Mehr Überwachung = Mehr Sicherheit?

23.12.2016, Lesezeit 4 Min.
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Nach dem Anschlag am Breitscheidplatz möchte die Bundesregierung die Überwachung im Öffentlichen Raum verschärfen. Damit erfolgt der bereits vermutete Angriff auf die demokratischen Freiheiten.

Über Facebook ließ die Bundesregierung verkünden, dass sie die Verschärfung der Regelungen zur Überwachung öffentlicher Plätze beschlossen hat. Doch ob dies wirklich zu mehr Sicherheit führt, darf bezweifelt werden.

Nachdem der Verdächtigte aus Pakistan freigelassen wurde, richteten sich die Ermittlungen gegen Anis Amir, der heute morgen von italienischen Polizisten erschossen wurde. Er soll laut dem Innenminister von Nordrhein-Westfalen den Ermittlungsbehörden bereits seit etwa Juli 2015 bekannt gewesen sein. Er wurde als potentiell gefährlich eingestuft und intensiv überwacht. Trotzdem gelang es dem vermeidlichen Täter, einen LKW an sich zu reißen und seinen Fahrer zu töten.

Dies wird jetzt von Frauke Petry (AfD) über Horst Seehofer (CSU) bis hin zu Wolfgang Bosbach (CDU) als Beweis für die fehlende Handlungsfähigkeit des Repressionsapparats und des „Staatsversagens“ gedeutet. Das dient dem Ziel, einerseits noch härter gegen Geflüchtete vorzugehen und konsequent nach Afghanistan, Sudan, Marokko und viele weitere nicht „sichere“ Länder abschieben zu können.

Andererseits sollen Polizei und Justiz mehr Befugnisse und Personal und bessere Ausrüstung bekommen. So wurde nach den Anschlägen in Paris eine neue Spezialeinheit der Bundespolizei gegründet und nach dem rechten Terroranschlag im München im Sommer dieses Jahres wurde der Einsatz der Bundeswehr im Inland gefordert, was auch jetzt wieder zu hören ist.

Doch diese Instrumentalisierung des Terrors dient dem politischen Ziel des Ausbaus der Überwachung und nicht der Verbesserung der Sicherheit der Bevölkerung. Der jahrelange NSU-Terror gegen Migrant*innen führte zu keiner ähnlichen Debatte, obwohl die Behörden nicht nur von den Untergrundaktivitäten wussten, sondern sogar Akten verschwinden ließen und wichtige Zeug*innen unter mysteriösen Umständen starben. Ähnliches war auch bei der rechtsextremen Gruppe Freital der Fall, die von Polizeibeamten über Untersuchungsdetails informiert wurden und ungehindert ein linkes Wohnprojekt und eine Unterkunft für Schutzsuchende angreifen konnten.

Aufnahmen von sogenannten „U-Bahn-Schlägern“ sind ebenfalls populäre Beispiele öffentlicher Überwachung. Nachdem kürzlich ein Video veröffentlicht wurde, auf dem ein Mann in einem Berliner U-Bahnhof einer Frau in den Rücken tritt und diese die Treppe hinunterstürzt, gab es viele rassistische Kommentare. Der Mann wurde von vielen als muslimisch diffamiert, obwohl er neuen Erkenntnissen zufolge aus Bulgarien stammt. Daran wird erkennbar, dass weniger die Sicherheit als der öffentliche Rassismus zunimmt.

Und auch den Anschlag am Breitscheidplatz hätte keine der Maßnahmen verhindert, die nun vom Kabinett verabschiedet wurden. Dazu gehören:

– Bessere Videoüberwachung von Weihnachtsmärkten, Einkaufszentren und Sportstätten
– Erleichterter Einsatz von Kameras in Bahnen, Bussen und Schiffen
– Effizientere Fahndung über automatische Kennzeichenlese
– Bodycams von Polizist*innen bei besonderer Gefahrenlage

Dabei handelt es sich unweigerlich um einen Angriff auf die demokratischen Freiheiten der arbeitenden Bevölkerung, der Jugendlichen und der Migrant*innen. Durch die größere Überwachung sollen Aktivist*innen eingeschüchtert werden, was besonders im Vorfeld internationaler Proteste anlässlich des G-20-Gipfels in Hamburg wichtig ist.

Zusätzlich soll das Recht auf Eigentum und Profite der Kapitalist*innen besser geschützt werden. Wer aufgrund materieller Not zum Diebstahl gezwungen ist, kann dank umfangreicher Überwachung leichter überführt werden. Während IWF-Chefin Christin La Garde wegen Veruntreuung von 400 Millionen Euro zwar schuldig gesprochen wurde, aber keinerlei Strafe befürchten muss, werden Angehörige unserer Klasse wegen kleiner Delikte für mehrere Monate hinter Gitter gesperrt.

Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt wird vom politischen Establishment für die innere Aufrüstung und den Ausbau des Überwachungsstaats benutzt. Die vom Bundeskabinett beschlossenen Maßnahmen und die angehende Debatte über die weitere Verschärfung der Asylgesetze und Abschieberegelungen deuten düstere Zeiten an.

Auch in Frankreich konnte der Ausnahmezustand nicht weitere Terrorattentate verhindern, führte jedoch zu einem massiven Anstieg der Polizeigewalt wie bei der Bewegung gegen die Arbeitsmarktreform und der Wohnungsdurchsuchungen ohne richterlichen Erlass, die jedoch kaum Resultate erbringen. Eine fortschrittliche Antwort auf die Bedrohung terroristischer Anschläge kann nur das Ende der imperialistischen Interventionen, der Waffenexporte und der Abschottung der „Festung Europa“ sein.

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