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„Sie versuchen Zionismus und Judentum gleichzusetzen“ – Im Gespräch mit Eleonora Roldán Mendívil

18.01.2017, Lesezeit 9 Min.
Gastbeitrag

In diesem Semester findet an der Freien Universität Berlin ein Seminar mit dem Titel „Rassismus im Kapitalismus“ statt, geleitet von Eleonora Roldán Mendívil. Auch im kommenden Semester sollte sie unterrichten, doch nachdem Medien berichteten, sie sei Antisemitin, weil sie Israel als kolonialistisch bezeichnet, scheint dies nun vor dem Aus zu stehen. Wir spiegeln ein Interview mit ihr von der Seite Die Freiheitsliebe über die Vorwürfe, den Unterschied von Zionismus und Antisemitismus sowie ihre Sicht auf den Nahostkonflikt.

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Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die Freie Universität Berlin deinen Vertrag nicht verlängern wird, wie kam es dazu?

Eleonora Roldán Mendívil: Ich habe nur einen Vertrag für die Leitung eines Seminars im Bachelor-Studiengang Politikwissenschaften mit dem Titel „Rassismus im Kapitalismus“ für das Wintersemester 2016/ 2017. Dieses geht bis Mitte Februar, d.h. es stehen noch fünf Sitzungen aus. Die Leitung des Seminars wurde mir nicht entzogen. Jedoch habe ich auch zwei Seminare für das Sommersemester 2017 eingereicht. Per E-Mail wurde mir bereits vor Wochen bestätigt, dass das OSI eines der beiden, ein Seminar zur kritischen Einführung in die Intersektionalitätstheorie, in die Lehrplanung für das Sommersemester 2017 aufgenommen hat. Ich habe dafür jedoch noch keinen Vertrag unterschrieben, da dies meist erst kurz vor Beginn der Lehrveranstaltung geschieht. Die Lehraufträge stellen allgemein eine sehr prekäre Beschäftigung dar, obwohl sie in vielen Instituten den Großteil der Lehre ausmachen.

Die OSI Geschäftsführung hat am Dienstag, basierend auf einem Artikel eines Blogs mit offen rechtem Inhalt, welcher in der ‚Jüdischen Rundschau‘ ohne Veränderungen gespiegelt wurde und dessen Unterstellungen von der „Gruppe gegen jeden Antisemitismus FU Berlin“, eine studentische Vereinigung aus verschiedenen Personen, die meiner Meinung nach nichts anderes als eine unkritische pro-israelische Position vertreten, übernommen wurde, entschieden, mir bis auf weiteres keine neuen Lehrveranstaltungen zu geben. Damit wurde mein Seminarvorschlag für das Sommersemester 2017 zurückgezogen.

Dir wird aus rechten Kreisen Antisemitismus vorgeworfen. Was ist an der Aussage dran?

Sie zeigt den erneuten Versuch, Zionismus mit Judentum gleichzusetzen. Das ist natürlich totaler Quatsch. Nicht alle jüdischen Menschen sind Zionisten. Der Politische Zionismus in seinen verschiedenen Ausformungen ist unter anderem als Antwort auf den europäischen anti-jüdischen Rassismus entstanden. Es sollte ein Staat, eine Nation geschaffen werden, in dem Juden und Jüdinnen die Mehrheit bildeten und somit der Verfolgung als Juden und Jüdinnen ein Ende setzen konnten. Viele jüdische Menschen haben hier eine Möglichkeit der Emanzipation als Juden und Jüdinnen gesehen. Viele aber auch nicht. Vehemente Kritiken kamen von vielen jüdischen Kommunisten und Anarchisten. Emma Goldman, russische Anarchistin und Arbeiterführerin in den USA, war z.B. eine entschiedene Gegnerin. Und auch heute gibt es von verschiedenen jüdischen Intellektuellen entschieden Widerstand gegen diese Gleichsetzung. Bekannte Namen sind da Judith Butler, Noam Chomsky, Moshe Zuckermann, Norman Finkelstein sowie Ella Shohat. Außerdem engagieren sich viele zivile Initiativen von jüdischen Menschen sowie Israelis gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen und die Besatzung. Hierunter zählen z.B. ‚Jewish Voice for Peace‘, ‚Boycott from Within‘ oder auch die ‚Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost‘. Es ist Teil des zionistischen Geschichtsmythos, dass der Zionismus und nun der Staat Israel mit dem Judentum gleichzusetzen sei. Dieses Argument wird immer wieder von rechten Kreisen, in die sich leider auch einige verwirrte subjektive ‚Linke‘ einreihen, bedient, um Kritik am Staat Israel mundtot zu machen. Es ist also nichts dran an dieser Aussage, da ich, wie viele andere kritische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, lediglich Positionen vertrete, die sich aus einer differenzierten und kritischen Geschichtsanalyse ergeben. In diesem Sinne spricht rassismusanalytisch Vieles dafür, Israel als eine Kolonialmacht und völkerrechtlich als einen Apartheid-Staat einzuordnen. Mit Verleumdung hat das nichts zu tun, sondern ist eine politische und juristische Bewertung der Fakten vor Ort.

Die Hochschulgruppe „Gegen jeden Antisemitismus“ schreibt über dich, „Sie verharmlost mit diesen Vergleichen und Bezeichnungen nicht nur die historischen Verbrechen des Kolonialismus und der Apartheid und stellt den israelischen demokratischen Rechtsstaat mit Unrechtsregimen auf eine Stufe.“ – Wie entgegnest du auf solche Aussagen?

Nach meiner Lehrveranstaltung am letzten Mittwoch habe ich mit einigen Studierenden dieser Initiative sowie Studierenden aus meinem Seminar hierzu diskutiert. Die Verwendung analytischer Konzepte wie Kolonialismus und Apartheid stellen keine Verharmlosung des historischen Kolonialismus und der südafrikanischen Apartheid dar. Israel hat historische Verbrechen an der palästinensischen Bevölkerung begangen. Es gab nach dem Historiker Ilan Pappé, systematische ethnische Säuberungen sowie neben aufgekauftem Land auch Landraub und systematische Vertreibung. Kolonialismus, Besatzung und/oder Apartheid sind keine Beschönigung sondern analytische Kategorien, um reale Verhältnisse politikwissenschaftlich greifbar zu machen. Und bei Israel kann spezifisch von Siedlerkolonialismus gesprochen werden, dessen Ziel es ist, die indigene Bevölkerung der Eingewanderten unterzuordnen oder gar komplett zu ersetzen. Warum sollten wir andere Standards an Israel setzen als bei sonstigen politischen Analysen? Diskriminierende Gesetze, die zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Menschen in Israel/Palästina unterscheiden, sind das offensichtlichste Beispiel einer materiellen Apartheid, die sich selbstverständlich von der südafrikanischen Apartheid in bestimmten Details unterscheidet, ihr aber in vielen Belangen in nichts nachsteht.

Die Ursache des Konflikts scheint es zu sein, dass du die Behandlung der Palästinenser als rassistisch und ihre Unterdrückung als kolonialistisch bezeichnest, wie kommst du zu diesen Urteil?

Indem ich rassismus- und kolonialanalytische Ansätze anwende, so wie ich es auch in der Analyse der deutschen Gesellschaft für notwendig erachte. Das Problem der übergroßen Mehrheit der Deutschen, und dies kann auch für andere Kontexte mehr oder weniger übertragen werden, ist dass sie Israel/Palästina nur aus dem deutschen Kontext heraus betrachten wollen. Ich fange aber vor Ort in Palästina an und stelle fest, hier ist einiges Falsch gelaufen.

Ist Israel damit in deinen Augen mit dem südafrikanischen Regime vergleichbar?

Der Maßstab ist hier nicht Südafrika, sondern die Anti-Apartheidkonvention von 1973, die eine sehr ausführliche Definition von Apartheid enthält. Sobald die völkerrechtlichen Tatbestandsmerkmale der Apartheid vorliegen, ist die Rede von Apartheid. Eine ganze Reihe von unterschiedlichen Lebensbedingungen existieren für Palästinenserinnen und Palästinenser, je nachdem ob sie innerhalb der offiziellen Staatsgrenzen Israels, oder in Gaza, im besetzten Ost-Jerusalem oder in den verschiedenen Besatzungszonen im Westjordanland leben, je nach Pass und Nationalität, aber grundsätzlich ihnen zu Lasten. Es besteht eine systematische Ungleichbehandlung nach ‚jüdisch‘ und ’nicht-jüdisch‘ in fast allen Lebensbereichen – in Bildung, Recht, Arbeitsmarkt, Arbeitsbedingungen, öffentlicher Infrastruktur, Zugang zu natürlichen Ressourcen, Bewegungsfreiheit und medizinischer Versorgung. So kommt der UN-Ausschuss in seinem Länderbericht zu Israel 2012 zu dem Ergebnis, dass diese Praxen zumindest de facto eine Segregation darstellen und damit gegen Art. 3 der Antirassismuskonvention verstoßen. Und wir sollten nicht vergessen: viele südafrikanische Anti-Apartheid Aktivisten und Aktivistinnen unterstützen damals wie heute den palästinensischen Kampf gegen Unterdrückung und für einen gerechten Frieden – gerade wegen der vielen Parallelen.

Diese Aussagen sind eine harte Kritik an Israel aber wieso werden sie als antisemitisch bezeichnet? Wie definierst du Antisemitismus?

Ich beschäftige mich wissenschaftlich primär mit Marxistischer Theorie, sowie mit antirassistischen und antipatriarchalen Theorien und Kämpfen. Für mich endet meine wissenschaftliche Auseinandersetzung aber nicht mit dem Lesen und Schreiben. Als Intellektuelle haben wir einen gesellschaftlichen Auftrag. Also geht es auch darum, uns praktisch für die Sachen einzusetzen, mit denen wir uns wissenschaftlich beschäftigt haben, die uns wiederum die Verantwortung und Gewissheit geben auch politische Positionen beziehen zu können. Ich bin nur einer unter vielen Menschen, die sich in den vergangenen Jahren aus einer kritisch-solidarischen Perspektive mit der Unterdrückung von Kurden und Kurdinnen und Palästinenser und Palästinenserinnen auseinandergesetzt haben, nicht weil daneben keine weitere Formen von kolonialer Unterdrückung in der Welt existieren, sondern da dies Themen sind, die in vielen migrantischen Gruppen in Deutschland von permanenter Relevanz sind. Die Kritiken, die ich auf dem alten Blog von mir geäußert habe, sind nicht besonders hart. Sie basieren auf objektiven geschichtlichen Analysen. Zu Unrecht zu schweigen, darf gerade mit unserer geschichtlichen Erfahrung keine Option sein. Diese nun als ‚antisemitisch‘ zu bezeichnen, ist eine bekannte politische Strategie, die Moshe Zuckermann in seinem Buch „Antisemit!“ als oft getätigtes Herrschaftsinstrument entlarvt. Es geht um die taktische Nutzung des Antisemitismus-Vorwurfs, um ein bestimmtes zionistisches Narrativ festzuschreiben. Die Basis dieses Narrativs ist eine Antisemitismus-Definition, die eine Reihe von Kritiken an Israel als Staat verunmöglichen. Dem setze ich eine materialistisch-dialektische Definition gegenüber: Ich verstehe Antisemitismus als den Überbegriff von historisch und geografisch spezifischen Formen von Rassifizierung und Andersbehandlung von Menschen aufgrund ihrer Zuschreibung zu einem angeblich homogenen Judentum – sei diese Andersbehandlung positiv oder negativ. Mit dieser Methode soll es also um die Anwendung analytischer Kategorien gehen, die es uns ermöglichen, antijüdischen Rassismus in seinen konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen zu erfassen, um ihn zu verstehen, zu bekämpfen und zu überwinden.

Abschließend glaubst du, dass es in Deutschland schwierig ist, mit israelkritischen Positionen im öffentlichen Raum zu bestehen?

Eleonora Roldán Mendívil: Ich denke, dass die reaktionäre Hetze, die mich als Wissenschaftlerin in den vergangenen Tagen getroffen hat, und die affirmative und unkritische Bestätigung dieser Kampagne durch das Otto-Suhr-Institut, genau das zu Genüge beweist. Die grundgesetzlich gewährleistete Wissenschaftsfreiheit wird hiermit in Frage gestellt. Ich hätte mir einen konstruktiven Umgang des Otto-Suhr-Instituts hiermit gewünscht. Ich hoffe aber, dass dieser Angriff eine ernsthafte Diskussion über politische Zensur kritischer Analysen und Positionen, sowie über den Rechtsruck der Gesellschaft und der Akademie auslöst. Die von Studierenden aus meinem aktuellen Seminar „Rassismus im Kapitalismus“ organisierte Petition und die unzähligen solidarischen Emails und Offenen Briefe aus der ganzen Welt, die ich in den letzten Tagen empfangen habe, zeigen mir, dass ich in diesem Angriff nicht alleine stehe. Im Gegenteil, die Verteidigung kritischer Wissenschaft und Lehre und die entschiedene Kritik jeglicher Ungerechtigkeit bleiben wichtige Bestandteile eines kritischen Bewusstseins.

Danke dir für das Gespräch.

Dieses Interview erschien zuerst bei Die Freiheitsliebe.

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