TABOR20: Eine Hausgemeinschaft kämpft um ihre Zukunft

19.08.2019, Lesezeit 5 Min.
Gastbeitrag

Am vergangenen Samstag fand vor dem Haus in der Taborstraße 20 in Berlin-Kreuzberg eine Kundgebung statt. Über 100 Menschen protestierten gegen den Verkauf des Hauses und dafür, dass der Berliner Senat sein Vorkaufsrecht ausübt.

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Die neuen Käufer des Hauses, die GMYREK + CO, werben auf ihrer Webseite damit, dass sie „hochwertige Immobilien“ „sanieren, bauen und verkaufen“. Ein „Kreativteam“ schaffe „Wohnräume nach hohen Standards und mit außergewöhnlicher Ästhetik“. Übersetzt bedeutet das nichts Anderes, dass die jetzigen Mieter*innen nach dem Verkauf nicht mehr zur gewünschten Zielgruppe des neuen Vermieters zählen werden. Hier soll noch bezahlbarer Wohnraum luxussaniert werden und künftig reiche Menschen wohnen.

Seit Wochen knüpfen die Bewohner*innen der Tabor20 Kontakte zu Politiker*innen. Diese folgen zwar den Einladungen zu den Kundgebungen, aber die lang ersehnte Botschaft, dass der Senat sein Vorkaufsrecht ausüben wird, bleibt bis heute aus. Dabei drängt die Zeit. Die Möglichkeit des Vorkaufsrechtes besteht nur noch bis zum 26. August 2019. Den Mieter*innen und Unterstützer*innen bleiben nur noch ein paar Tage den Senat davon zu überzeugen, tätig zu werden. 

In Ihrem Kampf fahren sie mehrgleisig und nutzen alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. In der aktuellen Petition heißt es:

Unser Haus in der Taborstr. 20 in Berlin-Kreuzberg wurde kürzlich an eine GmbH verkauft. Wir, die Bewohner*innen der Taborstr. 20, kämpfen derzeit um unsere noch bezahlbaren Wohnungen. Wir wünschen uns einen gemeinwohlorientierten Vermieter und bitten daher dringlichst den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, sein Vorkaufsrecht für unser Haus geltend zu machen, um uns das Hierbleiben zu ermöglichen. Die Frist hierzu endet am 26.08.19.

Viele Besucher*innen der Kundgebung aus dem Kiez haben Ähnliches zu berichten. „Was, bei Euch auch? Unser Haus wurde ebenfalls verkauft, der Senat hat sein Vorkaufsrecht nicht genutzt. Ihr könnt davon ausgehen, dass der Senat das auch hier eskalieren lässt“, ruft eine Frau einer Gruppe Menschen zu, die vor der Tabor20 auf der Straße sitzen. 

Die Kundgebung zieht auch Beschäftigte an, die sich in Arbeitskämpfen befinden. Ein Techniker der Vivantes-Service-Tochter VSG ist gekommen und ebenfalls wütend auf den Senat. Er und seine Kolleg*innen kämpfen seit Jahren für eine Rückführung in den öffentlichen Dienst. Er sagt:

Der Kampf um Wohnraum und der Kampf um gute Löhne gehören für mich unmittelbar zusammen.

Inzwischen haben sich auch die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram und die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann von Bündnis 90/Die Grünen eingefunden. Welcher Topf soll nun angezapft werden und wie geht die Prüfung der GEWOBAG aus, die als städtisches Wohnungsunternehmen als Käufer in Betracht kommt? Das sind die Fragen, auf die es bis heute keine Antwort gibt. „Wir hören seit Wochen nichts“, sagt eine Mieterin. „Wir sind in der Schwebe und brauchen wirkliche Hilfe aus der Politik. Jetzt wird sich zeigen, ob sie ihr Wort halten!“

Alle Anwesenden bekommen einen Eindruck, welch katastrophale Entwicklung die Situation der Mieter*innen in der Tabor20 nehmen könnte. In der Tabor20 leben unterschiedlichste Menschen. Ein Mieter wohnt hier seit 40 Jahren, die jüngste Bewohnerin ist 15 Monate alt. Einige haben sich hier eine Existenz aufgebaut. Kinder, die in der Tabor20 wohnen, gehen nebenan in die Kita oder zur Schule. Mittags treffen sich viele der Familien mit Nachbarn im „Café Geschmackssache“, dass sich im Erdgeschoss der Tabor20 befindet. Die Betreiber haben mit ihrem Café für den Kiez einen wichtigen Anlaufpunkt und Begegnungsort geschaffen. Doch auch dieses Café ist aufgrund des Gewerbemietvertrags stark gefährdet und damit der soziale Treffpunkt für alle Menschen, die sich hier treffen, gleich mit.

„Unser Leben hat sich auf einen Schlag geändert, als der Brief, in dem stand, dass unser Haus verkauft wird, im Briefkasten lag. Wir müssen neben unserem Beruf jetzt rund um die Uhr um unseren Wohnraum kämpfen“, sagt einer der Mieter ins Mikrofon. Um die Arbeit bewältigen zu können, verteilen die Mieter*innen der Tabor20 die Aufgaben. Eine Mieterin kümmert sich um die Pressearbeit, ein Anderer hält Kontakt zu den Politiker*innen. Einmal wöchentlich tagen sie und besprechen gemeinsam die nächsten Schritte, alles wird demokratisch entschieden. „Wir kennen uns hier alle seit Jahren, aber die Situation hat uns jetzt noch mal zusammengeschweißt“, sagt eine der Anwesenden. „Der Ball liegt jetzt klar im Feld des Senats. Soll das Haus gerettet werden, muss der Senat sein Vorkaufsrecht geltend machen, Tut er das nicht, droht in der Tabor20 eine heftige Eskalation“.

Es ist spät geworden, die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann verlässt die Veranstaltung mit den Worten: „Wir bleiben in Kontakt“. Doch alle wissen, das wird nicht reichen. Die Besucher*innen der Kundgebung blieben noch und diskutierten weiter. Egal wie dieser Kampf ausgeht, eins ist jetzt schon klar: Die Mieter*innen der Tabor20 haben schon viel erreicht und sind sehr gut organisiert. An diesem Abend wird deshalb von Nachbar*innen vorgeschlagen, sie sollten ein Buch über ihren Kampf schreiben, um anderen Betroffenen einen Leitfaden in die Hand zu geben, wie man es zum Beispiel schafft, in kürzester Zeit eine von Verdrängung bedrohte Hausgemeinschaft zum Stadtgespräch zu machen.

Du willst die TABOR20 unterstützen? Sende ein Solidaritätsfoto an: tabor20mieter@gmail.com. Hier gibt es eine Vorlage.

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