Marx21 schließt linke Fraktion aus

27.09.2023, Lesezeit 20 Min.
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"Marx' Is Muss"-Kongress 2023. Foto: L.S.

Das Netzwerk „Marx21“, die ehemals größte Organisation des (post-)trotzkistischen Spektrums, zerbricht. Aber bevor der außerordentliche Spaltungskongress Mitte Oktober stattfinden konnte, schloss die Führung eine der drei Fraktionen bürokratisch aus.

Marx21 ist gespalten. Aus einem Statement einer Gruppe ehemaliger Mitglieder geht hervor, dass der Koordinierungskreis des Netzwerkes am 10. September eine ganze Fraktion kollektiv und per einfachem Mehrheitsbeschluss ausgeschlossen hat. Als Begründung diente der Führung ein Antrag dieser Fraktion, welcher dem außerordentlichen Kongress die Neugründung der Organisation außerhalb der LINKEN und auf einer revolutionären Grundlage vorschlug. Dies wurde von der Führung als offene Spaltungserklärung interpretiert. Der Vorschlag zum Aufbau einer unabhängigen revolutionären Organisation ist der Führung von Marx21 und ihren korrupten Machenschaften mittlerweile wohl so gefährlich, dass offen autoritäres Durchgreifen als geringeres Übel erscheint. Wie konnte es zu diesem Ausschluss kommen und was bedeutet er für die weitere Entwicklungsrichtung von Marx21 und seinen Spaltprodukten?

Bereits im Juni hatte Klasse Gegen Klasse berichtet, dass sich das Netzwerk Marx21 in einer schweren Krise befindet. Hauptstreitpunkt des erbittert geführten Fraktionskampfes, welcher sich seit Sommer 2022 entfaltete, war die Positionierung gegenüber der Krise der Partei DIE LINKE. Marx21 ist diejenige Organisation, die von allen anderen (post-)trotzkistischen Gruppen am engsten mit der LINKEN verwoben ist. Daher musste die Krise der LINKEN Marx21 besonders schwer treffen. Die Organisation zerfiel an dieser Frage in drei Fraktionen, die jeweils unterschiedliche Antworten auf die Krise der Partei formulierten.

Die „Organizing“-Fraktion, genannt „Ringo“, wird angeführt von den Eigentümer:innen einer gewinnorientierten Leiharbeitsfirma namens „Organizi.ng Beratung GmbH“, welche Aufträge für die Mitgliedergewinnung von der Gewerkschaftsbürokratie erhält. Die Firma und die Politik von Marx21 verschmolzen über die Jahre zu einem korrupten Amalgam. Dies beeinflusste auch die politische Theorie dieser Gruppe. Während um sie herum der Linksreformismus in Rekordgeschwindigkeit zusammenbricht, schlagen sie stur weiterhin eine Politik der breitest möglichen Bündnisse – im Einklang mit reformistischen Apparaten – vor, während sie die Bedeutung der eigenständigen revolutionären Organisation zunehmend verleugnen. Das führte in der Tendenz dazu, dass Marx21-Mitglieder dieser Fraktion kaum noch offen als solche auftraten und sich mehr und mehr zu einem undurchsichtigen Geheimbund entwickelten.

Man glaubt, es reiche aus, lediglich das Programm des breitesten Konsenses zu vertreten, um gesellschaftlich etwas zu bewegen. Das lässt sie auch weiterhin verbissen an den zunehmend faulen Überresten der LINKEN festhalten. Innerhalb der Gewerkschaften vertreten sie analog dazu den sogenannten „Hybridansatz“, also ein Bündnis von hauptamtlichen Gewerkschaftssekretär:innen und Basisaktivist:innen. Diese Idee ignoriert völlig, dass es in Gewerkschaften einen Widerspruch zwischen Basis und Bürokratie gibt, die in Situationen des Klassenkampfes sehr schnell auch zu inneren Kämpfen führen kann. Auf solche Situationen, in denen die Führung die Vermittlung mit den Interessen der Bosse und der Regierung sucht und dabei die Basis vom Kampf abhält, hat diese Fraktion, wie wir an anderer Stelle bereits ausgeführt haben, nie eine kohärente Antwort finden können. Und das aus gutem Grund: Neben den Geschäftsinteressen der Firma Organizi.ng sind viele „Ringo“-Mitglieder selbst Teil der Gewerkschaftsbürokratie oder haben Jobs im LINKE-Apparat.

Die „PRO“-Fraktion (Plattform revolutionäre Organisation) spricht sich zwar in Worten für eine revolutionäre Organisierung und ein eigenständiges Auftreten mit einem sozialistischen Programm aus und kritisiert auch richtigerweise den wachsenden Einfluss der Firma Organizi.ng, jedoch möchte sie unbedingt an der Arbeit innerhalb der Partei DIE LINKE festhalten. Auch hier spielen materielle Interessen eine gewisse, wenn auch schwächere Rolle. Sie haben keine Firma, dennoch sind auch aus dieser Gruppe einige führende Mitglieder Teil des LINKE-Apparats und auch der Gewerkschaftsbürokratie. Viel wichtiger dürfte hier aber sein, dass sich PRO-Genoss:innen Illusionen in ihre „Verankerung“ in der Partei und den Bewegungen machen. Durch die jahrzehntelange Arbeit in reformistischen Strukturen verloren sie irgendwann das Gefühl dafür, einschätzen zu können, welcher ihrer Verbündeten tatsächlich auf dem Boden eines revolutionären Programms steht und wer sich morgen als Reformist:in herausstellen wird. PRO will aus diesen Gründen die materielle Ursache für die Krise von Marx21, nämlich das Verschmelzen mit der reformistischen Partei und ihren Bürokratien sowie das Anpassen an ihr Programm und ihre Art Politik zu denken, nicht sehen und kann daher auch kein kohärentes Programm der Erneuerung von Marx21 aufstellen.

Die FIST-Fraktion („Für eine internationale sozialistische Tendenz“) schließlich schlägt die Gründung einer eigenständigen revolutionären Organisation außerhalb der LINKEN vor und nimmt eine unversöhnliche Haltung gegenüber der Firma Organizi.ng und der Arbeit im LINKE-Apparat ein. FIST will sich außerdem nicht auf die rein ökonomische Intervention in Arbeitskämpfe beschränken, sondern betont, dass es darum geht, in ihnen ein klares sozialistisches Programm zu vertreten, auch wenn dies bedeutet, dass man sich in Opposition zur Gewerkschaftsführung gegeben muss.

Wir haben schon im Juni vorhergesagt, dass diese sehr unterschiedlichen Standpunkte nicht auf Dauer innerhalb eines Organisationszusammenhangs koexistieren können, dass also eine Spaltung in zwei oder drei Richtungen unvermeidlich ist. Unser Artikel schloss daher mit den Worten:

Marx21, genau wie DIE LINKE, steht kurz vor der Spaltung und keine Einheitsparole kann diesen Prozess stoppen. Er ist angelegt in der inneren Funktionsweise dieser Organisation, die sich zum Trabanten der LINKEN gemacht hat. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis all diese Widersprüche sich entladen werden.

Nun hat sich diese Vorhersage offenbar bewahrheitet. Doch diese Entladung geschah über unvorhergesehene Kanäle und noch dazu früher als erwartet. Es war im Juni noch anzunehmen, dass sich die Fraktionen auf dem Mitte Oktober angesetzten außerordentlichen Spaltungskongress trennen würden. Darauf hatten sich alle Fraktionen auch inhaltlich vorbereitet und jeweils ihre Vorstellungen vom zukünftigen Charakter von Marx21 in Antragsform gegossen. Die Auseinandersetzungen wären sicherlich heftig geworden, aber immerhin wäre eine Trennung in Einvernehmlichkeit und nach demokratischen Grundsätzen möglich gewesen. Doch die demokratische Diskussion war offenbar von einer der drei Fraktionen nicht erwünscht. Denn knapp einen Monat vor dem Kongress schloss das Führungsgremium von Marx21, welches von der rechten „Ringo“-Fraktion dominiert wird, die linke FIST-Fraktion per einfachem Mehrheitsbeschluss aus. Im Statement der FIST-Fraktion heißt es dazu:

Der Koordinierungskreis von Marx21 hat uns ohne Möglichkeit der Anhörung oder Anfechtung am 10. September 2023 kollektiv aus Marx21 ausgeschlossen, weil wir die Initiative für eine Neugründung als unabhängige revolutionäre Organisation gestartet haben.

Auf diese Weise hat der Marx21-Kokreis jene Fraktion mittels administrativen Vorgehens aus der weiteren Diskussion entfernt, die allein für einen revolutionären Neuanfang und einen Bruch mit der reformistisch-parlamentarischen Politik der LINKEN steht.

Dieses Vorgehen der Marx21-Führung ist mit dem revolutionären Marxismus vollständig unvereinbar. Denn dieser hat stets das Recht auf Fraktionsbildung gegen die stalinistische Geschichtsfälschung verteidigt, nach der Lenins Parteikonzept keine Fraktionen zuließe. Tatsächlich ist ein Ausschluss einer ganzen Fraktion so kurz vor einer entscheidenden Konferenz nur zu vergleichen mit dem Vorgehen der historischen stalinistischen Parteien, in denen der Apparat absolut herrschte und ein autoritäres Fraktionsverbot mit administrativen Maßnahmen gegen jegliche ernsthafte Opposition durchsetzte. Wie ist also diese Entwicklung zu erklären?

Die Degeneration von Marx21

Das FIST-Statement analysiert den Degenerationsprozess von Marx21, der in diesem Ausschluss seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte, folgendermaßen:

Nach anfänglichen Erfolgen hat sich schleichend ein Prozess der Anpassung an die Linkspartei vollzogen. Viele Genossinnen und Genossen von Marx21 haben Posten im Bundestag, in Landtagen oder Kreisverbänden angenommen. Viele sind in bezahlte Stellen in die Gewerkschaftsapparate, in die Partei DIE LINKE oder die Rosa-Luxemburg-Stiftung gegangen.

Als Netzwerk ist Marx21 in der Praxis zunehmend in unterschiedliche Gruppen auseinandergefallen, die nebeneinander her in einer Art Wabenstruktur gearbeitet haben. Aktivitäten und selbst Analysen wurden zunehmend und am Ende nahezu ausschließlich durch die Partei DIE LINKE vorgenommen. Dies hat dazu geführt, dass die Organisation austrocknete. Marx21 ist spätestens seit 2017/18 jenseits der eigenen Website und des jährlichen Kongresses „Marx is Muss“ in der Außenwelt kaum noch als eigenständiger Akteur wahrnehmbar gewesen.

Dieser Analyse ist sicherlich zuzustimmen. Hinzufügen würden wir, dass sich dieses Vakuum einer zerfallenden Organisation dann die Fraktion „Ringo“ zu nutze machte, die sich bereits Jahre zuvor heimlich konstituiert hatte. Sie wuchs in der relativen Abgeschiedenheit ihrer eigenen Wabe, bis sie in der Lage war, im Januar das Netzwerk als Ganzes zu übernehmen und ein Regime des bürokratischen Zentralismus einzuführen, welches jegliche ernsthafte Opposition mit autoritären Maßnahmen entfernt.

Die Analyse von FIST, obwohl im Kern korrekt, versäumt aber zu erwähnen, dass die beschriebene Anpassung an die reformistische Partei, ihr Programm und ihre bürokratischen Methoden, bereits als Saat von vornherein in Marx21 angelegt war. Marx21 ist historisch aus der Organisation Linksruck hervorgegangen. Als die Gründung der Partei DIE LINKE abzusehen war, löste sich Linksruck 2007 selbst auf und konstituierte sich als „Netzwerk“ Marx21 neu, mit dem expliziten Ziel, der Partei die LINKE beizutreten und noch dazu, sich in der Partei nicht als inhaltlich möglichst klar definierte Kaderorganisation zu konstituieren, die durch ihren demokratischen Zentralismus zumindest ein gewisses Gegengewicht zum Einfluss des Reformismus hätte darstellen können. Man wollte bewusst ein loses „Netzwerk“ werden, welches möglichst organisch und möglichst tief in die Parteistrukturen eindringen und dabei möglichst schnell wachsen kann. Programmatische und strategische Klarheit standen diesem Ziel der Verschmelzung mit dem Parteiapparat nur im Wege und wurden über Bord geworfen. Die Entscheidung, sich selbst als politisch und organisatorisch loses Netzwerk zu begreifen, sollte fatale Folgen haben. Diesen Schritt hat RIO/Klasse Gegen Klasse stets anprangert. Doch den meisten Mitgliedern von Marx21 sollten die Folgen ihrer Entscheidung, wenn überhaupt, erst nach Jahren der Arbeit klar werden.

Die falsche Grundlage, auf der man Marx21 gründete, ist besonders plastisch anhand der Bedingungen der Mitgliedschaft zu erkennen. Die Aufnahme in die Organisation war (und ist) nicht an klare und konkrete inhaltliche Bedingungen geknüpft und stellte auch keinen Prozess der intensiven Debatte mit den Neumitgliedern dar, sondern man wollte bewusst „die Tore möglichst weit öffnen“ und schraubte dafür die Bedingungen der Mitgliedschaft dramatisch herunter. Eine tiefe Kenntnis der Grundlagen des Marxismus und der eigenen theoretischen Tradition waren fortan keine Voraussetzungen für die Mitgliedschaft mehr. Tatsächlich löste sich Marx21 2007 sogar formal von seiner Tradition der International Socialist Tendency (IST) und trat auch aus der gleichnamigen Internationale aus. Stattdessen mussten die Mitglieder nur ein Selbstverständnis unterzeichnen, welches inhaltlich sehr vage formuliert war. Und so sammelten sich im Laufe der Zeit allerhand linke Reformist:innen und selbst einige Stalinist:innen unter dem Dach von Marx21.

Diese Praxis des „Tore-Öffnens“ wurde sogar hin und wieder mit einem Verweis auf das Verhalten Lenins während der russischen Revolution von 1905 begründet. Dieser Bezug zeugt allerdings von völligem Unverständnis der Politik Lenins und trennt sie von ihrem historischen Kontext. Es stimmt, dass Lenin 1905 innerhalb seiner Partei für eine stärkere Öffnung der Parteiorganisationen und Komitees argumentiert hat. Und dafür auf dem III. Kongress der Bolschewiki im April 1905 einen Kampf gegen das konservative Misstrauen der Berufsrevolutionäre in diesen Komitees geführt hat, die sich gegenüber den in Bewegung geratenen Arbeiter:innenmassen sektiererisch verhielten. Er argumentierte:

Arbeiter in die Komitees aufzunehmen ist nicht nur eine pädagogische, sondern auch eine politische Aufgabe. Die Arbeiter haben Klasseninstinkt, und bei einiger politischer Übung werden sie ziemlich schnell standhafte Sozialdemokraten. Ich wäre sehr dafür, dass in unseren Komitees auf je zwei Intellektuelle acht Arbeiter kämen.1

Diese Politik kann aber nicht als ewiges Prinzip gedacht werden, denn Lenin führte diesen Kampf für die „Öffnung“ unter der historischen Bedingung einer gerade ausgebrochenen Revolution und der schnellen Radikalisierung der Arbeiter:innenmassen. Er wollte die Partei also nicht denjenigen verschließen, die sich im Kampf auf die inhaltliche Grundlage dieser Partei bewegt hatten. Keine Sekunde dachte er hingegen daran, die Bedingungen für die Mitgliedschaft der Partei selbst herabzusetzen, um zu wachsen.

Lenins Haltung hier war unbeugsam im Prinzip, aber flexibel in der Taktik, das Vorgehen von Marx21 hingegen war opportunistisch und ließ auch diejenigen in die Organisation hinein, die dem revolutionären Marxismus fern standen. Wie unhaltbar dieser Verweis auf Lenin ist, zeigt auch, dass Lenin unter den Bedingungen der zaristischen Reaktion und Illegalität verbissen die engen Grenzen der Partei gegen die sogenannten „Liquidatoren“ verteidigt hat, die das revolutionäre Programm der Partei aufgeben wollten, um legal agieren zu können.2

Nimmt man diesen Rückgriff auf Lenin also ernst, so muss man zu dem Schluss kommen, dass Marx21 die Gründung der LINKEN für einen Ausdruck einer großen und starken Radikalisierung breiter Schichten der Arbeiter:innenklasse gehalten hat. Analog dazu hielt Marx21 offenbar die aus dieser Bewegung hervorgegangene Partei für eine weitaus linkere Organisation, als sie eigentlich war. Nur wenn diese Annahmen zugetroffen hätten, wäre die Taktik des „Tore Öffnens“ vertretbar gewesen, aber dann auch nur auf der unbeugsamen Grundlage eines revolutionär-marxistischen Programms. Doch diese Einschätzung der LINKEN blieb eine Illusion: Die Partei war bereits zu ihrer Gründung nichts anderes als eine linksreformistische Formation, die vom ersten Tag ihrer Existenz an bürgerlichen Regierungen auf Landesebene beteiligt war. FIST erkennt diese Tatsache durchaus an, wenn sie in ihrem Statement schreiben:

In der Praxis war und ist sie [DIE LINKE] eine reformistisch-parlamentarische Partei, die im Prinzip nie anders agiert hat als SPD und Grüne. Das Ideal vieler war die SPD-Regierung unter Willy Brandt der frühen 70er Jahre. Die Wahlparole „Links wirkt“ drückte das Versprechen aus, dass bereits das bloße Erstarken der LINKEN ausreichen würde, um das Land sozialer zu machen.

Wir begrüßen den Willen von FIST, eine Abgrenzung von dieser Strategie vorzunehmen. Jedoch möchten wir die Genoss:innen einladen, ihre Analyse und ihre Schlussfolgerung konsequenter und radikaler vorzunehmen. In den ersten (zugegebenermaßen sehr kurzen) Veröffentlichungen von FIST findet sich an keiner Stelle eine grundsätzliche Infragestellung der Gründungsentscheidungen von Marx21 und damit auch keine konsequente Abrechnung mit den Fehlern derjenigen Organisation, die man über 15 Jahre mit aufgebaut hat. Im Gegenteil wird die Politik von Marx21 zu Anfang sogar positiv bewertet und die „anfänglichen Erfolge“ hervorgehoben. Dabei muss im Lichte der problematischen Gründungsentscheidungen doch hinterfragt werden, ob es sich bei diesen Erfolgen nicht eigentlich um Illusionen gehandelt hat. Ein gut besuchter „Marx is’ Muss“-Kongress kann nur dann als Erfolg für die Sache der sozialen Revolution gewertet werden, wenn er es schafft, viele Menschen für ein entschieden revolutionäres Programm zu begeistern. Dass viele Menschen zum Kongress kommen werden, wenn man die damaligen Parteigrößen Lafontaine, Lederer, Wagenknecht und Gysi einlädt, dürfte kein Wunder sein. Es käme dann darauf an, diese Akteur:innen konsequent aus einer revolutionären Perspektive zu kritisieren und dem versammelten Publikum die Grenzen des reformistischen Ansatzes zu demonstrieren. Doch es geschah das Gegenteil: LINKE-Prominenz wurde eingeladen, mit Kritik wurde gespart und die revolutionäre Theorie und Tradition des Netzwerks wurde zunehmend auf vereinzelte kleinere Workshops verbannt, während alle zentralen Abendveranstaltungen nichts anderes waren als das Klassentreffen des deutschen Linksreformismus. Der „Marx is’ Muss“-Kongress konnte deshalb so groß werden, weil er programmatisch größtenteils reformistisch blieb. Wer sich also lediglich an den Besucher:innenzahlen des Kongresses als Fieberthermometer des Erfolges und der Gesundheit von Marx21 orientiert, der streut Sand in die eigenen Augen. Wenn es eines gibt, was sich Revolutionär:innen nicht leisten können, dann ist es, sich Illusionen in die eigene Stärke zu machen.

Was nun?

Die ehemalige FIST-Fraktion hat sich inzwischen umbenannt in „Initiative für eine Revolutionäre Linke“. Sie wird ihre neue Organisation am 15. Oktober in Berlin gründen. Diesen Schritt begrüßt Klasse Gegen Klasse ausdrücklich und möchte gegenüber den aus Marx21 Ausgeschlossenen ihre Solidarität bekräftigen. Das Vorgehen der Marx21-Führung ist einer revolutionär-marxistischen Organisation unwürdig. Es ist erfreulich, dass zumindest eine Gruppe die richtigen Konsequenzen aus dem Zerfallsprozess von Marx21 gezogen hat.

Wir laden die Genoss:innen ein, die Diskussion über die notwendigen Schlussfolgerungen aus dem Scheitern von Linkspartei und Marx21 noch zu vertiefen. Die Abrechnung mit der eigenen Tradition haben die FIST-Genoss:innen gerade erst begonnen. Aus unserer Sicht handelt es sich nicht nur darum, mit der bisherigen Praxis von Marx21 zu brechen, sondern eine Gesamtbilanz der Tradition von Tony Cliff zu ziehen, um zu revolutionären Schlussfolgerungen zu gelangen. Dabei wollen wir die Genoss:innen von FIST gern begleiten.

In diesem Sinne bleiben sowohl für die kurze Frist als auch für die grundsätzlichere Debatte noch einige offene Fragen. Denn das Statement der Initiative für eine Revolutionäre Linke bleibt in einigen strategischen Fragen unklar. Vor allem zu ihrem zukünftigen Verhältnis zu den Resten der LINKEN findet sich kein Hinweis. Zwar schreiben sie, ein „Weiter so“ dürfe es „unter diesen Bedingungen nicht geben,“ und es brauche nun eine „revolutionäre Linke, die mit dem Kernproblem bricht“. Worin besteht aber dieser revolutionäre Bruch genau? Was ist in der jetzigen Situation stattdessen zu tun? In Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen in Hessen und Bayern sowie der Europawahl wird diese Frage des Verhältnisses zum Reformismus sehr bald konkret werden.

Auch auf dem Gebiet der marxistischen Theorie gibt es Ansatzpunkte für fruchtbare und notwendige Debatten. Das gilt nicht nur für das bereits erwähnte Verhältnis zur Bürokratie in den Gewerkschaften und ein leninistisches Verständnis für den Aufbau von revolutionären Fraktionen in der Arbeiter:innenbewegung. Die cliffistische Tradition basiert unter anderem auf der Theorie des „Staatskapitalismus“, nach der die UdSSR und ihre Miniaturen in Mittel- und Osteuropa und dem globalen Süden, keine (wiewohl bürokratisch degenerierten) Arbeiter:innenstaaten gewesen seien, sondern eine neue Form des Kapitalismus hervorgebracht hätten. Auch die „Initiative für eine Revolutionäre Linke“/ex-FIST vertritt unseres Wissens nach weiterhin diese Theorie. Hierbei handelt es sich nicht nur um eine historische Debatte, sondern betrifft beispielsweise auch das Programm und die Strategie bezüglich der castristischen Bürokratie Kubas. Wir und die Organisationen der Trotzkistischen Fraktion für die Vierte Internationale (FT-CI) treten für die Notwendigkeit einer politischen Revolution gegen die Staats-, Partei- und Militärbürokratie ein, während wir die noch existenten, sozialistischen Grundlagen der Produktion gegen ebendiese Bürokratie verteidigen, die das Land immer mehr dem ausländischen Kapital öffnet. In der Tradition der „Staatskapitalismus“-Theorie gäbe es jedoch nichts mehr zu verteidigen, was einer „demokratischen“ kapitalistischen Restauration, die Kuba in die Fänge des US-Imperialismus zurückführen wird, Tür und Tor öffnet.

Der Vorschlag von Klasse Gegen Klasse ist es, diese drängenden strategischen Fragen gemeinsam zu diskutieren. Angesichts des immer weiter fortschreitenden Aufstiegs der AfD und der zunehmenden Angriffe der Ampelregierung, ebenso wie des strategischen Scheiterns der Linkspartei ist der Aufbau einer unabhängigen revolutionären Alternative der Arbeiter:innen, der Frauen und LGBTIQ-Personen, der Jugend und der Migrant:innen zentral. Eine Alternative, die auf den Klassenkampf als strategisches Zentrum setzt und unabhängig von Staat, Kapital und reformistischen Bürokratien für eine Arbeiter:innenregierung kämpft, die sich auf die Selbstorganisation der Massen stützt und mit dem Kapitalismus bricht.

Der Aufbau einer solchen Kraft wird mit jedem Tag dringender. Wir wollen deshalb dazu einladen, gemeinsam die notwendigen strategischen Fragen zu diskutieren, während wir zugleich gemeinsame gewerkschaftliche und politische Fronten zur Intervention in den Klassenkampf und zur Überprüfung unserer Übereinstimmungen und Differenzen in der Praxis vorantreiben wollen.

Konkret bedeutet dies, dass wir den FIST-Genoss:innen, ebenso wie allen anderen klassenkämpferischen Organisationen, mit denen wir beispielsweise bereits in der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) zusammenarbeiten, eine gemeinsame Intervention gegen den Rechtsruck vorschlagen wollen, die in Verbindung zu einer gemeinsamen Intervention in die kommenden Streikbewegungen steht. Während die Ampel auf Druck der von CDU und AfD angeführten rassistischen Stimmung das Asylrecht noch tiefer als ohnehin beschneidet, sieht DIE LINKE als einzige Alternative, ihre Bedingungen für eine Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung als „geringeres Übel“ noch weiter herabzusetzen. Der revolutionäre Bruch mit dieser Vermittlungslogik heißt für uns auch, praktische Antworten auf das Versagen des Reformismus zu liefern und eine materielle Kraft aufzubauen, die die Selbstorganisation an der Basis gegen die Politik der bürokratischen Führungen vorantreibt. In den kommenden Monaten werden beispielsweise die rund 800.000 TVL-Beschäftigten zum Streik aufgerufen. Diese sollten wir als Revolutionär:innen nicht nur dafür gewinnen, für einen echten Inflationsausgleich und eine gleitende Skala der Löhne zu kämpfen, statt im Sinne der Gewerkschaftsführungen Zugeständnisse durch Lohnverzicht an den kriselnden deutschen Imperialismus zu machen. Ein revolutionärer Bruch mit dem Reformismus bedeutet auch die Hinwendung zum Klassenkampf als strategisches Zentrum in politischen Fragen. Wir wollen also eine Kampagne auf die Beine stellen, die den Kampf gegen Rechts, für die Rücknahme aller Kürzungen, für ein sicheres Bleiberecht, Aufnahme aller Geflüchteten und Staatsbürger:innenrechten für Alle, für den Kampf gegen den Militarismus und damit den Stopp aller Waffenlieferungen und Sanktionen sowie für die Rücknahme des 100 Milliarden-Aufrüstungspakets und stattdessen Masseninvestitionen in Bildung und Gesundheit miteinander verbindet. Dazu gehört auch der Kampf gegen die von der fossilistischen Rechten noch forcierte Klimakrise und für damit einhergehende Maßnahmen wie einen kostenlosen ÖPNV und für die entschädigungslose Enteignung der Energiekonzerne. Zusätzlich dazu wollen wir im Rahmen solch einer Kampagne auch in soziale Bewegungen intervenieren, um sie für eine strategische Einheit mit der Arbeiter:innenklasse zu gewinnen.

Offene Fragen

Wie sich die International Socialist Tendency (IST) zu diesem Bruch verhalten wird, ist bisher noch unklar. Von der Socialist Workers Party (SWP) in Großbritannien, der führenden Sektion der IST, gibt es bisher noch keine Stellungnahme. Aber zumindest die ägyptische Sektion, die „International Socialists of Egypt“, hat das Statement auf englisch auf ihrer Webseite veröffentlicht.

Interessant wird auch das zukünftige Verhältnis der Revolutionären Linken zur PRO-Fraktion. Bisher hat PRO öffentlich noch keine Stellung zum Ausschluss ihrer Genoss:innen bezogen. Ob dies überhaupt geschehen wird, ist unklar. PRO hat über dies offenbar auch noch keine praktischen Konsequenzen aus dem Ausschluss gezogen. Weder sind sie solidarisch mit ausgetreten, noch haben sie ihre verbliebenen Posten im Koordinierungskreis aufgegeben. Möglicherweise gibt es noch Kräfte in PRO, die sich ausrechnen, man könne eine zweite Spaltung noch abwenden. Wenn es PRO aber mit ihrem Ruf nach einer revolutionären Organisation ernst meint, dann kann dies niemals im Bund mit „Ringo“ geschehen.

Alles Weitere wird sich zeigen, wenn der außerordentliche Kongress Mitte Oktober Fakten geschaffen hat. Das Experiment Marx21 ist jedenfalls gescheitert und das auch nach seinen eigenen Maßstäben.

Fußnoten

1. Lenin: Werke, Bd. 8, S.405.
2. Siehe hierfür die Artikelreihe: Strittige Fragen. Die legale Partei und die Marxisten, in: Lenin: Werke Bd. 19, S.133-154.

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