„Merkel muss weg“ – eine Losung nur für Rechte?

20.05.2016, Lesezeit 5 Min.
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Die Frage, wie die neue Rechte à la AfD und Pegida zu stoppen ist, steht momentan im Fokus der Aufmerksamkeit vieler Linker. Fast schon still ist es jedoch um die rassistische Abschottungs- und Abschiebepolitik der Bundesregierung geworden. Doch trotz AfD und Co. darf die Linke nicht vergessen: Merkel muss weg!

Noch nicht einmal zwei Monate ist der historische Deal zwischen Merkel und Erdogan über die „Lösung“ der EU-Migrations-Krise her. Doch man könnte meinen, er läge schon Jahre zurück. Wenig bis nichts ist aus den Kreisen der deutschen Linken zum Pakt zwischen der „eisernen Kanzlerin“ und dem „Despoten vom Bosporus“ zu hören. Zwar ist es nicht so, als ob es gar keine Kritik gäbe, doch kommt die von bürgerlich-liberaler Seite zur Frage, ob es denn menschenrechtlich vertretbar sei, sich mit Erdogan einzulassen. Oder eben von rechts von AfD und Co., die die Parole „Merkel muss weg“ einer Linken weggenommen haben, die sich nicht mehr traut, die Regierung zu kritisieren.

Der Aufstieg der AfD in den letzten Monaten ist erschreckend und es ist die Aufgabe aller Linken, der Stärkung dieser protofaschistischen Partei Paroli zu bieten. Sie sollte keinen Ort bekommen, um ihre Propaganda zu verbreiten – weder auf der Straße, noch in Schulen, Unis oder Betrieben –, und die reale physische Gefahr, die von ihr ausgeht, muss unter allen Umständen bekämpft werden. Es ist zu begrüßen, dass sich bundesweit immer mehr Initiativen und Bündnisse gründen, um die AfD zu konfrontieren.

Kampf der Regierung und dem Staat!

Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass weiterhin die größte Gefahr für Leib und Leben von Geflüchteten nicht von der AfD ausgeht – trotz aller schrecklichen Attacken auf Geflüchtetenunterkünfte –, sondern von der rassistischen Abschottungs- und Abschiebepolitik der Bundesregierung.

Am Höhepunkt der Refugee-Bewegung der letzten Jahre demonstrierten zehntausende Menschen deutschlandweit für die Abschaffung der fremdenfeindlichen Asylgesetzgebung und für offene Grenzen. Von dieser Bewegung ist nun kaum noch etwas übrig. Die Asylgesetze wurden mehrfach (alleine viermal im letzten Jahr!) verschärft, und mit dem EU-Türkei-Deal ist die Hoffnung auf offene Grenzen für hunderttausende Menschen ebenfalls vom Tisch.

Dabei bietet dieser blutige Pakt eigentlich eine riesige Angriffsfläche, da er wie kaum eine andere politische Entscheidung der letzten Jahre so brutal offenlegt, in welchem Interesse Merkel und Co. regieren. Merkel wusste genau, dass eine „nationale Lösung“ der Grenzschließung dem deutschen Exportkapital teuer zu stehen kommen würde. Mit dem Erdogan-Deal hat sie es geschafft, die nationalen Grenzschließungen auf europäischer Ebene zurückzudrängen (und in Deutschland die Rufe danach verstummen zu lassen), während gleichzeitig der Zustrom neuer Geflüchteter aus Syrien und anderen Ländern praktisch zum Erliegen gekommen ist. Für „nur“ sechs Milliarden Euro hat Merkel die Türkei als neuen Grenzposten der EU gekauft.

Zwar stockt bisher der Plan, auch noch hunderttausende Geflüchtete wieder zurück in die Türkei abzuschieben – laut unterschiedlichen Quellen sind gerade einmal 1500 Menschen aus Griechenland zurück in die Türkei abgeschoben worden –, doch das war auch nicht das zentrale Ziel des Merkel-Erdogan-Pakts. Tatsächlich ist sich die Bundesregierung durchaus bewusst – anders, als es ihre bürgerlichen Kritiker*innen vermuten –, dass sie es sich nicht leisten kann, das Schicksal ihrer Außenpolitik allein in die Hände eines unberechenbaren Despoten wie Erdogan zu legen. Parallel arbeitete die Bundesregierung deshalb daran, am EU-Türkei-Deal vorbei neue Wege der Abschiebung von Geflüchteten zu finden. Und so wurden erst vor einigen Tagen die Maghreb-Länder Algerien, Marokko und Tunesien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt. Auch nach Afghanistan dürfen seit einiger Zeit wieder Geflüchtete abgeschoben werden – ein Kriegsgebiet, welches die Bundeswehr gefährlich genug findet, um dort immer noch in erhöhter Alarmbereitschaft zu sein.

Eine neue Offensive

Merkel scheint gut daran zu tun, Erdogan nicht die ganze Hand zu reichen – in der Türkei fährt er einen immer autoritäreren Kurs: Zusätzlich zu der kriegerischen Offensive gegen die kurdische Bevölkerung und der Verfolgung von Oppositionellen ist der türkische Bonaparte inzwischen dazu übergegangen, auch die letzten innerparteilichen Kritiker*innen zu beseitigen. So musste Ministerpräsident Ahmet Davotoglu – eine der Schlüsselfiguren in der Aushandlung des EU-Türkei-Deals – inzwischen zurücktreten; der bisherige Verkehrsminister und treue Gefolgsmann Erdogan, Binali Yildirim, wird höchstwahrscheinlich sein Nachfolger werden.

Doch auch wenn Erdogan zu hoch pokern und der Pakt scheitern würde – Merkels Kurs hätte Bestand. Denn dieser besteht darin, mit möglichst geringen Kosten für das deutsche Kapital ein europäisches Grenzregime aufrecht zu erhalten und gleichzeitig mit Abschiebungen in Kriegsgebiete eine Drohkulisse für hunderttausende Geflüchtete in Deutschland aufzubauen, damit diese sich in das Profitschema der zentralen imperialistischen Macht Europas einfügen. Und das wiederum wird die Horden von AfD und Pegida noch mehr dazu anheizen, ihre rassistische Propaganda zu verbreiten.

Deshalb darf es die deutsche Linke nicht dabei bewenden lassen, nur die neue Rechte anzugreifen. Denn ihr Keim wird immer wieder auf fruchtbaren Boden fallen, solange es keine linke Offensive gegen die Politik der Bundesregierung gibt. Eine Offensive gegen die Abschiebepolitik, gegen die Abschottung, gegen die rassistische Spaltung. Eine jede antirassistische Bewegung in Deutschland muss sich deswegen die Parole wieder zu eigen machen, die Pegida an sich gerissen hat: „Merkel muss weg!“

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