Präsidentschaftswahl in der Türkei: HDP verzichtet auf Kandidatur

01.04.2023, Lesezeit 4 Min.
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Alexandros Michailidis // shutterstock

Statt einer eigenen Kandidatur setzt die HDP bei der anstehenden Präsidentschaftswahl in der Türkei auf den Sieg der CHP. Eine echte politische Alternative zu den bürgerlichen Parteien kann jedoch nur aus einer gemeinsamen Mobilisierung der türkischen und kurdischen Arbeiter:innenklasse entstehen.

Am 22. März kündigte die Co-Vorsitzende der HDP, Pervin Buldan, an, dass ihre Partei keine Kandidatur zur Präsidentschaftswahl in der Türkei am 14. Mai aufstellen werde. Hintergrund ist die Tatsache, dass man dem Kandidaten der CHP, Kemal Kilicdaroglu, möglichst gute Chancen für einen Sieg verschaffen möchte. Im Gegenzug soll es einen Austausch zwischen Kilicdaroglu und der HDP geben, in dem es vor allem darum geht, eine liberalere Politik gegenüber Kurd:innen auszuhandeln. Buldan sagte dazu, dass man sich darauf fokussieren wolle, die Türkei zu „demokratisieren“.  Man wolle „universelle Rechte und Freiheiten” wiederherstellen, die während der Herrschaft Erdoğans verloren gegangen seien. Dieses Programm ist nicht nur unzureichend, sondern aus mehreren Gründen zum Scheitern verurteilt.

Zunächst einmal ist ungewiss, ob Kilicdaroglu überhaupt auch nur irgendeinen minimalen Kompromiss durchsetzen kann. Auch wenn er sich persönlich für eine Vermittlung zu den in den von der Türkei besetzten Gebieten Nordkurdistans lebenden Kurd:innen ausspricht, ist die CHP allgemein nationalistisch-kemalistisch und steht damit für einen aggressiven Chauvinismus gegenüber Kurd:innen. Diese teilweise Kursänderung Kilicdaroglu kommt nicht etwa daher, dass die CHP plötzlich viel weniger nationalisitsch geworden wäre, sondern resultiert aus der Notwendigkeit, Teile der kurdischen Bevölkerung für ein Bündnis gegen Erdoğan zu kooptieren. Ob Kilicdaroglu Vermittlungspolitik über einen möglichen Wahlsieg hinaus Bestand hätte, ist ungewiss.  Zusätzlich stehen Kilicdaroglu und die CHP unter massivem Druck von der ultrarechten IYI-Partei. 2017 als Abspaltung von der mit der AKP gemeinsam regierenden, faschistischen MHP entstanden, ist die IYI-Partei die zweitgrößte Partei im von Kilicdaroglu angeführten Wahlbündnis. Um jede Vermittlung  gegenüber Kurd:innen zu unterbinden, trat diese sogar zeitweilig aus dem Wahlbündnis aus. Ob also überhaupt irgendein Minimalprogramm zur Kooptierung von Kurd:innen durchgesetzt werden kann, ist mehr als fraglich.

Viel wichtiger als die unmittelbaren Kräfteverhältnisse innerhalb des Wahlbündnisses der CHP ist jedoch der strategische Bankrott der HDP. Es ist geradezu tragisch, dass die HDP darauf bestand, sich bei ihrem ersten Gespräch mit Kilicdaroglu im Parlament zu treffen, weil dies der Ort sei, an dem die kurdische Frage gelöst werden solle. Die HDP erkennt nicht, dass das Parlament ein Instrument zur Durchsetzung bürgerlicher Herrschaft ist, unter der es weder Demokratie noch universelle Rechte und Freiheit für die kurdischen Massen geben wird. Trotz der massiven Repressionen und einem Verbotsverfahren wird die HDP vom türkischen Staat kooptiert, da sie sich sowohl auf die Bourgeoisie als auch Arbeiter:innen stützt und damit Unterdrücker und Unterdrückte versöhnt. Dass sich die HDP der kemalistischen CHP in der Hoffnung auf einen daraus erwachsenden Deal für eine nicht näher bestimmte Demokratisierung unterordnet, ist nur Ausdruck davon.

Anstatt sich nationalistischen, bürgerlichen Parteien unterzuordnen, ist es nötig, eine politische Alternative der Arbeiter:innen zu schaffen. Im Kampf gegen Erdoğans Regime ist es nicht entscheidend, per Wahlzettel den Bonaparte durchzutauschen, sondern es benötigt eine wirkliche Abrechnung mit der brutalen Durchsetzung der Interessen der türkischen Kapitalist:innenklasse während einer Rekordinflation und des reaktionären Krieges gegen Kurdistan. Anstelle von parlamentarischem Geschachere braucht es gemeinsame Mobilisierungen der türkischen und kurdischen Arbeiter:innenklasse für Preiskontrollen, entschädigungslose Enteignung der Schlüsselindustrie unter Arbeiter:innenkontrolle und ein Ende sowohl des Krieges als auch der Besatzung Kurdistans.

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