Rezession und zweistellige Inflation: Die Wirtschaftskrise vertieft sich, soziale Angriffe werden kommen

21.09.2022, Lesezeit 7 Min.
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Foto: DIE LINKE. Sachsen / flickr.com

Bundesbank und Wirtschaftsinstitute prognostizieren einen Rückgang der Wirtschaftsleistung und eine zweistellige Inflation. Das bedeutet in der Perspektive Entlassungen und Schließungen, wenn die Kapitalist:innen die Krise auf unsere Schultern abwälzen.

Am Montag veröffentlichte die Deutsche Bundesbank einen Bericht, laut dem die deutsche Wirtschaft bis weit ins nächste Jahr hinein schrumpfen wird. Nach einer sogenannten technischen Rezession mit zwei Quartalen schwächerer Wirtschaftsleistung werde im kommenden Jahr das Wirtschaftswachstum deutlich zurückgehen.

Die Gründe dafür sieht die Bundesbank vor allem in der Inflation: höhere Preise für Energie und Nahrungsmittel, die auch für die Verteuerung der Industrieproduktion und der Dienstleistungen sorgen werden. Dazu passt ein Bericht des Statistischen Bundesamtes von gestern, dass die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte im August 2022 durchschnittlich 45,8 Prozent teurer waren als im August 2021 – der höchste Anstieg seit Beginn der Erhebung 1949. Laut Ralph Solveen, Ökonom der Commerzbank, ist wegen der weiter steigenden Energiepreise „in den kommenden Monaten auch bei der Verbraucherpreisinflation mit neuen Rekordwerten zu rechnen“.

Die Bundesbank erwartet laut dem erwähnten Bericht bis Jahresende ebenfalls eine zweistellige Inflationsrate. Die „Entlastungspakete“ der Bundesregierung würden demnach die Inflation erst im kommenden Jahr eindämmen.

Auch Wirtschaftsforschungsinstitute wie das ifo-Institut oder das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) hatten schon in den vergangenen Wochen Berichte veröffentlicht, die ebenfalls von einer Rezession und einer weiter steigenden Inflationsrate ausgehen. Timo Wollmershäuser, Leiter der ifo-Konjunkturprognosen, sagte dazu: „Der Kaufkraftverlust, gemessen am Rückgang der realen Pro-Kopf-Löhne in diesem und im kommenden Jahr um jeweils etwa 3 Prozent, ist so hoch wie nie zuvor seit dem Beginn der heutigen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen im Jahre 1970.“

Deutsches Exportmodell in der Krise

Die Teuerung bei den Erzeugerpreisen zeigt in besonderem Maße die internationale Verflechtung der deutschen Wirtschaft auf. Der Ukrainekrieg hat die schon zuvor existierenden Lieferengpässe und die steigenden Rohstoffpreise verschärft und gefährdet nun sogar die deutschen Exporte: Im Mai dieses Jahres war die deutsche Außenhandelsbilanz zum ersten Mal seit mindestens 14 Jahren negativ. Das liegt daran, dass die deutsche Wirtschaft sich zum einen auf billiger Arbeitskraft, oft aus Osteuropa, mit dem europäischen Binnenmarkt und mit der Währungsunion aufgebaut hat. Und zum anderen auf billigen Rohstoffen, etwa Gas aus Russland, und dem Waren- und Kapitalexport in Länder wie China.

Der Krieg stellt dieses Modell grundsätzlich in Frage. Und damit eröffnet sich ein weiteres Problem: Wer bezahlt den Rückgang der Wirtschaft? Die Bundesregierung hat – aller „Entlastungspakete“ zum Trotz – eine eindeutige Antwort: die Verstaatlichung von Unternehmen mit Steuergeldern in Milliardenhöhe wie nun beim Gaslieferanten Uniper und die weitere Belastung der großen Mehrheit der Bevölkerung durch eine Gasumlage, die aller Kritik zum Trotz laut Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) zum 1. Oktober eingeführt wird.

Heizung und Strom werden zum Existenzrisiko

Mit anderen Worten: Während kapitalistische Großkonzerne mit Steuergeldern „gerettet“ werden, kommen auf die Arbeiter:innenklasse, die Rentner:innen und die Jugend weitreichende finanzielle Schwierigkeiten zu. Und sollte die Wirtschaft tatsächlich weiter in die Krise geraten, werden von Seite der Unternehmen weitere Angriffe folgen, bis hin zu Entlassungen und Schließungen.

Schon jetzt können laut einer Studie der Sparkassen bis zu 60 Prozent aller Haushalte ihre Lebenshaltungskosten nur dadurch aufbringen, dass sie ihre gesamten monatlichen Einkünfte und teils auch ihre Ersparnisse aufbrauchen. Dabei hat der Winter noch gar nicht begonnen, die Heiz- und Stromabrechnungen kommen erst im nächsten Jahr ins Haus geflattert.

Schon jetzt sind laut Umfragen fast 40 Prozent der Bevölkerung besorgt, dass sie ihre Strom- und Gasrechnungen nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten bezahlen können.

Ein Notfallprogramm gegen Inflation, Krise und Krieg

In dieser Situation gibt es bereits erste Proteste gegen steigende Preise und gegen die Gasumlage, wie am 5. September in Leipzig mit 5.000 Personen und in Berlin mit 1.000 Personen. Insbesondere in Ostdeutschland gibt es jedoch auch schon in dutzenden Städten kleinere „Montagsdemos“, die in ihrer Summe Zehntausende ausmachen. Das zeigt: Das Potenzial für sozialen Protest gegen die Krisenpolitik der Regierung ist da.

Die Regierung versucht bei jeder Gelegenheit, die bisherigen Proteste als rechts zu diffamieren. Und tatsächlich sind insbesondere bei den ostdeutschen „Montagsdemos“ AfD-Fahnen und andere rechte Symbole zu sehen. Das liegt aber nicht daran, dass diese Proteste von vorneherein rechts sein müssen, sondern im Gegenteil an der Schwäche insbesondere der reformistischen Linken wie der Linkspartei, die der rechten Demagogie den Platz frei halten. Denn sie haben in den vergangenen Jahren keinerlei Alternative zur Politik der Regierung angeboten und sich im Ukraine-Krieg größtenteils hinter Scholz, Baerbock und Co. gestellt, insbesondere in der Frage der Sanktionen gegen Russland. Das ist besonders deshalb verheerend, weil angesichts der wachsenden sozialen Einschnitte, die unter anderem durch die Sanktionspolitik der Regierung befeuert werden, laut Umfragen inzwischen eine Mehrheit der Bevölkerung weitere finanzielle Belastungen durch die Sanktionen ablehnt, insbesondere in Ostdeutschland, wo sich 77 Prozent dagegen aussprechen. In dieser Situation versucht das sozialchauvinistische Lager um Sahra Wagenknecht, mit einer Rhetorik gegen die Sanktionen und gegen die steigenden Preise zu punkten, aber ohne ein Programm vorzuschlagen, welches den rechten Kräften das Wasser abgräbt. Stattdessen hat Wagenknecht auch in der Vergangenheit immer wieder die Interessen von Migrant:innen und Geflüchteten den Interessen der „deutschen“ Arbeiter:innenklasse entgegengestellt.

Statt einer solchen sozialchauvinistischen Anbiederung, die letztlich den Rechten freie Bahn lässt, müssen linke, gewerkschaftliche und soziale Organisationen ein Notfallprogramm gegen Inflation, Krise und Krieg vorschlagen, welches ein grundlegendes gemeinsames Interesse der Arbeiter:innen, Rentner:innen und Jugendlichen aller Länder gegen das kapitalistische Profitinteresse der Unternehmen verteidigt.

Ein solches Programm muss von sofortigen Preisstopps für Energie, Lebensmittel und Mieten sowie einer automatischen Anpassung von Löhnen, Gehältern, Renten und Sozialleistungen an die Inflation ausgehen, finanziert durch hohe Steuern auf Gewinne und Vermögen. Dazu gehört auch die entschädigungslose Verstaatlichung des Energiesektors unter Arbeiter:innenkontrolle, anstatt der Rettung von Unternehmen mit Steuergeldern. Zugleich braucht es aber auch ein Programm, welches nicht bei ökonomischen Forderungen stehen bleibt, sondern den Kampf gegen die beispiellose Aufrüstung des deutschen Imperialismus, die Sanktionen und die Vorbereitungen zukünftiger Kriege aufnimmt, für die Streichung der Schulden der abhängigen Länder eintritt und angesichts der wachsenden humanitären Katastrophe der Kriege sowie der erzwungenen Migration durch die Klimakatastrophe und die Wirtschaftskrise für die bedingungslose Aufnahme und volle Staatsbürger:innenrechte für alle Geflüchteten und ein Ende aller Abschiebungen fordert.

Ein solches Programm kann unserer Meinung nach nur durch Streiks und Massenmobilisierungen der Arbeiter:innen und der Jugend durchgesetzt werden. Ausgehend von den aktuellen Tarifrunden und Streiks der Gewerkschaften, die für Abschlüsse oberhalb der Inflationsrate kämpfen müssen und diese Tarifkämpfe mit sozialen Protesten verbinden und ihnen ein klares Profil der Arbeiter:innenklasse geben müssen.

Eine Möglichkeit dafür ergibt sich bei der Demonstration des Bündnisses „Heizung, Brot & Frieden!“ am 3. Oktober in Berlin, zu der wir gemeinsam mit weiteren Organisationen, insbesondere aus dem Spektrum der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), zu einem klassenkämpferischen und antiimperialistischen Block aufrufen werden.

Demonstration am 3. Oktober in Berlin


3. Oktober.2022, 13.00 Uhr

Auftaktkundgebung: Potsdamer Platz

Demo-Route: Leipiger Str. – Charlottenstr. – Unter den Linden – Bebelplatz

Heizung, Brot & Frieden! Protestieren statt Frieren! Demonstration am 03. Oktober in Berlin


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