Merkel verhandelt mit dem mörderischen Regime von Erdogan

20.10.2015, Lesezeit 5 Min.
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//Angela Merkel beschloss gemeinsam mit der türkischen Regierung, die EU-Beitrittsverhandlungen zu beschleunigen. Im Gegenzug wird die Türkei die Geflüchteten vor den Toren Europas aufhalten. Deutsche Realpolitik in Zeiten der Krise. //

Die Unmöglichkeit, die Geflüchtetenwelle aufzuhalten, und die damit einhergehende interne Krise haben Merkel zu einem Wandel in ihrer Türkei-Politik bewegt. So verpflichtete sich die Bundeskanzlerin persönlich für eine Beschleunigung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, wenn diese dafür die Geflüchteten an der europäischen Grenze aufhalten.

Die Türkei nimmt eine strategische Position zwischen Europa und den „hot spots“ in Syrien und dem Irak ein. Aktuell befinden sich mehr als 2 Millionen Geflüchtete auf ihrem Gebiet.

Nach seinem Treffen mit Merkel versicherte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, dass „aus Krisen neue Visionen entstehen“. Er hoffe, dass sich durch die „Flüchtlingskrise“ die „eingefrorenen Beziehungen wiederbeleben und der Beitrittsprozess wieder aufgenommen wird“.

Davutoglu veranstaltete eine gemeinsame Pressekonferenz mit Merkel und sagte, dass er hoffe, Brüssel „halte seine Versprechen ein“, der Türkei den Schlüssel zur EU zu überreichen.

„Pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten) versicherte Merkel, die eine neue Verhandlungsphase versprach, in der die Kapitel 17, 23 und 24 über die Wirtschafts- und Währungspolitik, die Justiz und grundlegende Freiheiten, besprochen werden.

„Die anderen Kapitel können später folgen. Wir brauchen die Zustimmung von allen, aber werden diese Position gegenüber Zypern verteidigen“, versprach Merkel. Zypern ist das EU-Mitgliedsland, welches sich am Stärksten gegen den Beitritt der Türkei wehrt, da die Türkei den Norden Zyperns bis heute besetzt hält.

Die offiziellen Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union begannen 2005, aber waren seitdem eingefroren. Es wurden immer wieder neue „Kapitel“ besprochen, doch es gab keinen Fortschritt. Viele EU-Staaten und besonders Deutschland und Frankreich stoppten die Türkei, um zu verhindern, dass türkische Staatsbürger*innen in ihre Länder einreisen. Sie fürchteten außerdem, ein Land in die EU aufzunehmen, in dem der Islam tiefe Wurzeln hat.

Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass die Türkei der EU wirklich beitritt, beinhaltet das Abkommen die „Liberalisierung“ von Visa für Türk*innen, die in die EU reisen wollen.

Ein weites wichtiges Zugeständnis an die Türkei war das Angebot von Brüssel, Ankara 3 Milliarden Euro dafür zu übergeben, die Geflüchteten aufzuhalten. Merkel akzeptierte die Forderung der Türkei, dass dieses Geld nicht aus dem Fonds genommen wird, der für den Beitrittsprozess vorgesehen war.

„Die Türkei möchte zusätzliches Geld und das verstehe ich auch“, bestätigte sie.

Neben ihrem Treffen mit dem Ministerpräsidenten besuchte sie Erdogan, mit dem sie eine kurze gemeinsame Erklärung vor der Presse abhielt.

Erdogan war von 2003 bis 2014 Ministerpräsident. Aktuell ist er Präsident, ein angeblich repräsentatives Amt. Doch er hat alle Zügel seiner Partei, der AKP, und der Regierung, fest in der Hand.

Das Auftreten von Merkel in der Türkei wurde von der türkischen und deutschen Opposition heftig kritisiert, da sie wenige Tage vor den vorgezogenen Wahlen als eine klare Unterstützung für Erdogan wirkt.

In den letzten Wochen hat Erdogan eine enorme repressive Offensive gegen das kurdische Volk gestartet und seine Angriffe auf Positionen der PKK haben mehr als 400 Personen umgebracht. Gleichzeitig vertieft er seinen „bonapartistischen Kurs“, indem er die politische Opposition in der Türkei, linke und gewerkschaftliche Organisationen und die Presse, bekämpft.

Die Opposition beschuldigt Erdogan für das brutale Attentat in Ankara, das 97 Demonstrant*innen ermordete, und das vorherige Attentat in Suruc, das 33 Aktivist*innen umbrachte. In Demonstrationen gegen das Attentat riefen Tausende: „Erdogan, Mörder“.

Doch trotz dieser internen Infragestellung seiner harten repressiven Politik hat Erdogan die diplomatische und finanzielle Unterstützung der USA und der EU sicher. Die türkischen Luftstützpunkte im Dienste der NATO und seine Rolle als „Hüter“ der heißen Außengrenzen der EU garantieren ihm diese privilegierte Position.

Das Treffen zwischen Merkel und Erdogan ist eine weitere Geste, die die Heuchelei der der politischen Spitzen des „Westens“ entblößt, die mit Diktaturen und repressiven Regimen wie dem türkischen (und vielen weiteren) verhandeln, um ihre eigenen Interessen zu wahren.

Merkel will verhindern, dass hunderttausende Geflüchtete die Grenzen überschreiten. Die prekäre Situation der Geflüchtetenlagern in der Türkei und im Libanon wird sich nicht ändern. Doch was sie interessiert, ist das sie nicht nach Europa kommen.

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