Reformismus im Imperialismus: Wie hält es die linksjugend mit der Antikriegspolitik?

01.04.2022, Lesezeit 8 Min.
Gastbeitrag

Die linksjugend ['solid] schreibt viel zum Krieg und versucht sich gleichzeitig inhaltlich so wenig wie möglich zu äußern. Wir nehmen ihre Forderungen unter die Lupe.

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Foto: C.Suthorn / commons.wikimedia.org

“Ich kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche!” heißt es auf einem Propagandaplakat von Kaiser Wilhelm des II. von 1914. Das Plakat steht sinnbildlich für die Burgfriedenspolitik zwischen Kaisertreuen und Sozialdemokraten zu Beginn des ersten Weltkriegs. Heutzutage gehört es vielleicht zum sozialdemokratischen Chic eine Ukraineflagge anstatt einer Deutschlandflagge zu hissen, der Punkt sich mehr oder weniger bedingungslos in einer Kriegsfront hinter der Bundesregierung zu formieren ist aber sowohl bei der Linkspartei aber auch der linksjugend geblieben. Das geht natürlich nicht im Einklang mit dem eigenen Anspruch als fortschrittliche Friedenspartei, weshalb man die eigene reaktionäre Politik in pseudoprogressive Forderungen kleiden muss. Ich bin aktives Mitglied der linksjugend, weshalb ich mich im Folgenden mit den Positionierungen der linksjugend seit Kriegsbeginn auseinandersetzen werde und wie der Bundesvorstand mit scheinbar fortschrittlichen Forderungen die eigene opportunistische Politik maskiert.

Generell muss man sagen, dass die offiziellen Kanäle der linksjugend mehr wie ein sozialdemokratischer Newsletter strukturiert sind anstatt Statements mit wirklichen Positionierungen und Forderungen zu formulieren. Während täglich mindestens ein Text publiziert wird gibt es nur ein Statement seit Kriegsbeginn in dem tatsächliche Forderungen geäußert werden, ein weiteres in dem eine Positionierung zu Sanktionen vorgenommen wird.

Zu den Sanktionen positioniert sich die linksjugend nur in einem einzigen Satz am Rande eines Beitrags, der die Geschichte von antislawischem Rassismus in Deutschland behandelt. Es wird konstatiert, dass sich Sanktionen nur gegen Verantwortliche in Politik und Militär richten sollten. Dazu ein paar Bemerkungen: Zunächst einmal sollte man sich zuerst einmal anschauen, wer aktuell überhaupt wen sanktioniert. Schaut man sich die Liste der Sanktionen an, so fällt einem auf, dass Sanktionen aktuell überhaupt nur von europäischen und nordamerikanischen Staaten sowie von Australien, Neuseeland, Japan, Singapur, Taiwan und Südkorea verhängt werden. Der imperialistische Block hat sich zusammengefunden. Auf der anderen Seite treffen die Sanktionen, insbesondere gegen russische Banken, aber auch die Filialschließungen, bpsw. von McDonald’s und Starbucks und die damit einhergehende Arbeitslosigkeit, mittlerweile aufs härteste die Zivilbevölkerung. Außerdem ist auch von den Sanktionen gegen die Privatvermögen russischer Superreicher zu erwarten, dass die entstandenen Verluste, an ihre Beschäftigten durchgereicht werden. Mittlerweile treffen die Sanktionen so stark die Zivilbevölkerung, dass bürgerliche Medien schon, aufgrund von Kalkulationen auf einen prowestlichen Regime-Change, EU-Politiker*innen zur Mäßigung anhalten. Abgesehen von der Situation in Russland provozieren die Sanktionen aktuell auch eine weltweite Hungerkrise. Gleichzeitig betont das auswärtige Amt, dass man im Prinzip der Forderung der linksjugend nachkommt, und die Zivilbevölkerung eigentlich außen vor lassen will.

Auch wenn man vielleicht eine gutmeinende Absicht bei der linksjugend Bundesebene unterstellen mag, so ist die Positionierung völlig unzureichend. Eine sozialistische Positionierung kann nur die komplette Ablehnung sämtlicher Sanktionen in Solidarität mit der russischen und der Arbeiter*innenklasse weltweit sein.

Tatsächliche Forderungen findet man auf dem Instagramkanal der linksjugend [‘solid] in einem Beitrag mit dem Titel “Gazprom enteignen!”. Die erste Reaktion vieler Leser*innen des Beitrags mag vielleicht Freude darüber sein, dass die linksjugend auch endlich einmal offensiv positiv auf Enteignungen bezieht. Es sollte einen aber auch stutzig machen, dass in Zeiten des kriegsbedingten Rechtsrucks die linksjugend, die sich zu allen wichtigen Antikriegsfragen wie Waffenlieferungen und Sanktionen entweder äquidistant oder wie im Falle der Sanktionen auf Linie der Bundesregierung positioniert, jetzt plötzlich besonders sozialistische Politik kommt.

Die Argumentation warum speziell Gazprom enteignet werden sollte funktioniert so: Gazprom sei der größte Gaskonzern der Welt, an dem aber der russische Staat die Mehrheit der Anteile besitze. Deshalb könne Gazprom bei den von russischem Gas abhängigen Staat Einfluss üben und über Gaspreise Geopolitik für Russland betreiben. Besonders in Deutschland nehme Gazprom Einfluss über die Bezahlung von Lobbyist*innen wie z.B. Gerhard Schröder genauso wie über Sponsorings wie bei Schalke 04. Übersetzt heißt das also Gazprom muss enteignet werden weil man prorussische Geopolitik (die gegen die Geopolitik der BRD steht) insbesondere in der BRD nicht tolerieren kann. Dazu passt, dass überhaupt keine Forderung aufgestellt wird, was denn mit den Gazprom-Anlagen die die BRD enteignen soll anschließend passieren soll. Gazprom-Anlagen irgendeinem deutschen Konzern zu unterstellen würde die Forderung des linksjugend Bundesvorstand erfüllen. Auch wenn man Enteignungen fordert, formiert man sich also in der Konsequenz hinter dem deutschen Imperialismus und argumentiert nicht aus dem Standpunkt der Arbeiter*innenklasse sondern dem des Klassenstaats BRD.

Der deutsche Imperialismus, der schon zwei Weltkriege zu verantworten hat, rüstet wieder massiv auf um seine geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Wenn dem deutschen Imperialismus Gazprom in die Hand fällt, nimmt er ganz sicher dankend an. Es ist also konkret die Frage wer diese Politik durchsetzt und die Betriebe verwaltet: Die Arbeiter*innen und Jugendlichen, die gegen steigende Energiepreise kämpfen, oder die deutschen Großkonzerne, die mit billigem Gas nur noch mehr Profite machen wollen. Würde man es einfach in die Hände der kapitalistischen Regierung legen, würde sie die Profite an die Konzerne weitergeben, ähnlich wie sie es beim Strompreis macht, der für Verbraucher*innen deutlich teurer ist als für Industrie, Gewerbe, usw.

Eine weitere Forderung, die im Post aufgemacht wird, ist die Forderung nach der Unabhängigkeit von russischem Gas. Auch diese Forderung, die auch in der Klimabewegung an vielen Stellen aufgestellt wird, muss man sehr kritisch diskutieren. In der jetzt vorgenommenen kurzfristigen Umsetzung sieht man schon die Falschheit dieser Forderung, in der die BRD ihren Handel mit Gas nämlich mit dem Sklavenarbeit tolerierenden und eng mit den Taliban kooperierenden Katar statt Russland abzuwickeln versucht. Mehr braucht man zur Unabhängigkeit von russischem Gas eigentlich auch nicht mehr schreiben. Die Forderung nach einer expliziten Unabhängigkeit von russischem Gas ist genauso wie die Forderung nach einer ausschließlichen Enteignung Gazproms eine geopolitische Forderung im Dienste des deutschen Imperialismus.

Aber auch Unabhängigkeit von Gas im Allgemeinen ohne festgesteckte Bedingungen ist nicht im Sinne unserer Klasse. Diese in den aktuellen Eigentumsverhältnissen zu vollziehen bedeutet nämlich eine vom Klassenstaat orchestrierte Transformation der Wirtschaft auf Kosten der gesamten Bevölkerung, zugunsten der Firmenbosse in der Energiewirtschaft. Eine sozialistische Forderung nach der Unabhängigkeit von Gas bedeutet auch notwendigerweise die Forderung nach Sozialisierung der Energiewirtschaft. Das bedeutet anstatt dafür zu kämpfen, dass Energiewirtschaft alleine „unabhängig“ von Russland & Gas gemacht werden muss, muss die Forderung darauf abzielen Energiewirtschaft zu vergesellschaften und in die Hände der Beschäftigten geben. Das ist ganz besonders wichtig, denn der letzte Grund, warum auch die Bundesregierung so dringend unabhängig von russischem Gas, aber auch von Gas im Allgemeinen werden möchte, ist, dass sie geopolitisch zukünftig unabhängiger werden und in Zukunft noch aggressiver kriegerisch gegen Russland (oder in weiterer Zukunft andere Staaten von denen die BRD energiepolitisch abhängig ist) vorgehen wollen. Genau deshalb müssen wir als Sozialist*innen gegen die Losung der simplen Unabhängigkeit und für die Losung der Vergesellschaftung und der Arbeiter*innenkontrolle in der Energiewirtschaft eintreten.

In der Auseinandersetzung mit der Positionierung vom Bundesvorstand der linksjugend wird klar, dass man im Einklang mit einem pseudoprogressiven Auftreten eigentlich versucht radikalisierte Jugendliche für die geostrategischen Ziele des deutschen Imperialismus zu gewinnen. Das ist grundsätzlich nichts neues, so zeigt sich dies immer wieder wie auch Anfang diesen Jahres an den unfassbar rassistischen und menschenfeindlichen Äußerungen gegenüber Palästinenser*innen. Die erneut katastrophalen Positionierung zum Ukraine-Krieg kann jedoch nicht folgenlos bleiben. Wer sich für sozialistisch hält, kann sich von diesem Vorstand nicht vertreten fühlen, und kann nur als Konsequenz ziehen, eine alternative Strukturen zur Bundesebene aufzubauen. Genauso wie die Partei wird der Jugendverband auf oberster Ebene von Bürokraten kontrolliert, deren Lebensplanung auf einer Verwaltung des Kapitalismus unter etwas „linkeren“ Vorzeichen beruht. Die Frage diese rauszuwerfen hat sich mit der versöhnlerischen Haltung zu den Gegnern zu Deutsche Wohnen & Co. Enteignen hier in Berlin schon mehr als angebahnt, ist aber mit dem Krieg jetzt entscheidend geworfen. Entweder, man schafft es unmittelbar eine programmatisch und organisatorisch nach den Prinzipien der revolutionären Arbeiter*innenbewegung konstituierte Fraktion zu bilden und Vertretungsanspruch sowohl für DIE LINKE als auch die linksjugend zu erheben oder man muss ein vom Linksreformismus unabhängiges Projekt in Angriff nehmen.

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