Syrien: Assads Offensive sorgt für weitere Eskalation

18.02.2016, Lesezeit 6 Min.
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Der Stellvertreter*innenkrieg in Syrien hat mit der militärischen Offensive Assads auf Aleppo eine neue Etappe erreicht. Eine neue Welle von Menschen befinden sich auf der Flucht. Das durchgehende Scheitern der Syrien-Politik Erdogans vertieft die Anspannungen mit Russland.

Anfang dieses Monats marschierte die syrische Armee gemeinsam mit Hisbollah erfolgreich in Nubl und az-Zahra ein. Diese Operation hat dem syrischen Regime ermöglicht, einerseits seinen Einfluss in der internationalen Arena zu bekräftigen, andererseits die Rückeroberung von Aleppo fortzusetzen.

Das Gleichgewicht der Kräfte in Syrien hat sich in den letzten Wochen sehr schnell verändert, nachdem Russland seine militärische Kraft zur Unterstützung des Assad-Regimes offensiv mobilisiert hat. Russland konfrontiert die syrische Politik Erdogans, die im Wesentlichen in der Unterstützung aller möglichen Kräfte – unter anderem IS – gegen Assad und die kurdische PYD besteht. Als Resultat nimmt Erdogans Aggression zu.

Unter diesen Bedingungen stellt sich die Frage, ob der türkische Staat eine direkte militärische Intervention in Syrien vornehmen wird, um seine sich im Rückzug befindlichen „Stellvertreter“ zu verteidigen. Kann die türkische Regierung, die in diesem reaktionären Stellvertreter*innenkrieg in die Ecke gedrängt wurde, sich ein solches Abenteuer leisten?

Die Offensive Assads und die neue politische Etappe im syrischen Stellvertreter*innenkrieg

Die militärische Intervention Russlands hat das Gleichgewicht der Kräfte in Syrien enorm verändert. Russland intervenierte unter dem Deckmantel der „Bekämpfung von IS“. Doch in der Tat geht es Russland hauptsächlich darum, die jetzige Machtkonstellation zu beeinflussen, um den Einfluss in Syrien im Falle der Konsolidierung eines neuen Regimes unter Führung der USA nicht zu verlieren. Mit der militärischen Offensive ermöglichte Putin Assad eine Atempause. Nun kommt es darauf an, das Schicksal des Kriegs zu beeinflussen.

Das syrische Militär hat Aleppo inzwischen überwiegend eingekreist. Die Stadt war im Verlauf des Kriegs weitgehend von Anti-Assad-Truppen besetzt worden. Der aktuelle Vormarsch auf Aleppo bedeutet das Unterbrechen von Versorgungsrouten der islamistischen Kräften wie des IS.

Während das syrische Regime heute motiviert und ermutigt auf die Situation blickt, manifestiert sich das Fiasko der imperialistischen und türkischen Pläne. Möglicherweise werden die Anti-Assad-Milizen die Belagerung nicht überleben und kapitulieren. Die militärischen Kräfteverhältnisse sprechen nun für Assad, da Aleppo eine strategische Bedeutung hat.

Das bedeutet für Erdogan den Zusammenbruch seines Plans für Syrien. Es ist eine große Niederlage, denn der türkische Staat ist seit fünf Jahren mit militärischer, logistischer und finanzieller Unterstützung für die reaktionären Rebellen aktiv dabei, den Sturz von Assad zu beschleunigen. Gleichzeitig hat Erdogan sich nicht gescheut, mit Russland feindliche Beziehungen zu etablieren. Dennoch gibt es heute einen Aufschwung von kurdischen Kräften und eine Erholung und sogar einen Vormarsch der syrischen Armee. Ein großer Prestigeverlust für Erdogan.

Auch wenn die USA mit der offensiven militärischen Zusammenarbeit zwischen Russland und der Assad-Regierung nicht glücklich zu sein scheinen, beabsichtigen sie einen „Plan des Übergangs mit möglichst wenig Schäden“. Schon längst haben die USA auf das Prinzip verzichtet, dass Assad unbedingt von der Macht verschwinden müsse. Schon länger wird über Formulierungen wie den „Übergang mit Assad“ diskutiert. Sogar der russische Vorschlag einer „Regierung der nationalen Einheit mit der Vertretung der Opposition“ scheint heute nützlicher zu sein, als nur mittels Waffengewalt auf den Sturz von Assad und IS zu hoffen.

Weitere Eskalationen?

Zu den neuesten Entwicklung in Syrien gehört der Vormarsch von YPG und Ceys El Suwar (Revolutionäre Armee). Sie erlangten am 11. Februar die Kontrolle über den Militärstützpunkt Menagh und konnten die islamistischen Kräfte in der Gegend vertreiben. Der Stützpunkt ist von strategischer Bedeutung, da er im Dreieck zwischen Azaz, Afrin und Aleppo liegt. Besonders die Entwicklung, dass die Verbindung zwischen der Türkei und Aleppo unterbrochen wurde und nun unter der Kontrolle der YPG liegt, macht die türkische Regierung sehr wütend.

Als Reaktion hat die türkische Armee in Rojava die Dörfer Malkiye und Tinib mit der Begründung des „Rechts auf Selbstverteidigung“ bombardiert. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte kürzlich vor dem Parlament in Ankara, die Situation in Syrien bedrohe inzwischen die nationale Sicherheit seines Landes.

Washington weigert sich weiterhin, die YPG als Terrororganisation einzustufen. Denn die YPG arbeitet mit den USA im Kampf gegen den IS zusammen und hat sich als die zuverlässigste und effektivste Bodentruppe in Syrien erwiesen. Die Partnerschaft zwischen USA und der YPG offenbart aber gleichzeitig die pro-imperialistischen Tendenzen in der kurdischen Bewegung. Besonders im Konflikt mit dem türkischen Staat folgt daraus eine große demobilisierende Wirkung: So fordert die kurdische Bewegung den türkischen Staat, der in Nordkurdistan täglich Zivilist*innen massakriert, immer noch zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. Denn ihre Hoffnung besteht darin, als Verbündete imperialistischer Mächte eingestuft zu werden. Doch der Erfolg der kurdischen Bewegung in Syrien geschieht auf Kosten der Massaker an Kurd*innen in Nordkurdistan. Der diplomatische Pragmatismus ist schon längst an seine Grenzen gestoßen.

Es ist kein Zufall, dass heute Saudi-Arabien und die Türkei, zwei der reaktionärsten Figuren im Stellvertreter*innenkrieg, an eine Bodenoffensive in Syrien appellieren. So sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Rande der NATO-Sicherheitskonferenz in München, unter der Voraussetzung, dass es eine internationale Strategie gebe, könnten die Türkei und Saudi-Arabien Bodentruppen einsetzen.

Die beiden „strategischen Komplizen“ sind trotz der Beteiligung an der Anti-IS-Koalition mit für die finanzielle, logistische und militärische Unterstützung von „Islamischer Front und IS“ verantwortlich. Das primäre Interesse von Riad besteht darin, das schiitische Regime in Iran, die heute auf der selben Seite wie Assad steht, zu entmachten. Mit der türkischen Regierung kann sich die Monarchie daher gut verstehen, da Erdogan den strategischen Verbündeten des Iran zu stürzen versucht.

Doch Russland ist mit der Entwicklung nicht einverstanden: So warnte der russische Premierminister Dmitri Medwedew: „Bei der Bodenoffensive wird es sich um die Einbeziehung aller daran beteiligten Kräfte in den Krieg handeln. Die Amerikaner und unsere arabischen Partner müssen es sich gut überlegen: Wollen sie einen permanenten Krieg?“

Die Aggression von Riad und Ankara sind Ausdrücke des strategischen Fiaskos. Es drohen weitere Eskalationen. Doch die USA und der Westen verweigern einen Einsatz und sind völlig überfordert, was die Kontrolle über den Krieg und die Spielfiguren in Syrien angeht.

Eins ist klar: Der Stellvertreter*innenkrieg in Syrien manifestiert sich in blutiger Bilanz darin, eine der größten Niederlagen der Arbeiter*innen und unterdrückten Völker im Nahen Osten zu sein.

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