Occupy-Demo am 29. Oktober in Berlin

02.11.2011, Lesezeit 5 Min.
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Am 29. Oktober erlebte Berlin seine mittlerweile dritte Occupy-Demonstration mit mehr als 1.000 TeilnehmerInnen. Seit dem 15. Oktober werden solche Protestzüge in der Hauptstadt wöchentlich organisiert. Vorbild ist die neueste der internationalen Bewegungen gegen die Krisenpolitik der bürgerlichen Regierungen und ihrer Verbündeten. Die sogenannte „Occupy Wall Street“- Bewegung startete mit der Besetzung des Weltfinanzzentrums in eben jener Straße durch einige hundert Demonstrierende.

Unter populären Parolen wie „We are the 99 percent!“ breitete sich diese Protestbewegung erst über die USA aus und suchte dann ihren politischen Anschluss an bereits gefestigtere Bewegungen, wie die sozialen Kämpfe in Griechenland und vor allem die Platzbesetzungen im spanischen Staat. Am 15. Oktober kam es schließlich zum weltweiten Aktionstag mit entsprechenden Demonstrationen in über 90 Ländern, darunter auch Deutschland.

Die Occupy-Bewegung in Deutschland hat vor allem zwei Besonderheiten. Die Erste liegt in einem besonders stark idealistischen Charakterzug, der daher kommt, dass die Bewegung hierzulande viel mehr Ausdruck von den Hoffnungen junger AktivistInnen als vom Kampfeswillen der ArbeiterInnen ist. Dies findet vor allem in Berlin seinen Ausdruck, wo der Arbeitskampf der prekär Beschäftigten der Charité Facility Managment (CFM) beim Großteil der Demonstrierenden keine Beachtung findet. „Wir wollen hier keine Teilforderungen durchsetzen. Es geht um das große Ganze.“, war während der Occupy-Versammlung eine beispielhafte Wortmeldung unter vielen. Die junge Bewegung scheint die Verbindung zur proletarischen Basis sozialen Protests bisher nicht zu finden. So ruhig wie diese Basis in weiten Teilen Deutschlands bisher bleibt, ist jene Suche auch nicht einfach.

Die zweite Eigenschaft zeigte sich bei der inzwischen dritten Demonstration Berlins am 29. Oktober. Ist die Occupy-Bewegung in anderen Ländern von einer deutlichen Ablehnung jeglicher Organisationen – ob Gewerkschaften, Parteien oder politischen Gruppen – geprägt, lieferte die jüngste Demonstration vor Ort einen gänzlich anderen Eindruck. Fahnen u.a. von Linkspartei und DKP sowie von der Gewerkschaft ver.di prägten das Bild der Demonstration. Dabei dürfte dies weniger auf eine ideologische Besonderheit als auf eine Besonderheit in den politischen Kräfteverhältnissen hinweisen. Jüngsten Eindrücken zufolge scheint der organisations-feindliche „Kern“ der Bewegung auch hierzulande vorhanden – jedoch nicht stark genug, den vielen, organisierten LinksaktivistInnen etwas entgegenzusetzen.

Vielleicht war es gerade durch die Präsenz erfahrener, linker Organisationen möglich, dem Protestzug eine Pille der Medizin zu verabreichen, die die Proteste andernorts so stark macht: Klassenkampf. Die trotzkistischen Gruppen SAV, SAS und RIO, die den Arbeitskampf bei der Berliner CFM seit dem ersten Tag begleiten, ermöglichten die aktive Teilnahme mehrerer seit sieben Wochen streikender ArbeiterInnen. So hielt die Demonstration vor dem Kulturkaufhaus Dussmann (Dussmann ist einer der BesitzerInnen der CFM), wo die ArbeiterInnen kämpferische Redebeiträge hielten. Anteilnahme an den Forderungen nach einem Tarifvertrag wurde allerdings trotz der Anwesenheit diverser linker Gruppierungen nur teilweise artikuliert. Bei aller marxistischer Phraseologie scheint die Verbindung von Arbeitskämpfen und Weltrevolution bei einigen Teilen der deutschen Linken über Jahrzehnte des „Neoliberalismus“ verblasst.

Die eigentliche Route der Demonstration sollte vom Alexanderplatz zum Bundestag führen. Die Staatsmacht zeigte jedoch von Anfang an, was bürgerliche Demonstrationsfreiheit in der Praxis bedeutet. Als die Demonstration nach langwierigen Verzögerungen starten durfte, wurde den Protestierenden eine gänzlich unerwartete Marschroute präsentiert. Garniert wurde dieses Überraschungsgericht des Berliner Repressionsapparates durch die allgegenwärtige wie bedrohliche Anwesenheit hochgerüsteter PolizistInnen. Nach ständigem ausbremsen der Demonstration beendeten die „Rechtshüter“ die Veranstaltung schließlich noch weit vor dem eigentlichen Ziel, an der Kreuzung Dorotheenstraße/Neustädtische Kirchstraße. An diesem menschenverlassenen Ort hofften sie wohl die Früchte ihrer Provokationen zu ernten. Doch auch auf die Verhaftung einer Person, weil sie ein Zelt dabei hatte, kam es nicht zu Ausschreitungen.

Als sich die Menge anschließend dezentral zum Bundestag begab, war sie einer Fülle ebenso grundloser wie entnervender Sticheleien der HundertschaftlerInnen ausgesetzt. So z.B. dem Vorwurf der Vermummung, weil man im Spät-Oktober (!) Mütze und Schal dabei hat.

Die Occupy-Bewegung erscheint in Deutschland aufgrund der beschriebenen Zusammensetzung der Proteste weniger als Ausläufer der New Yorker Demonstrationen, als „typische“ anti-Krisen-Demonstration der deutschen Linken. Der Grund dafür scheint in den sozialen Verhältnissen vor Ort zu liegen, welche Klassenkampf seit einiger Zeit nur noch „von oben“ kennen.

Eine deutlich positive Bemerkung seit dem Fazit trotzdem gegönnt: Auf der abschließenden Assamblea der jüngsten Demonstration gab es auch aus Richtung der „originalen OccupyerInnen“ viele Brückenschläge zum kommenden Bildungsstreik. Ist die Perspektive auch noch nicht ganz drinnen, so scheint die Luft noch lange nicht raus!

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