Spaziergang durch die Hauptstadt der Prekarisierung

02.03.2016, Lesezeit 3 Min.
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Am Dienstag zogen mehr als 100 Menschen durch die Straßen Berlins, um auf eine Seite der Stadt abseits von Hochglanz und Glamour aufmerksam zu machen: das Berlin der Niedriglöhne und der schlechten Arbeitsbedingungen.

„Heute sieht man, wie weit sich Befristung und prekäre Beschäftigung in allen Branchen ausgeweitet haben.“ Dieses Fazit zog Karsten, Amazon-Arbeiter in Brieselang bei Berlin, von deŕ gestrigen Demonstration gegen Prekarisierung. Mehr als 100 Menschen hatten sich versammelt, um die Arbeitsbedingungen in der Hauptstadt anzuprangern. Aufgerufen hatten unter anderem die Berlin Migrant Strikers, die Blockupy Plattform Berlin, die FAU, eine Initiative studentischer Beschäftigter, der Amazon Solikreis Berlin und Unterstützer*innen der Kolleg*innen des Botanischen Gartens.

Verschiedene Orte der Ausbeutung wurden angelaufen. Der Spaziergang stand unter dem Motto eines europaweiten Aktionstages gegen Prekarisierung mit Aktionen in 25 Städten. Migrantische Arbeiter*innen werden zu noch schlechteren Bedingungen ausgebeutet als „einheimische“. Das Motto des Tages war deshalb in englischer Sprache: „Take a walk on the workers‘ side.“

Nach dem Auftakt am Potsdamer Platz zog der Demonstrationszug zunächst an der „Mall of Berlin“ vorbei. Die Besizter*innen des Einkaufstempels weigern sich bis heute, ausstehende Lohnzahlungen an rumänische Bauarbeiter*innen zu leisten – trotz mehrerer verlorener Gerichtsprozesse.

Danach zog die Menge weiter zur Humboldt-Universität. Studentische Beschäftigte in Berlin kämpfen zum ersten Mal seit Jahren für eine tarifliche Lohnerhöhung kämpfen. Gleichzeitig skandalisierten die Demonstrant*innen das Outsourcing am Botanischen Garten, der zur Freien Universität gehört. Mittels Outsourcing wird gerade versucht, Betriebsrat und Gewerkschaft aus dem Garten zu werfen. „Shame on you, FU“ hieß es gegenüber der Universitätsleitung.

Direkt gegenüber befindet sich eine Filiale der Zeitarbeitsfirma Manpower, wo ein Aktivist des Amazon-Solikreises eine Botschaft der Amazon-Arbeiter*innen aus dem polnischen Poznań vorlas. Dort nutzt Amazon Zeitarbeitsfirmen wie Manpower, um die Leistungsnormen zu erhöhen und die Beschäftigten zu spalten.
Auf dem Weg zum Jobcenter Kreuzberg-Friedrichshain in der Rudi-Dutschke-Straße überquerte der Demonstrationszug den historischen „Checkpoint Charlie“, wo ein Redebeitrag aufzeigte, dass das europäische Grenzregime heute zehntausende Opfer fordert. Rassistische Spaltung in Geflüchtete, legale Migrant*innen und Einheimische wird dabei schamlos genutzt, um Arbeits- und Lebensbedingungen für alle prekärer zu machen.

Beim Jobcenter machte dann eine Sprecherin der Erwerbsloseninitiative Basta auf den Druck aufmerksam, dem ALG-II-Empfänger*innen tagtäglich ausgesetzt sind. „Das nutzen auch multinationale Konzerne wie Amazon, die mit den Jobcentern kooperieren, um mit Kurzzeitbefristungen und Sanktionsdrohungen Beschäftigte für das lukrative Weihnachtsgeschäft zu rekrutieren“, wie Stefan vom Amazon-Solikreis Berlin berichtete.

Der Spaziergang endete in der Kreuzberger Oranienstraße, wo eine Sprecherin der Berlin Migrant Strikers die ultraprekären Arbeitsbedingungen von migrantischen Arbeiter*innen in der Gastronomie-Branche verurteilte. Insgesamt ist es schön zu beobachten, wie sich die linke Szene Berlins stärker für die Belange der Arbeiter*innenklasse interessiert. Aber es müssen noch viel mehr Menschen werden.

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