Stoppen härtere Gesetze sexualisierte Gewalt an Frauen?

12.04.2017, Lesezeit 4 Min.
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Am 7. April wurde Micaela García aus dem Norden Argentiniens ermordet aufgefunden, nachdem sie davor eine Woche verschwunden war. Sie wurde Opfer eines Frauenmordes, wie jährlich mehr als 300 Frauen in Argentinien. Wie schon im vergangenen Jahr und kürzlich am 8. März gingen daraufhin Tausende Frauen in zahlreichen Städten auf die Straßen, um unter dem #NiUnaMenos ein Ende der Frauenmorde zu fordern. Wir veröffentlichen im Folgenden die Übersetzung einen Artikel von Andrea D'Atri, Anführerin der sozialistischen Frauenorganisation Pan y Rosas (Brot und Rosen) über die Frage, ob Feminist*innen eine Verschärfung des Strafgesetzbuches fordern sollten.

Ein neuer Frauenmord und wir hören auf, zu zählen. Die Gewalt an Frauen, gefolgt vom Tod, hat sich in etwas Alltägliches verwandelt, doch wird dadurch für uns nicht zur Routine. Es tut uns viel mehr weh und macht uns wütend. Und diese Wut verstärkt unsere Überzeugung, um gegen die faule soziale Ordnung zu kämpfen. Während wir Gerechtigkeit für Micaela fordern, organisieren wir uns weiter, denn nur durch den Kampf können wir unsere Forderungen erreichen.

Doch in den Medien wird die Debatte, wie gegen Gewalt an Frauen vorzugehen ist, anders geführt. Denn schon auf der folgenden Zeitungsseite, oder im Fernsehprogramm, das auf die Nachrichten folgt, wird ohne Zweifel oder Unbehagen über unnötige Details des Lebens der Opfer berichtet oder andere Frauen als Objekte dargestellt. Es wird darüber gestritten, ob man die Strafen für Vergewaltiger erhöhen sollte, ein Genregister einrichten sollte, die Todesstrafe für bestimmte Straftaten einführen sollte oder Täter chemisch kastrieren sollte, um neue Opfer zu verhindern. Große Forderungen, beschränkt auf die enge Sackgasse des Strafrechts. Die patriarchale Gewalt wird politisch dazu benutzt, um den reaktionären Diskurs der Verschärfung der Strafen zu legitimieren.

Vom Sozialen zum Strafrechtlichen

Zuerst wurde die Bedeutung des Begriffs „patriarchale Unterdrückung“ mit der Bedeutung von „machistischer Gewalt“ gleichgesetzt. Daraufhin wurde jener Definition der historischen und sozialen Bedingungen der Diskriminierung und der kollektiven Unterordnung der Frauen in rückständigen Gesellschaften aufgrund von Klassenunterschieden ein neuer Inhalt gegeben, der sich auf die „Gewalt“ beschränkt. Die soziale Gruppe, über die jene Gewalt ausgeübt wird, kann nur eine sein, die aus Opfern besteht. Opfer einer anderen sozialen Gruppe, die aus Aggressoren zusammengesetzt ist. Die Frauenunterdrückung verliert damit die soziale Ursache und wird zu einem strafrechtlicher Sachverhalt.

Das Patriarchat, der Staat, das kapitalistische System, die Heteronormativität – all das wurde durch ein individuelles, männliches Subjekt ersetzt: den Aggressor. Den Frauen, die gegen diese soziale und kulturelle Ordnung der patriarchalen Herrschaft kämpfen, wird keine Bedeutung zugeschrieben, oder sie werden einzeln zu Subjekten abgestempelt, wenn sie sich als Opfer darzustellen bereit sind.

Dieser Logik zufolge sei die Gesellschaft gespalten in mögliche Opfer und mögliche Aggressoren. Das ermöglicht dem (kapitalistisch-patriarchalen) Staat, den Opfern die „Chance“ einer gesellschaftlich anerkannten Vergütung in den Gerichtssälen anzubieten. Und sich damit natürlich von jeder Verantwortung zu befreien – obwohl dies der Staat ist, der die Frauenunterdrückung durch die Lohn- und Gehaltsdiskriminierung, die Verweigerung von grundlegenden demokratischen Rechten wie das auf freiwilligen Schwangerschaftsabbruch, die direkte oder indirekte Zusammenarbeit mit Menschenhandelsnetzwerken und so weiter aufrecht erhält.

Der Kampf gegen das Patriarchat ist ein politischer Kampf

Durch die Abtrennung des Phänomens der Gewalt an Frauen von der Unterdrückung unseres Geschlechts, dem Ausbeutungssystem, das diese Unterdrückung zustande bringt, und den Institutionen des politischen und sozialen Regimes, die sie legitimieren und reproduzieren, wird nur die Entpolitisierung vorangetrieben. Was den Frauen passiert, hört auf, politisch zu sein, und wird zu einer Straftat, einer illegalen Handlung eines aggressiven Individuums gegen ein ebenso individuelles Opfer. Der Staat schlägt uns daraufhin den Weg der „persönlichen Rache“ vor, ausgelagert in die Institutionen der Justiz, welche die kapitalistische Klasse und ihr Herrschaftssystem bereitstellen – das gleiche System, aus dem paradoxerweise die Ursachen der Gewalt entwachsen, dessen Opfer wir werden.

Wir fordern Gerechtigkeit für Micaela und für jedes einzelne Opfer von Frauenmorden. Doch gleichzeitig erlauben wir nicht, dass in ihrem Namen die selben Regierungen, öffentlichen Funktionsträger, Gesetzgeber*innen und Richter*innen, die den Frauen grundlegende Freiheiten und Rechte verwehren, heuchlerisch den Repressionsapparat des Staates verfeinern können. Denn dieser Apparat wird abgesehen von einzelnen Fällen, die uns gezeigt werden, letzten Endes immer gegen die verletzlichsten Sektoren oder diejenigen, die für den Sturz dieser faulen sozialen Ordnung eintreten, verwendet.

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