Neuer rechtsextremer Terroranschlag in Deutschland – und wieder nur ein Einzeltäter?

20.02.2020, Lesezeit 4 Min.
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Police guard the scenery in front of a restaurant in central Hanau, Germany Thursday, Feb. 20, 2020. German police say several people were shot to death in the city of Hanau on Wednesday evening. (AP Photo/Michael Probst)

In Hanau sind in der vergangenen Nacht neun Menschen in zwei Shisha-Bars ermordet worden. Später fand die Polizei zwei Leichen in einer Wohnung, darunter den mutmaßlichen Täter. Laut neuesten Informationen hinterließ er ein rechtsextremes Bekennerschreiben – doch die Polizei vermutet erneut nur einen Einzeltäter.

Die Welle des rechten Terrors in Deutschland reißt nicht ab. Gestern abend wurden im hessischen Hanau bei Frankfurt am Main in zwei Shisha-Bars am Hanauer Heumarkt und in Hanau-Kesselstadt insgesamt neun Menschen getötet, mindestens vier weitere seien verletzt. Nach einer Großfahndung der Polizei wurden in der Nacht der mutmaßliche Schütze und eine weitere Person tot in einer Wohnung aufgefunden.

Der mutmaßliche TäterTobias R. hinterließ ein Bekennerschreiben und ein Video mit rechtsextremen Parolen, wie der Hessische Rundfunk berichtet: „In dem Schreiben spreche der mutmaßlich 43 Jahre alte Mann unter anderem davon, dass bestimmte Völker vernichtet werden müssten, deren Ausweisung aus Deutschland nicht mehr zu schaffen sei.“ Auch die Bundesanwaltschaft sieht „Anzeichen für fremdenfeindliche Motivation“.

Unter den Opfern sollen sich mehrere Menschen mit kurdischem Hintergrund befinden, darunter auch jugendliche Aktivist*innen des kurdischen Vereins.

Erste Berichte von Anwohner*innen und Angehörigen lassen Assoziationen der NSU-Mordanschläge hochkommen.

Doch die Polizei scheint das nicht zu rühren: In einem Tweet am Donnerstag morgen spricht sie davon, dass es „keine Hinweise auf weitere Täter“ gebe.

Wie kann es sein, dass trotz NSU, trotz Halle, trotz des Mordes an Walter Lübcke, trotz der hunderten Anschläge auf migrantische Einrichtungen, auf Geflüchtetenunterkünfte, trotz der immer neuen Enthüllungen über rechtsextreme Netzwerke bei Polizei, Bundeswehr und Verfassungsschutz die „Einzeltäterthese“ immer noch Bestand hat?

Ein rechtsextremer Mordanschlag, wo der mutmaßliche Täter nicht nur ein Bekennerschreiben hinterlassen hat, sondern auf seiner Homepage immer wieder Videos und Dokumente mit offen rassistischen Inhalten veröffentlicht hat – und er wird als Einzeltäter, als Irrer mit Verfolgungswahn beschrieben. Vermutungen zu einem Netzwerk, zu Unterstützer*innen, zu Gesinnungsgenoss*innen – Fehlanzeige.

Dabei berichtete die taz zu Jahresanfang und 2019 zu Anschlägen auf Linke in Hanau. Zudem ist Hessen seit Jahren als wichtiger NSU-Stützpunkt bekannt. Um nur ein paar Details zu nennen: Der Verfassungsschutz-Mitarbeiter Andreas Temme, der 2006 in Kassel beim Mord an Halit Yozgat am Tatort war, hat sich, wie vor einigen Tagen bekannt wurde, von einem Mann, der selbst bei zwei NSU-Morden in der Nähe war und dessen Wagen möglicherweise als Fluchtfahrzeug für den NSU diente, ein Alibi verschaffen lassen. Schon länger ist bekannt, dass Temme Verbindungen zum Lübcke-Mörder Stephan E. hatte und seine Einschätzungen dazu beitrugen, dass Stephan E. nicht weiter beobachtet wurde.

Heute morgen twitterte der ehemalige Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen: „Sozialistische Logik: Täter sind immer rechts, Opfer immer links.“ Das ist angesichts des Attentates in Hanau nicht nur widerlich und zynisch, sondern zeigt klar auf, wie weit offen rechtsextreme Positionen in der Öffentlichkeit vertreten werden können.

Auch wenn die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind: Die Wahrscheinlichkeit, dass Tobias R. ein „Einzeltäter“ ohne Verbindungen und ohne Unterstützung zu rechtsextremen Netzwerken war, ist extrem gering. Und selbst wenn: Die Straflosigkeit des NSU-Unterstützer-Netzwerks, die immer neuen Enthüllungen über Waffenarsenale und Untergrundgruppen bei den staatlichen Behörden und beim Militär, der steigende Einfluss der AfD und die Verschiebung des öffentlichen Diskurses nach rechts haben Tobias R. zweifellos zu seiner Tat ermutigt. Von einem wirren Einzeltäter kann da keine Rede sein, der Staat ist mitverantwortlich. Alle Gewerkschaften, sozialen und demokratischen Organisationen müssen gegen den rechten Terror mobilisieren und gegen die Geheimdienste und Polizeieinrichtungen, die den Terror verharmlosen, geschehen lassen und zum Teil sogar unterstützen.

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