Soll der Botanische Garten Berlin stillgelegt werden?

02.03.2016, Lesezeit 7 Min.
Gastbeitrag

2003 wurde der Botanische Garten von den Berliner*innen gerettet. Gibt es jetzt neue Pläne für eine Stilllegung dieser geschichtsträchtigen wissenschaftlichen Institution?

1
OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Bereits im Jahr 2003 wurde der Erhalt des Botanischen Gartens in Frage gestellt. Innerhalb weniger Monate wurden fast 80.000 Unterschriften gesammelt, die am 7. Juli 2003 dem Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses übergeben wurden. Der Protest der Berliner*innen konnte die drohende Schließung damals abwenden. Doch wohin entwickelt sich der Botanische Garten seit 2003?

Es gibt eine Reihe an Zeichen, dass das Votum der Berliner*innen nicht mit aller Konsequenz akzeptiert wurde. Zur Rettung des Botanischen Gartens wäre eine Ausfinanzierung nötig gewesen – diese blieb jedoch aus. Stattdessen musste zwischen 2004 und 2009 eine Budgetkürzung um eine Millionen Euro hingenommen werden.

Beschäftigte und Besucher*innen registrieren längst die Folgen der Kürzungen. Das Leitungsgremium des Gartens gab Ende 2015 bekannt, dass die Stilllegung des bei den Besucher*innen beliebten Schmuckgartens „Unter den Eichen“, des „Duft- und Tastgartens“ und des „Systems der krautigen Pflanzen“ in Vorbereitung sind.

Personelle Einschnitte

Gleichzeitig werden personell starke Einschnitte vorgenommen. Von einer geplanten Massenentlassung der Beschäftigten der Servicebereiche erfuhr die Belegschaft zufällig aus einem Bericht des Präsidiums der Freien Universität Berlin. Das Personal zur Kultivierung der circa 22.000 Pflanzenarten wurde seit Ende der 90er Jahre nahezu halbiert. Dies führt dazu, dass die betrieblichen Abläufe im Garten gestört sind. Kürzlich drohte z.B. der Bambus im Großen Tropenhaus – eins der größten Gewächshäuser der Welt – in 23 Metern Höhe an die Decke zu stoßen. Es war schlicht nicht mehr genug Personal vorhanden, um der schnellwachsenden Pflanze Herr zu werden! Ein Vorfall, der früher undenkbar gewesen wäre.

Für die Gärtner*innen hat längst ein Wettlauf um den Erhalt des eigenen Pflanzenbestandes begonnen. Denn viele befürchten, wenn man es zeitlich nicht mehr schaffe, den eigenen Pflanzenbestand zu erhalten, sei in der Folge der Arbeitsplatz gefährdet. Viele Beschäftigte trauen sich deshalb nicht, Urlaub zu beantragen und kommen krank zur Arbeit. Die Leitung des Gartens profitiert hingegen von einer Gleitzeitregelung der Gärtner*innen – diese passen ihre Arbeitszeit an den Pflegebedarf der Pflanzen an. Bei Personalengpässen werden Stundenkonten überzogen.

Der Kanzler der FU, Peter Lange, musste bei einer Kuratoriumssitzung am 1. Oktober 2014 einräumen, dass die Sparmaßnahmen im Garten seit Jahren zu Verwerfungen innerhalb des Betriebs führen und dass es sich schwierig gestalte, diesen Weg fortzusetzen. Wenige Monate später konfrontierte er die Belegschaft erneut mit Drohungen über eine Randbebauung des denkmalgeschützten Areals.

Flankiert werden die Drohungen des Kanzlers durch Karsten Schomaker, Betriebsleiter des Gemeinschaftsbetriebes (zwischen der FU Berlin und der Tochtergesellschaft BG BGBM), der bei einer Betriebsversammlung seine Belegschaft informierte, dass der Saarbrücker Botanische Garten derzeit geschlossen werde. Direkt im Anschluss rechnete er der Belegschaft vor, dass Werkverträge preisgünstiger sind, weil bei eigenem Personal lästige Lohnnebenkosten anfallen würden. Vorträge wie diese haben angesichts der angekündigten Stilllegungen und der in Aussicht gestellten Fremdvergaben einen einschüchternden und zynischen Charakter.

Schließungspläne?

Den Botanischen Garten schließen zu wollen, erwies sich 2003 für die Berliner Regierung als höchst unpopuläres Vorhaben. Hat sich jetzt die Freie Universität dieser Aufgabe angenommen? Im Vergleich zu den Entscheidungsträger*innen der Politik damals, ist die FU zumindest nicht auf Wähler*innenstimmen angewiesen.

Die sukzessive Reduzierung des Budgets und die daraus resultierende Abwertung der Arbeit entfaltet jedenfalls ihre Wirkung, indem der inhaltliche Zweck der wissenschaftlichen Einrichtung immer weiter herabgesetzt wird – und zwar ohne dass hierzu auf politischer Ebene eine Entscheidung gefällt werden musste. Der Geldhahn für das Personal wurde – von der Berliner Bevölkerung unbemerkt – immer weiter zugedreht.

Zwar wurden im April 2015 durch die Bewilligung des GRW-Pakets für den Botanischen Garten Investitionen in Höhe von 12,6 Millionen Euro bewilligt. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit einer Verbesserung der personellen Situation mit keinem Cent berücksichtigt.

Laut der Pressemeldung des Senats sollen die Mittel in den kommenden fünf Jahren in den Neubau eines Besucher*innenzentrums am Haupteingang Königin-Luise-Platz und die Verschönerung von Park- und Gartenanlagen fließen. Von einer „Frischzellenkur“ für den Botanischen Garten ist gar die Rede. Zum Bedauern der Beschäftigten lassen die Investitionspläne aber eher auf eine Teilumwandlung in einen Park schließen, als das es um einen Erhalt der Artenvielfalt gehen könne.

Im GRW-Paket ist eine Ausleuchtung des Freilandes durch Laternen vorgesehen, obwohl das Gelände bis auf einige wenige Abendveranstaltungen bei Dunkelheit geschlossen ist. Die Eingänge sollen mit Drehkreuzen versehen werden und die Besucher*innen werden sich nach Umsetzung der Baumaßnahmen ihre Eintrittskarten an einem Gerät kaufen, das einem Fahrkartenautomat ähnelt. Mit diesen und vielen anderen Maßnahmen verändern sich die geschichtsträchtige Einrichtung und die Arbeit darin nachhaltig.

Abwertung der Arbeit

Während der Senat in die bauliche Unterhaltung investiert, wird im Betrieb eine Abwertung der Arbeit vorgenommen. Die Entgeltgruppen des 2013 gekündigten Entgelttarifvertrages berücksichtigen z.B. nicht mehr zwingend die einschlägigen Ausbildungsberufe, wie es beim Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder der Fall ist. Die Nichtanerkennung von Ausbildungsberufen ist Teil der Lohndumpingstrategie der FU, denn an Bewerber*innen werden trotz niedriger Bezahlung hohe Anforderungen gestellt. Nicht einmal die einschlägigen Berufsbezeichnungen wie Gärtner*in, Elektriker*in, Gas- und Wasserinstallateur*in, Wach- und Sicherheitsdienst werden anerkannt. Jedem Beruf wird das Wörtchen Service angehängt. „Man gibt dem Kind einen anderen Namen“ und hebelt so die flächendeckenden gesetzlichen Mindestlöhne aus.

Diese Unternehmensführung hat auch gesellschaftspolitisch eine nachteiligen Signalwirkung auf Jugendliche bei der Berufsfindung. So berichtete ein Familienvater, der im Botanischen Garten in der Betriebsgesellschaft beschäftigt ist, dass er seinem Sohn eine Ausbildung im handwerklichen Bereich nur schwerlich schmackhaft machen könne. Denn der landeseigene Betrieb, in dem er beschäftigt ist, erkennt die abgeschlossene Ausbildung nicht mehr an.

Die Einschätzung des Beschäftigten ist schlüssig und die Folgen dieser „Abwertungen“ spiegeln sich bereits im Bundesbildungsbericht 2015 wieder. Die Zahl der gemeldeten unbesetzten betrieblichen Ausbildungsstellen erreichte mit 37.100 im langjährigen Vergleich einen neuen Höchststand. Dem standen 20.900 unversorgte Bewerber*innen gegenüber.

Es ist offenkundig, dass derzeit an vielen Stellschrauben Veränderungen im Botanischen Garten vorgenommen werden, über die die Berliner Bevölkerung und die Beschäftigten kaum informiert sind. Sollte sich bewahrheiten, dass entgegen des Votums mit 80.000 Unterschriften aus dem Jahr 2003 bereits jetzt gegenteilige Fakten geschaffen werden, sorgt das für weiteres Misstrauen.

Die verantwortlichen Politiker*innen müssen im Wahlkampf mit Widerstand der Berliner Bevölkerung rechnen. Gerade die Wähler*innenschaft im Bezirk Steglitz-Zehlendorf dürfte sich hintergangen fühlen. Ein klares Bekenntnis seitens der Berliner Regierung zur künftigen Ausfinanzierung und zur Zukunft des Botanischen Gartens als wissenschaftliche Institution ist längst überfällig.

Mehr zum Thema