Rechte Gewalt nimmt immer weiter zu

07.11.2022, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Ivan Smuk / Shutterstock.com

In den vergangenen Wochen kam es in Deutschland vermehrt zu Brandanschlägen und Angriffen auf Unterkünfte für Geflüchtete. Anlässlich dessen fanden in unmittelbarer Nähe Protestdemonstrationen statt. Opferberatungsstellen kritisieren dabei explizit das Verhalten von Polizei und Justiz.

Immer mehr Anschläge auf Unterkünfte für Geflüchtete

Erst im August diesen Jahres jährte sich der Angriff, den Rechtsradikale unter dem Applaus von bis zu 3000 Zuschauer:innen auf die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter:innen in Rostock Lichtenhagen verübten, zum 30. Mal. Es sollte nicht der einzige bleiben: Die Serie rechter Gewalttaten setzt sich bis in die Gegenwart fort.

Nach den jüngsten Brandanschlägen auf Unterkünfte für Geflüchtete in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern zeichnet sich eine fortwährende Eskalation rechtsextremer Gewalt ab. Aktuell warnen beispielsweise die LINKEN-Politikerin Kerstin Köditz, der Jugendgewerkschaftssekretär von ver.di, Kristian Fink, sowie mehrere Opferberatungsstellen vor einer erneuten Häufung von rechten und rassistischen Angriffen und Protesten, ähnlich wie in den Jahren 2015 und 2016. Dies betrifft momentan vor allem Ostdeutschland, aber auch den Rest des Landes.

Die Opferberatungsstellen bemängeln die unzureichende und inkonsequente Analyse der Bekämpfung rechten Terrors durch Polizei und Justiz in Ostdeutschland, wie z.B. die zu lasche Strafverfolgung rechter Gewalttaten und die fehlenden Maßnahmen gegen rechte Aufmärsche. Sie fordern zudem eine dezentrale Unterbringung der Geflüchteten und den Einsatz von Bereitschafts-Staatsanwält:innen, die die Polizeikräfte vor Ort begleiten und beispielsweise bei Körperverletzungen direkt Ermittlungsverfahren gegen Tatverdächtigte einleiten. Außerdem sind laut den Beratungsstellen spezielle Ermittlungsgruppen bei Staatsanwaltschaften und Landeskriminalämtern nötig, die die Brandanschläge sowie weitere schwere Straftaten gezielt verfolgen.

Der sächsische Flüchtlingsrat berichtet nicht nur von einer steigenden Zahl der Brandanschläge, sondern auch von einer Zunahme rechter Demonstrationen und Protestzüge vor oder in unmittelbarer Nähe von Unterkünften für Geflüchtete. Der Grund dafür, dass das Feindbild der Flüchtenden wieder mehr im Fokus stehe, sei die vermeintlich geringere Relevanz der Pandemie. Da durch die Inflation und die steigenden Energiepreise zudem große Teile der Bevölkerung stark verunsichert seien, hätten die Rechten momentan leichtes Spiel.

(Keine) Kontrolle des Verfassungsschutzes

Neben den von den Opferberatungsstellen kritisierten Instanzen Polizei und Justiz spielt im Kontext von rechter Gewalt immer wieder das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine bedeutsame negative Rolle. Es mag daher erstaunen, wenn eine Klage gegen den Verfassungsschutz von einem im NSU-Prozess Verurteilten stammt.

Wie am vergangenen Donnerstag (03.11.) bekannt wurde, entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits Ende September über eine Verfassungsbeschwerde gegen die Übermittlung mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobener personenbezogener Daten. Nach Ansicht der Richter:innen verstößt das BfV dabei teilweise gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Geklagt hatte Carsten S., der Waffen für den NSU beschafft hatte und deshalb für Beihilfe zum Mord verurteilt wurde, bereits 2013. Konkret bezog sich die Klage auf das Rechtsextremismus-Datei-Gesetz. Es handelt sich hierbei um eine gemeinsame Datei von Polizei und Nachrichtendiensten des Bundes, in der personenbezogene Daten gespeichert werden, wenn sie zur Aufklärung oder Bekämpfung von gewaltbezogenem Rechtsextremismus notwendig sind. Der Beschluss des BVerfG erstreckt sich nicht auf das gesamte Gesetz, sondern beanstandet die Übermittlung von Daten an die Polizei, die das BfV mit nachrichtendienstlichen Mitteln heimlich erlangte. Die Befugnisse zu diesen Mitteln stehen dem Verfassungsschutz zu, nicht aber der Polizei.

In Konsequenz müssen die beanstandeten Regelungen mit einer Frist bis Ende des kommenden Jahres reformiert werden, bis zu diesem Zeitpunkt gelten sie jedoch fort. Ursprünglich eingeführt wurde die Trennung von Verfassungsschutz und exekutiver Funktion der Polizei als Konsequenz aus der Verselbstständigung der Gestapo während des Nationalsozialismus, um eine vermehrte Kontrolle zu gewährleisten. In der Realität aber repräsentiert der Verfassungsschutz einen Staat im Staat, der von Unkontrollierbarkeit, Verfassungswidrigkeit und der Umgehung eben dieser intendierten Kontrolle geprägt ist. So haben das BfV und die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) beispielsweise in Bezug auf den NSU nicht nur systematisch versagt; sie arbeiten mittels V-Leuten vielmehr aktiv mit der rechten Szene zusammen und unterstützen sie finanziell. Diese Verstrickung zeigte sich bezüglich des NSU besonders deutlich, insofern BfV und LfV hier zur Verharmlosung, Vertuschung und Verschleierung der Taten maßgeblich beitrugen.

Bei der Bekämpfung rechter Gewalt sind BfV und LfV sicherlich keine Hilfe – egal, wie viele Datenbanken sie auch anlegen. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass Verfahrensweisen als verfassungswidrig beanstandet werden. Der Verfassungsschutz ist eine vom bürgerlichen Staat geschaffene Institution, die von Beginn an von (Neo-)Nazis durchzogen ist und stets zugunsten des eigenen Machterhalts agiert.

Für eine unabhängige Untersuchung der Brandanschläge und bedingungslose Solidarität mit allen Geflüchteten

Wir müssen uns den Versuchen der Rechten, die multiple Krisenlage für sich zu nutzen, geschlossen entgegenstellen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Migrant:innen als Sündenböcke herhalten müssen, obwohl sie für die schwierige Situation vieler Menschen in Deutschland gar nichts können. Mehr denn je gilt es nun, öffentlich Solidarität mit allen Geflüchteten aus der Ukraine, aus Russland und allen anderen Ländern weltweit sowie allen von Rassismus, Antisemitismus, Hass und Hetze betroffenen Menschen zu zeigen.

Zudem braucht es nach den Ereignissen der vergangenen Wochen eine konsequente und zuverlässige Aufklärung der Brandanschläge auf die Unterkünfte. Da man sich dabei auf den Staat, die Polizei und die Justiz nicht vollends verlassen kann, weil es dort Menschen mit rechter Gesinnung in den eigenen Reihen gibt und eine Untersuchung dieses systemischen Problems durch die Politik verhindert wurde, muss es unabhängige Untersuchungen geben, in die Betroffene und deren Angehörigen miteinbezogen sind.

Außerdem müssen die Gewerkschaften eine viel größere Rolle in der Verteidigung gegen Angriffe von rechts spielen. Auch sie sollten zu einer umfassenden Aufklärung der rassistischen Anschläge und der Verfolgung der Täter:innen beitragen, zu einer breiten Mobilisierung dagegen aufrufen und die volle Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von Nationalität und Staatsangehörigkeit fordern.

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