Rettet die Grundrente die GroKo?

15.11.2019, Lesezeit 9 Min.
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Am Sonntag haben sich die Spitzen der Großen Koalition auf einen Kompromiss zur Grundrente geeinigt, der die strukturelle Ungleichheit des Rentensystems und die Altersarmut zementiert. Trotz des Kompromisses rumort es In Union und SPD weiter – entscheidende Parteitage stehen in den nächsten Wochen bevor.

Am Sonntag haben die Parteispitzen von CDU, CSU und SPD nach langem Hin und Her einen Kompromiss zur sogenannten Grundrente verabschiedet. Im Koalitionsvertrag war eine solche Rente als Zusatz zur Grundsicherung im Alter vereinbart worden, um die grassierende Altersarmut einzudämmen.

Während sich nun die Parteispitzen für den Kompromiss feiern, ähnlich wie sie es schon bei der Vorstellung der „Halbzeitbilanz“ der GroKo vor wenigen Wochen gemacht haben, haben die heutigen und künftigeren Rentner*innen weniger zu lachen.

Die Grundrente soll bei Menschen bis zu einem Einkommen zuzüglich Rente und Kapitalerträgen von 1.250 Euro bei Alleinstehenden und 1.950 Euro bei Paaren gelten. Das allein ist schon zu beanstanden, denn so bleibt die Rente weiterhin um hunderte Euro niedriger als der gesetzliche Mindestlohn, der eine Untergrenze zum Überleben darstellen soll. Doch damit niicht genug: Die Grundrente soll nur bekommen, wer mindestens 35 Jahre lang sozialversicherungspflichtig beschäftigt war oder Kinder und Angehörige versorgt hat, alle anderen fallen vollständig aus der Neuregelung raus.

Und selbst dann wird eine „Bedürftigkeitsprüfung“ fällig, die nichts als soziale Demagogie ist. Der ursprüngliche Gesetzesvorschlag der SPD hatte noch keine solche Prüfung vorgesehen, während die Union auf demagogische Weise ein „Gießkannenprinzip“ angeprangert hat und absurde Beispiele herangezogen hat, die angeblich gerade diejenigen benachteilige, die die Grundrente dringend bräuchten, während andere unnötig subventioniert würden. Dabei löst die Grundrente gar nicht die strukturellen Probleme der Altersarmut. Bei durchschnittlich 80€ mehr im Monat kann man wirklich kaum von einem Meilenstein sprechen. Vor allem Frauen in Ostdeutschland werden in vielen Fällen nicht auf die nötigen 35 Jahre Beitragszahlungen kommen und bleiben selbst denn im Zweifel unterhalb der Armutsgrenze. Die Grundrente mildert lediglich die krassesten Folgen von Armut im Alter, ohne sie zu lösen.

Sicherlich: Für Einige wird die Grundrente eine spürbare Verbesserung darstellen. Doch mehrere zentrale Probleme werden mit der vereinbarten Grundrente nicht gelöst:

Warum müssen überhaupt Menschen 35 Jahre lang für Löhne arbeiten, die nicht für ein würdevolles Leben im Alter reichen? Der seit Jahrzehnten verfestigte strukturelle Niedriglohnsektor sorgt überhaupt erst dafür, dass die Renten im Alter so niedrig sind. Hinzu kommt die schrittweise Demontierung und Privatisierung der gesetzlichen Rentenversicherung, die ihr übriges dazu beigetragen hat. Anstelle eine für alle Einkommen gleiche Berechnungsgrundlage, basiert die Rentenberechnung weiterhin auf dem vorherigen Gehalt (und noch dazu weiterhin unterschiedlich in Ost und West – 30 Jahre nach dem Mauerfall!), sodass prekäre Arbeit automatisch weiter zu Altersarmut führt.

GroKo-Krise nicht überwunden

Trotz der Einigung auf GroKo-Ebene ist die schwelende Regierungskrise nicht überwunden. Vor allem in der Union gab es bedeutende oppositionelle Stimmen, die nicht zu verachten sind, kommt die Kritik doch nur wenige Wochen vor entscheidenden Parteitagen von Union und SPD. Das Fortbestehen der Großen Koalition über Dezember hinaus ist keineswegs gesichert.

Besonders an der Spitze der CDU rumort es. Annegret Kramp-Karrenbauer, die schon in den vergangenen Wochen unter scharfer Kritik stand, konnte zwar das CDU-Präsidium vereint hinter den Grundrente-Kompromiss brinigen, doch mehrere Mitglieder des Parteivorstands stimmten dagegen: der Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Carsten Linnemann, der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, sowie der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Olav Gutting. Es handelt sich nicht von ungefähr um die konservativsten und neoliberalsten Sektoren der Union. Es sind dieselben Sektoren, die schon Angela Merkel vorgeworfen haben, die Union zu „sozialdemokratisieren“, und eine noch konservativere und neoliberalere Politik durchsetzen wollen.

Angeblich ist sogar auf dem CDU-Parteitag am 7. Dezember ein „kritischer Antrag“ gegen die Grundrente geplant. Auch wenn eher unwahrscheinlich ist, dass die Union tatsächlich einen Schreihals wie Friedrich Merz zum Kanzlerkandidaten machen wird, wie es dieser gerne hätte, ist der CDU-Parteitag in Leipzig für den rechten Rand der Union ein Kräftemessen, wie sehr sie die Parteispitze und die Bundesregierung in den nächsten zwei Jahren unter Druck setzen können. Das kommt auch nicht von ungefähr nach den Wahlergebnissen in Thüringen, wo der rechteste Sektor der Union offen eine Koalition mit der AfD fordert.

Während früher die CDU eine sehr stark auf die Führungsfiguren zugeschnittene Partei war, nicht zuletzt auch unter Angela Merkel, die in den ersten Jahren ihrer Kanzlerinnenschaft ein ums andere Mal unliebsame Kritiker*innen aufs Abstellgleis manövriert hat, ist die Partei in den vergangenen Jahren immer stärker in verschiedene miteinander konkurrierende Machtzentren zerfallen. Diese Machtzentren gab es zwar auch schon früher – die einzelnen Landesregierungen, die Bundestagsfraktion, die Parteispitze, die Mittelstandsunion usw. –, jedoch zeigt ihr internes Kräftemessen, wie instabil die Führungsriege geworden ist. Wie die Tagesschau in einem Kommentar schreibt: „War die Fraktion früher unter Führung von Volker Kauder noch ein Stabilitätsanker für die Politik Angela Merkels – Kritiker meinen: ein Abnickorgan der Regierungspolitik – , ist sie inzwischen ein eigenständiges Machtzentrum. Ralph Brinkhaus hat der Fraktion neues Selbstbewusstsein gegeben – wegen der ungeklärten parteiinternen Machtfrage wird sie aber zum Risiko für die GroKo. Zumal das andere Machtzentrum der Partei – die Chefin – schwach ist. Und das dritte Machtzentrum – die Kanzlerin – sich weitgehend raushält. Dass sich Merkel trotzdem vergangene Woche in der Fraktion für den Grundrenten-Kompromiss stark gemacht hat, wird fraktionsintern auch als Beleg für die Schwäche Kramp-Karrenbauers gewertet.“

Die spannende Frage ist ob sich AKK mit ihrem Vorschlag eines offensiveren deutschen Militarismus innerhalb der Union wird durchsetzen können. Während Merkel versuche zu vermitteln und sich für einen Kompromiss zur Grundrente stark gemacht hat, war die Verteidigungsministerin für höhere Rüstungsausgaben. Vor allem mit Finanzminister Olaf Scholz gab es innerhalb des Kabinetts scharfe Auseinandersetzungen. Für ihn geht es auch um die Wahl zum SPD-Parteivorsitz, der bei Beibehaltung der schwarzen Null und steigenden Sozialausgaben sich gegen eine Anhebung des Militäretats stellt.

In der SPD fühlt sich der Flügel um Olaf Scholz, dem im Team mit Klara Geywitz die besten Chancen auf den Parteivorsitz vorhergesagt werden, indes wieder bestärkt. Er verweist darauf, dass die SPD in der GroKo die Grundrente durchgesetzt habe, neben anderen Projekten wie dem Gute-Kita-Gesetz, dem Starke-Familien-Gesetz und der Bafög-Erhöhung. Daraus spricht die Hoffnung, glaubhaft zu machen, dass die SPD der GroKo doch „ihren Stempel“ aufdrücken könne. Doch was das für ein „Stempel“ ist, macht die Figur Olaf Scholz am besten klar: Als Bundesfinanzminister verteidigt er die „Schwarze Null“, wo immer er kann, ein neoliberales Spardiktat auf Kosten der großen Mehrheit der Bevölkerung. Die angeblichen „Erfolge“ der SPD in der GroKo sind nichts weiter als ein Tropfen auf den heißen Stein, die immer wieder erneut rechtfertigen sollen, warum die SPD weiterhin an der Regierung bleibt.

Nun ist es nicht so, dass das Gegenkandidat*innen-Duo in der Stichwahl um den SPD-Vorsitz, die am 29. November endet, Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, eine wirklich andere Vision der SPD hätte. Walter-Borjans war sieben Jahre lang Finanzminister von Nordrhein-Westfalen und mehrmals Vorsitzender der Finanzministerkonferenz. Das Duo kritisierte zwar, dass die SPD sich die Bedürftigkeitsprüfung von der Union hat aufdrücken lassen, doch teilen auch sie die antisoziale Grundkonzeption der Grundrente. Neben ihnen sprach auch Groko-Kritiker Karl Lauterbach zwar erst von einer „Minimallösung“, korrigierte sich aber wenig später, nannte den Kompromiss eine „Verbesserung“ und forderte auch Groko-Kritiker*innen auf, dem Arbeitsminister zu danken. Walter-Borjans und Esken sind jedoch nicht angetreten, um mit der GroKo zu brechen. Sie drücken keinen Sektor aus, der tatsächlich die Regierungsbeteiligung aufgeben wollen würde. Nichtsdestotrotz bleibt es spannend, denn auch wenn Scholz-Geywitz mit höchster Wahrscheinlichkeit zum neuen SPD-Vorsitz gewählt werden, muss der SPD-Parteitag vom 6.-8. Dezember den Verbleib in der GroKo beschließen. An der Basis gibt es weiterhin einen großen Sektor, der aus der Koalition raus will – wie viele von ihnen Scholz-Geywitz als Parteispitze akzeptieren werden, wird sich zeigen.

Das alles heißt nicht, dass die GroKo im Dezember auseinanderbricht. Jedoch zeigt der Streit um die Grundrente, dass die Zukunft der Koalition fragil bleibt. Die Fragilität der GroKo und die Vorstöße von AKK zu höheren Militärausgaben und einem neuen deutschen Militarismus, der aggressiv die Interessen der deutschen Bosse vertritt, finden im Kontext einer zunehmend instabilen Weltlage statt. Angesichts des Streits zwischen China und den USA ist es für das deutsche Kapital unumgänglich seine eigenen Interessen zu sichern. Bei Beibehaltung der schwarzen Null stehen dem steigende Sozialausgaben gegenüber.

Es sagt viel über den aktuellen Zustand des deutschen Regimes aus, dass die beiden ehemaligen großen Volksparteien im Streit um ein paar lächerliche Krümel für die Massen eine derartige Regierungskrise auslösen. Hier handelt es sich eben nicht nur um einen Kampf um die Grundrente, sondern um eine allgemeine Neuausrichtung des deutschen Imperialismus.

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