Kann Pride wieder ein Aufstand sein?

28.07.2022, Lesezeit 5 Min.
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Foto: KgK / Maxi Schulz

Knapp 8 000 Menschen beteiligten sich bei der Internationalistischen Queer Pride am 23. Juli 2022. Wir übersetzen diesen Artikel, welcher zuerst im Exberliner erschien.

Am 23. Juli fand in Berlin ein durch und durch kommerzialisierter CSD statt – und eine radikalere Alternative Demo.

Letzten Samstag wurde in Berlin der erste Christopher Street Day, seit Beginn der Corona Pandemie, veranstaltet. Bis zu einer halben Million Menschen nahmen an der Pride teil, zusammen mit Festwagen der Mercedes-Benz Bank, PwC, SAP, Hewlett-Packard oder der Commerzbank, um nur einige zu nennen. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser Karneval des Regenbogenkapitalismus vor 50 Jahren mit einem Aufstand begann.

Eines Nachts im Sommer 1969 begannen queere Menschen im New Yorker Greenwich Village, sich gegen die ständige Polizeigewalt und Schikanen zu wehren. Mehrere glorreiche Abende lang legte ein Aufstand weite Teile von Lower Manhattan lahm. Am ersten Jahrestag des Aufstandes, 1970, fand der erste Gay Liberation March statt. Die Pride kam 1979 nach Berlin, mit insgesamt 500 Teilnehmern beim ersten CSD.

Es waren immer Veranstaltungen von und für radikale Linke. New Yorker Aktivist:innen setzten sich für Gefangene der Black Panther Party ein. Sie nannten sich sogar Gay Liberation Front, in Solidarität mit der National Liberation Front of Vietnam. In Berlin waren die Reden auf dem CSD im Jahr 1990 den Hausbesetzern und Gefangenen der Roten Armee Fraktion gewidmet.

Innerhalb von 50 Jahren hat die Pride den Mainstream erobert – oder ist sie vom Mainstream erobert worden? Die Queere Befreiung ist sicherlich für eine kleine Anzahl wohlhabender weißer schwuler Männer erreicht worden. Aber die Mehrheit der queeren Menschen hat immer noch mit Diskriminierung, niedrigen Löhnen und steigenden Mieten zu kämpfen.

Wie es ein berühmtes Schild auf der Pride in San Francisco im Jahr 1977 ausdrückte: “A gay landlord is still a landlord!” („Ein homosexueller Vermieter ist immer noch ein Vermieter!“)

Heute tragen Polizist:innen Regenbogenbändchen und sind Mitveranstalter:innen des Christopher Street Day. Dieselben Polizist:innen schieben immer noch Geflüchtete in Länder ab, in denen ihnen homophobe Verfolgung droht. Auf dem Berliner CSD gab es sogar auf einigen Wagen Sicherheitskräfte mit Nazi-Tätowierungen. Polizist:innen, Konzerne und konservative Politiker:innen werden niemals verlässliche Verbündete im Kampf gegen Unterdrückung sein.

Am Samstag, nur wenige Kilometer vom offiziellen CSD entfernt, griff eine Demonstration in Kreuzberg den Geist von 1970 auf. Seit 25 Jahren gibt es in Berlin verschiedene Alternativen zum kommerzialisierten CSD, aber erst zum zweiten Mal fand die Internationalist Queer Pride statt.

Der Hermannplatz war mit circa 8.000 Menschen gefüllt. Hier trugen die Polizist:innen keine kleinen Regenbogenfahnen – sie waren schwer gepanzert und blickten bedrohlich auf die Menge von queeren und transsexuellen Menschen, Linken und Geflüchteten. Die Abneigung war gegenseitig, denn die Demonstrant:innen skandierten: „No justice, no peace, no racist police!” (“Keine Gerechtigkeit, kein Frieden, keine rassistische Polizei!“). Auf Spruchbändern stand: „Keine Bullen bei der Pride!“ Es gab auch keine Nazi-Sicherheitsleute – nur queere Menschen in rosa Westen als Ordner:innen.

Die Demonstration war antikapitalistisch und antikolonial. Sie umfasste Fahnen aus der Westsahara, Kurdistan, Armenien, Palästina und zahlreichen Ländern Lateinamerikas; Wiphala- und Mapuche-Fahnen repräsentierten verschiedene indigene Völker in Lateinamerika. Diese wehten neben den Regenbogenfahnen, mit handgemalten Hämmern und Sicheln und mindestens einer Fahne mit Marx-Engels-Lenin.

Im Geiste des wahren Internationalismus waren sowohl Israelis als auch Palästinenser:innen in großer Zahl anwesend. Ein beliebter und sehr lustiger Slogan war: “Not gay as in happy but queer as in Free Palestine.” („Nicht schwul wie in happy, sondern queer wie in Free Palestine“). Es gab sogar ein handgemaltes Schild, das queeren Stolz auf Jiddisch ausdrückte!

Die antirassistischen Aktivist:innen von Migrantifa marschierten neben einem Block von Sexarbeiter:innen. Queere und transsexuelle Krankenhausmitarbeiter:innen hielten eine Rede über die jüngsten Streiks für bessere Arbeitsbedingungen. „Wir sind auch Arbeiter:innen“, sagten sie, „und der Kampf der Arbeiter:innen ist Teil unseres queeren Kampfes für die Befreiung.”

In einer Pressemitteilung warf die örtliche CDU dieser Demonstration vor, den Christopher Street Day zu „instrumentalisieren“. Linke bei der Pride?!? Quelle horreur! Es ist dieselbe CDU, die noch 2017 die Rehabilitierung aller, nach dem grausamen Paragrafen 175, verurteilten Männer blockierte. Dieselbe Partei blockierte erst letztes Jahr eine längst überfällige Reform des sogenannten „Transsexuellengesetzes“ in Deutschland. Aber sie bedecken sich selbst mit Regenbögen, wann immer sie denken, dass sie dies als Vorwand nutzen können, um Linke anzugreifen, und insbesondere nicht-deutsche Linke.

Das ist etwas, das mir auf der Internationalist Queer Pride aufgefallen ist: Die Demonstrant:innen kamen aus der ganzen Welt – aber ich habe nur sehr wenig Deutsch gehört. Pride begann, als Randgruppen für sich selbst einstanden. Ich denke, das haben wir bei der Internationalist Queer Pride gesehen. Wenn es den Polizist:innen und konservativen Politiker:innen nicht gefallen hat – dann haben wir wohl etwas richtig gemacht.

Dieser Artikel erschien zuerst im Exberliner und wurde von uns übersetzt.

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