Nach Scheitern in Karlsruhe: Wieso wir selbst für gleiche Rechte kämpfen müssen

21.06.2017, Lesezeit 4 Min.
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Die Grünen scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht damit, den Rechtsausschuss des Bundestages zur Befassung mit einer Gesetzesvorlage zur gleichgeschlechtlichen Ehe zu verpflichten. Der ganze Hick-Hack um ein einfaches Recht zeigt nur eins: Gleichstellung wird nicht im Parlament oder vor Gericht herbeidiskutiert, sondern auf der Straße erkämpft.

Das Bundesverfassungsgericht hat heute den Antrag der Grünen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Mit einem Eilantrag wollten sie den Rechtsausschuss des Bundestages dazu verpflichten, sich mit Gesetzesvorlagen zur gleichgeschlechtlichen Ehe zu befassen. Aktuell liegen in dem Ausschuss drei Gesetzesentwürfe zur „Ehe für alle“ vor, gestellt von der Linksfraktion, den Grünen und dem Bundesrat.

Dennoch muss die aktuelle Regierung aus SPD und Union in dieser Legislaturperiode keine Entscheidung zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare treffen. Ganze 29 Mal hat der Rechtsausschuss die Debatten vertagt. Zumindest angesichts des Antrages vom Bundesrat nach Artikel 76 des Grundgesetzes hätte den Antrag beraten werden müssen.

Warum dürfen nicht einfach alle heiraten, was soll das?

Die Forderung der Ehe für alle ist eine grundlegende Forderung für Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren. Wieder einmal beweist der deutsche Staat, insbesondere durch die Unionsparteien, seine Homophobie. Selbst in größeren bürgerlichen und juristischen Kreisen ist längst anerkannt, dass die Eheschließung für alle Paare ermöglicht werden muss.

So steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Kontext der im September anstehenden Bundestagswahl in Deutschland, für die die Grünen vor wenigen Tagen bekannt gegeben haben, dass sie in Koalitionsverhandlungen nicht von der Forderung der Ehe für alle abweichen werden.

Die Grünen schieben die Schuld jetzt der SPD zu, die das Gesetzesvorhaben blockiert habe. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Grünen schon mal die Chance hatten, zusammen mit der SPD die gleichgeschlechtliche Ehe einzuführen. Sie entschlossen sich für die eingetragene Lebenspartnerschaft, die nicht einmal eine steuerliche Gleichbehandlung vorsah. Stattdessen wurden in der Schröder-Fischer-Koalition Hartz IV und die Rente mit 67 eingeführt, zwei Kriegseinsätze begonnen… und vergessen die Atomkraftwerke abzuschalten. Gleichstellung in der Praxis, wie so vieles anderes, verschoben auf eine ungewisse Zukunft.

Daher ist der jetzige Antrag der Grünen einerseits im Zusammenhang mit dem anstehenden Wahlkampf zu sehen, andererseits mit den jetzt anstehenden CSD-Veranstaltungen, wo die Grünen als besonders präsent bei diesem Thema erscheinen wollen.

Innerhalb der Union ist das Thema stark umstritten, die CSU hatte sich auf ihrem letzten Parteitag gegen eine gleichgeschlechtliche Ehe ausgesprochen, wie auch in der Refugee-Frage konkurriert sie mit der AfD um den rechten Teil der Wähler*innen. Immer mehr Länder legalisieren unterdessen Eheschließungen für gleichgeschlechtliche Paare. Deutschland ist im Zugzwang – wenn sich der Staat weiter als hochentwickeltes und tolerantes Land präsentieren möchte, muss die Ehe für alle eingeführt werden.

Unsere Perspektive ist der Kampf

Selbst wirtschaftlich und ideologisch stellt die Ehe-Öffnung kein Problem dar – eine Ehe für alle bedeutet nicht die Zerschlagung der bürgerlichen Kleinfamilie, sondern viel eher eine Erweiterung des Konzepts. Solange die Familie der Ort der individuellen, unbezahlten Reproduktion bleibt, kann diese Familie auch aus zwei Müttern oder zwei Vätern bestehen.

Wir befürworten natürlich die Ehe für alle, denn auch wenn die Ehe kein fortschrittliches Institut ist, so geht es darum, für alle gleiche Rechte zu gewährleisten. Das ist eine demokratische Frage. Und es ist eine wichtige Frage für Arbeiter*innen, die im Falle der eingetragenen Lebenspartnerschaft zum Outing vor dem Boss gezwungen werden, was bei kirchlichen Trägern – wo in Deutschland 1,3 Millionen Menschen beschäftigt sind – sogar die legale Kündigung bedeuten kann.

Dennoch sollte betont werden, dass die tief im Patriarchat verankerte Homophobie nicht allein durch die Öffnung der Ehe bekämpft werden kann. In einem binären und heteronormativen System werden unsere Lebensentwürfe, Sexualitäten und Identitäten kriminalisiert, diskriminiert und nicht toleriert. Wir wollen in einer Welt leben, in der die Institution der Ehe überflüssig ist und Menschen nicht mehr aus finanziellen oder aufenthaltsrechtlichen Gründen heiraten müssen, aber alle Menschen – auch mehr als zwei – eine feste Bindung eingehen können, wenn sie das wollen.

Der Hick-Hack um die Gesetzesbefassung zeigt vor allem eines: Die Parlamentarier*innen brauchen Druck von der Straße, damit sie sich bewegen. Das gilt vor allem für die anstehenden CSDs, die wieder die Kampftradition von „Stonewall“ aufnehmen und Selbstorganisierung gegen gesetzliche und gesellschaftliche Unterdrückung vorantreiben sollten.

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