gewalt selbst.

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Hanau spielt aber nicht nur in diesem Zusammenhang eine große Rolle, wenn es um den Rechtsruck in Deutschland geht. Die rassistische Politik, die den Mordanschlag überhaupt erst ermöglicht hat, sorgt auch für den Tod von Zehntausenden außerhalb der eigenen deutschen Grenzen. Zehntausende Tote im Mittelmeer, im Yemen, in Palästina. Deutschland hat all das zu verantworten, ob durch direkte oder indirekte Beteiligung an rassistischer Grenzpolitik oder Kriegen. Der rassistische Anschlag in Hanau ist Teil dieser Kette von rechter, rassistischer Politik.

Wenn wir Hanau nicht im Kontext von kontinuierlicher rechter Gewalt sehen, machen wir genau das nach, was uns die Polizei und der Staat vormachen: Wir machen es zu einem Einzelfall. Ein Einzelfall, der abgesondert von anderen rassistischen und rechtsextremen Taten steht. Wir ignorieren damit das strukturelle Problem, das von Regierungspolitiker:innen über Verfassungsschutz bis zu Polizist:innen reicht, die uns tagtäglich in Schach halten wollen, mit rassistischen Kontrollen, Schikane und gewaltvoller Repression. Entpolitisieren hieße, den Kampf gegen dieses rassistische System aufzugeben – und das ist das Letzte, was wir tun sollten, wenn wir nicht wollen, dass auf die neun getöteten Menschen in Hanau noch etliche folgen.

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Wir sind entschlossen: Erinnern heißt kämpfen! Denn die Morde sind politisch und so müssen auch unsere Trauer, unsere Wut und unser Kampf politisch sein. Leere Worte und falsche Trauer von Politiker:innen, beispielsweise wie Nancy Faeser am Grab der Ermordeten, ändern nichts am Rassismus. Schließlich ist es vor allem Faeser selbst, die ungeniert schnellere Abschiebungen befürwortet, den Mythos der Clan-Kriminalität aufrechterhält und die Stimmung für solche Anschläge befeuert. Darauf bauen alle bürgerlichen Parteien, die vor ein paar Wochen gegen die AfD aufgerufen haben. Ein gemeinsamer Kampf mit dieser Regierung kann weder der Gewalt ein Ende bereiten, noch Konsequenzen einfordern oder gar den Rechtsruck bekämpfen – denn die Regierung ist zu sehr damit beschäftigt, diese Gewalt selbst auszuführen, sie ohne Konsequenzen zu lassen und den besagten Rechtstruck selbst auszuführen. Nur wir selbst als Betroffene, Arbeiter:innen und Jugendliche können uns aus dieser Kette der Gewalt befreien, indem wir das Problem an der Wurzel bekämpfen: Den deutschen Imperialismus.

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Die Demonstration bezieht sich auf den gesellschaftlichen Rechtsruck und schließt ausdrücklich den wachsenden anti-muslimischen Rassismus und die Kriminalisierung pro-palästinensischer Organisationen mit ein. Die Diskussionen über importierten Antisemitismus, das Verschweigen des laufenden Genozids in Gaza durch verschiedene Institutionen und die Regierung, sowie die enorme Repression gegen Solidarität mit Palästina sind als Teil des aktuellen Rechtsrucks zu betrachten. Ein Klima, das rassistische Gewalt weiter verschärft und legitimen Protest unterdrückt. Aus diesem Grund wurde ein Studierenden Block von der Student Coalition Berlin und pro-palästinensischen Unigruppierungen von verschiedenen Hochschulen, wie dem Students for Palastine Gruppe an der Freien Universität ausgerufen, um aufzuzeigen, dass die gleichen Strukturen die Hanau, Halle und NSU ermöglicht haben, heute immer noch für den ansteigenden Rassismus und Antisemitismus verantwortlich sind. Und mit rassistischen Argument den den Kampf gegen Genozid und ein Apartheidsregime verhindern zu versuchen.

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