Sie bombardieren, um sie zu retten: die imperialistische Logik des Krieges

10.04.2017, Lesezeit 7 Min.
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Präsident Trump gab am Donnerstag Abend den Befehl, eine neue Front im Syrienkrieg zu eröffnen. Die US Navy feuerte 59 Tomahawk-Raketen auf das Al Shayrat-Flugfeld in Syrien, von dem aus der Chemiewaffenangriff angeblich durchgeführt worden war.

Dies markiert eine qualitative Veränderung in der US-Politik gegenüber Syrien seit Beginn des Bürger*innenkriegs. Es ist auch eine deutliche Abkehr von Trumps eigenen Wahlversprechen: zu versuchen, mit Russland zusammen zu arbeiten, um den „Islamischen Staat“ (IS) im Zaum zu halten.

Die Situation eskalierte nach dem Einsatz von chemischen Waffen am Dienstag in der von der Opposition kontrollierten Provinz Idlib, bei dem 80 Menschen starben. Frankreich und Großbritannien machten das Assad-Regime für den Chemiewaffenangriff verantwortlich. Russland beschuldigte stattdessen bewaffnete oppositionelle Gruppen, Chemiewaffen in Anlagen gelagert zu haben, die von der syrischen Luftwaffe bombardiert wurden.

Mit der verlogenen Rhetorik, die Kinder vor dem Assad-Regime schützen zu wollen, befahl Trump am Donnerstag Abend den direkten Luftschlag. Er markierte damit einen Bruch mit der bisherigen Syrien-Politik, die aus drei Elementen bestand: Erstens in der formalen militärischen Nichteinmischung in von der Regierung kontrollierte Gebiete; zweitens in verdeckter militärischer und finanzieller Unterstützung von oppositionellen Milizen; und drittens in direktem Bombardieren von Gebieten unter IS-Kontrolle.

Trump bereitete den Boden für eine militärische Intervention am frühen Donnerstag, als er erklärte, Assad hätte mit dem Einsatz von Chemiewaffen „eine rote Linie überschritten“, und nun „etwas passieren müsste“. Außenminister Rex Tillerson ging noch weiter und versprach eine „angemessene Reaktion“. Weiterhin behauptete Tillerson: „Assads zukünftige Rolle ist unsicher.“

Die Regierung Trump hatte bisher einen holprigen Start: der erzwungene Rücktritt von Michael Flynn; die (zweifache) Vereitelung des Einreisestopps; das blamable Scheitern, eine Mehrheit für die neue Gesundheitsreform zu finden. Inmitten dieser Reihe von Fehltritten kann eine entschiedene Intervention in Syrien als ein Versuch gesehen werden, die Zeichen der Schwäche in der Regierung Trump zu überdecken und die Reihen gegen einen äußeren Gegner zu schließen.

Hillary Clinton bekundete am Donnerstag bereitwillig ihre Befürwortung einer militärischen Intervention, um die Syrische Luftwaffe zu zerstören. Auch die „progressiven Demokraten“ Chuck Schumer und Elizabeth Warren erklärten ihre volle Zustimmung zur Bombardierung. Auch die Republikaner Marco Rubio und John McCain unterstützten die militärische Aktion.

Mainstream-Medien wie die New York Times und die Washington Post berichteten – entgegen der üblichen liberalen Kritik an Donald Trump – wohlwollend. „Trump-Regierung verübt Vergeltungsschlag für Chemiewaffenangriff in Syrien“, schreibt die Washington Post. Sie nimmt dabei wie selbstverständlich an, dass die USA dazu berechtigt sind – oder es sogar von ihnen verlangt wird -, in jedem Land zu intervenieren, falls sie es für richtig halten. Die New York Times veröffentlichte einen Artikel, der Trumps Entscheidung, Syrien zu bombardieren, wörtlich als einen Beweis seiner Sensibilität interpretiert: „Beim Syrien-Angriff ging Trumps Herz vor“. Geleitet durch diese großherzige Eingebung entschied Trump, dasselbe Land zu bombardieren, aus dem er die Aufnahme von Geflüchteten verweigert.

Gleichzeitig sendet die forsche Intervention in Syrien eine Nachricht an den chinesischen Präsidenten Xi Jinping, der gerade sein erstes Treffen mit Donald Trump hatte. Die US-Regierung hat den Druck auf China erhöht, dem nordkoreanischen Nuklear- und Raketen-Programm Einhalt zu gebieten. Da 85 Prozent des nordkoreanischen Handels mit oder durch China geführt wird, würden von Peking verhängte wirtschaftliche Sanktionen einen enormen Effekt auf Pjöngjang haben. China war bisher jedoch in dieser Hinsicht zurückhaltend, da ein so heftiger Schlag gegen die Kim Jong-un-Regierung das Land destabilisieren könnte – und sogar die Möglichkeit eines Zusammenbruchs des nordkoreanischen Regimes und eine Wiedervereinigung Koreas mit sich bringen könnte.

Was können wir von Putin erwarten?

Obwohl Putin den US-Angriff auf das Al Shayrat-Flugfeld entschieden verurteilt hat, ist es immer noch unklar, was die Reaktion der russischen Regierung sein wird. Das Pentagon informierte den Kremel vorsorglich im Voraus über den Luftschlag. Dadurch konnten russische Streitkräfte aus dem Zielgebiet abgezogen werden, um russische Verluste zu vermeiden. Aber das wird nicht das Ende der Geschichte bleiben. Russland hat ein großes Interesse am Erhalt der Assad-Regierung (die Marinebasis in Tartus ist Russlands einzig noch übrig gebliebene Militärbasis im Nahen Osten). Seine militärische Unterstützung war entscheidend in der Wiedereroberung von Gebieten aus den Händen der Opposition.

Russland nutzte Obamas moderatere Politik (geschuldet einer starken Opposition innerhalb der USA gegenüber der Bombardierung Syriens seit 2013) aus und intervenierte im Laufe 2016 verstärkt in den Konflikt. Das verschob die Kräfteverhältnisse zugunsten von Assads Streitkräften. Das Ergebnis war eine unverhältnismäßige Stärkung von Russlands regionalem Einfluss im Hauptkonfliktfeld der geopolitischen Arena.

Falls die Luftschläge – so wie sie dargestellt wurden – wirklich nur eine Warnung an die syrische und russische Regierung war – bezogen auf den Einsatz von chemischen Waffen -, wären keine weiteren Konsequenzen oder Vergeltungen zu erwarten. Eine offene Konfrontation mit dem US-Militär ist ein Szenario, das Putin vermeiden will. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Trump-Regierung die militärische Intervention verstärken wird, um den Aufstieg Russlands in der Region zu untergraben. Es ist noch unklar, ob dies in der Form von Interventionen am Boden passieren würde, aber neue Truppen wurden im ersten Monat von Trumps Präsidentschaft stationiert. Die USA und Russland haben gegensätzliche Interessen in Syrien. Das Zusammenstoßen ihrer Streitkräfte kann längst nicht ausgeschlossen werden. Es sei denn, Russland beschließt, als Reaktion auf Trumps forsche Offensive, sich zurückzuziehen.

Syriens Bürgerkrieg

Nach dem Massenaufstand 2011 wurde die Syrische Opposition mit gewaltsamer Repression der Assad-Regierung überzogen. Innerhalb eines Jahres entwickelten sich die Zusammenstöße zu einem bewaffneten Konflikt zwischen der Syrischen Armee und mehreren bewaffneten Gruppen, viele unterstützt durch die USA oder US-Verbündete (namentlich die Türkei). Darüber hinaus wurde die Situation durch zwei weitere Akteure verkompliziert: die unabhängige kurdische Provinz Rojava, wahrscheinlich die einzige weitgehend progressive Kraft in dem Konflikt, und der IS.

Syrien ist zu einem Schlachtfeld geworden, wo regionale Mächte und imperialistische Länder ihre militärischen Muskeln spielen lassen und versuchen, in der strategisch wichtigen Region des Nahen Ostens die Oberhand zu gewinnen. Die syrische Bevölkerung hat den Preis zu bezahlen. Europäische Länder und die USA haben die Beschränkungen für Geflüchtete aus Syrien hochgefahren – zu dem Zeitpunkt, wo internationale Solidarität am meisten gebraucht wird.

Stoppt den Krieg, bekämpft Imperialismus

Obwohl das Szenario komplex ist, ist eine Sache klar: Die US-Militär-Intervention wird keine Lösung für die syrische Bevölkerung bringen. Darüber hinaus haben die Einmischungen der USA in Afghanistan, Libyen und dem Irak nichts als desaströse Konsequenzen gebracht, die noch heute sichtbar sind. Der letzte US-Angriff in Mossul, unter Trumps Kommando, verursachte bis zu 200 zivile Opfer.

Aktivist*innen, die sich im Widerstand gegen Trump, in Frauen- und Pro-Immigrations-Bewegungen engagieren, genauso wie die breitere Linke, sollten diese und jegliche militärische Intervention der USA (und anderer imperialistischer Mächte, A.d.Ü.) entschieden zurückweisen. Mehrere Demonstrationen wurden am Freitag in großen Städten wie New York und Chicago organisiert.

Angesichts von Trumps nationalem Chauvinismus müssen wir den radikalsten linken Internationalismus voranbringen. Dies beginnt mit der Positionierung gegen die Bombardierung von Syrien, gegen weltweite militärische US-Interventionen und für die Forderung nach offenen Grenzen für alle Menschen auf der Flucht.

Dieser Artikel erschien am 7. April auf unserer Schwesterseite Left Voice in den USA.

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