Mali: Der Putsch hat einen Verbündeten des französischen Imperialismus gestürzt

27.08.2020, Lesezeit 9 Min.
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Die malische Armee hat sich gegen Präsident Ibrahim Boubacar Keïta erhoben und leitet damit eine Zeit innerstaatlicher und regionaler Ungewissheit ein.

Nach mehreren Monaten sozialer Proteste und einer Krise in der Regierung von Präsident Ibrahim Boubacar Keïta, bekannt als „IBK“, haben Offizier*innen der malischen Armee am Dienstag letzter Woche einen Staatsstreich durchgeführt. Wie beim letzten Putsch im Jahr 2012 begann alles mit einer Meuterei im Lager von Kati, etwas mehr als 15 Kilometer von Bamako entfernt, der Hauptstadt des Landes. Die rebellischen Soldat*innen nahmen den Präsidenten und seinen Premierminister Boubou Cissé gefangen. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch gab IBK in ernstem Ton seinen Rücktritt und die Auflösung der Nationalversammlung bekannt. Gleichzeitig kündigte Ismaël Wagué, stellvertretender Generalstabschef der Luftwaffe, die Schaffung eines Nationalen Komitees für die Rettung des Volkes (Comité National pour le Salut du Peuple, CNSP) an. Schließlich proklamierte sich der Oberst der malischen Armee, Assimi Goita, selbst zum Präsidenten des CNSP und wurde so zu Malis „starkem Mann“.

Der Staatsstreich wurde in den Straßen von Bamako mit Jubel begrüßt. Zumindest vorläufig. Denn die besagte Gruppe von Soldat*innen sagt, dass sie „einen zivilen politischen Übergang, der zu glaubwürdigen allgemeinen Wahlen führt“ in einem „angemessenen Zeitraum“ anstrebt. Die Putschist*innen erklären zudem, dass sie sich zum Handeln entschlossen haben, weil „Mali wegen der Männer, die für sein Schicksal verantwortlich sind, immer weiter in Chaos, Anarchie und Unsicherheit versinkt“. Das sei der Grund, aus dem sie repressive Maßnahmen wie die Einführung einer Ausgangssperre und die Schließung der Grenzen ergriffen haben.

In Mali hatte es in den letzten Monaten große Demonstrationen und Streiks gegeben. Diese hatten sich nach den Parlamentswahlen im April letzten Jahres zugespitzt. Die Opposition und ein Großteil der Bevölkerung hatten kritisiert, dass sie zugunsten der damaligen Regierung organisiert worden waren. Die Repression seitens der Regierung von IBK, Verbündeter und treue Marionette Frankreichs, forderte im Juli mindestens 14 Tote. Deshalb gab die Oppositionskoalition M5-RFP, bestehend aus ehemaligen Regimeangehörigen und dem ultra-reaktionären Imam Mahmoud Dicko, nun Erklärungen zugunsten der Putschist*innen ab.

Die imperialistischen Mächte, angefangen natürlich mit Frankreich, und ihre regionalen Satellitenstaaten haben den Putsch jedoch sofort verurteilt. So kritisierten die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian „dieses schwerwiegende Ereignis auf das Schärfste“. Sie forderten „die Militärs auf, unverzüglich in ihre Kasernen zurückzukehren“ und dass „die verfassungsmäßigen Ordnung aufrechterhalten wird“. Auch die Vereinigten Staaten und China verurteilten den Putsch. Die Nachbarländer Malis schlossen ihre Grenzen und setzten den wirtschaftlichen und politischen Verkehr mit dem Land aus.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Bereitschaft, den Putsch in Mali anzuprangern, im Widerspruch zu anderen ähnlichen Situationen, wie z.B. dem Putsch in Bolivien gegen Evo Morales im vergangenen Jahr steht. Damals nahm Frankreich Morales‘ „Rücktritt“ lediglich „zur Kenntnis“ und erkannte den Putsch mit der Forderung nach der Organisation eines „Übergangs“ an.

Der Putsch betrifft nicht nur Mali

Aber eines ist sicher: Frankreich und seine Verbündeten befürchten, dass der Staatsstreich in Mali den Weg für ähnliche Situationen in anderen Ländern der Region ebnen könnte, die mit den gleichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben: Niger, Burkina Faso und insbesondere die Elfenbeinküste. Für den ivorischen Analysten Franck Hermann Ekra, dessen Worte von der Zeitung Libération übermittelt wurden, ist es, „als wäre gerade ein ‚malisches Modell‘ geboren worden“. Vor allem in den Nachbarländern erlaube sich endlich jeder zu denken, dass nun alles möglich sei, indem er die Geschehnisse in Mali mit ähnlichen Situationen wie der auch zuhause verbreiteten Ablehnung der herrschenden Macht vergleiche.

Der Protest gegen die IBK-Regierung schöpft seine Kraft aus der endemischen Korruption und der verschlechterten wirtschaftlichen Lage, die durch die Covid-19-Pandemie noch verschlimmert wurde, aber auch aus der Situation im Norden des Landes. Der Krieg, den die malische Armee an der Seite der imperialistischen Kräfte seit fast acht Jahren gegen die islamistischen Organisationen in Azawad führt, hat in der Bevölkerung und innerhalb der Armee großes Unbehagen und bei einigen Soldat*innen das Gefühl hervorgerufen, umsonst in den Tod geschickt zu werden. Diese Situation hat in der malischen Bevölkerung eine antifranzösische Stimmung zu verstärken, obwohl sie 2013 die französische Militärintervention im Norden noch weitgehend befürwortete.

Diese Stimmung ist für Frankreich ein Grund zu großer Sorge. Der Staatsstreich, der höchstwahrscheinlich von Fraktionen der herrschenden Klassen und der Armee ohne Zustimmung der französischen Regierung durchgeführt wurde, erschwert die Strategie des imperialistischen Landes in der Region. Für deren Armee, die 5.100 Soldaten im Land stationiert hat, ist dies ein riesiges Problem. Wie in einer Analyse in der französischen Zeitung Le Figaro zu lesen ist:

Für die französische Operation ist der politische Umsturz in Bamako ein Rückschlag. Die gesamte Strategie von Paris wird überprüft werden müssen. Der im Januar von Emmanuel Macron einberufene Pau-Gipfel zielte darauf ab, die afrikanischen Staaten und vor allem Mali im Kampf gegen terroristische Gruppen wieder zu mobilisieren. Um die Schlacht zu gewinnen, war es notwendig, dass es dem malischen Staat gelang, sich auf seinen verlorenen Gebieten wieder festzusetzen. Die Erfolge der letzten Monate in der Drei-Grenzen-Region werden wahrscheinlich ohne Fortsetzung bleiben.

Und weiter:

Das politische Versagen Malis bedroht auch den internationalen militärischen Einsatz. Seit mehreren Monaten versucht Frankreich mit dem Einsatz der Task Force ‚Takuba‘, die sich aus europäischen Spezialeinheiten zusammensetzt, die Unterstützung seiner europäischen Partner zu erhalten. Ein erstes estnisches Kontingent traf im Juli ein. Es sollten tschechische und dann schwedische Einsatzkräfte folgen. Die unbekannte politische Zukunft Bamakos könnte nun zusätzliche Unterstützung erschweren. Es hat Macron viel Zeit gekostet, seine Gesprächspartner davon zu überzeugen, sich in der Sahelzone zu engagieren. Ihr Rückzug könnte schneller erfolgen, wenn es für die Zukunft Malis keine mittelfristige Lösung zu geben scheint.

Mali ist seit 2013 zu einem mit Besatzungstruppen „überbevölkerter“ Staat geworden. Wie Oberst Michel Goya in den Spalten des Figaro erklärt:

Man darf nicht vergessen, dass die französischen Streitkräfte nicht die einzigen ausländischen Streitkräfte vor Ort sind, nicht einmal die wichtigsten. Der größte militärische Akteur in Mali ist die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) mit mehr als 13.000 Blauhelmen aus vielen verschiedenen Ländern. […] Zudem gibt es die Mission der EU in Mali, die die Ausbildung bzw. Umschulung von 14.000 malischen Soldat*innen beaufsichtigt. Kleinere europäische Truppen sind im Rahmen der ‚Operation Barkhane‘ eingesetzt oder mit der Ausbildung der Takuba-Spezialkräftegruppe beauftragt. Wir dürfen das Afrikanische Kommando der Vereinigten Staaten (AFRICOM) nicht vergessen, das alle alliierten Streitkräfte diskret unterstützt. Zu guter Letzt ist Mali auch Teil der G5-Sahel-Gruppe, deren Truppe vermutlich auf Malis Territorium intervenieren wird.

Die militärische „Überaktivität“ in Mali hat keineswegs zu einem Rückzug der islamistischen Gruppen geführt. Im Gegenteil: Die Sahelzone ist zu einer der gefährlichsten und tödlichsten Regionen des Kontinents geworden. Während das erklärte Ziel Frankreichs in der Region die „Bekämpfung des Terrorismus“ ist, gehen die strategischen Ziele in der Region weit darüber hinaus und zielen auf eine strenge Kontrolle der natürlichen Ressourcen dieses Teils des afrikanischen Kontinents ab, die hauptsächlich von französischen multinationalen Unternehmen genutzt werden sollen. Daher kontrolliert der französische Staat die Informationen über seine Aktivitäten in Mali so streng, dass er sogar das Dossier über den Krieg in Azawad zensiert, das im März letzten Jahres in der wissenschaftlichen Zeitschrift Afrique contemporaine veröffentlicht werden sollte.

In dieser Hinsicht muss sich der französische Imperialismus aber keine Sorgen um die Putschist*innen machen. Einer der Soldaten, General Wagué, erklärte bereits, dass „alle getroffenen Vereinbarungen“ eingehalten werden:

Die (UNO-Mission) MINUSMA, die (französische antijihadistische) Barkhane-Truppe, die G5-Sahel-Gruppe (zu der fünf Länder der Region gehören), die Takuba-Truppe (eine Gruppe europäischer Spezialeinheiten, die die Malier*innen im Kampf begleiten soll) bleiben unsere Partner.

Mit anderen Worten: Die Militärs wollen die Politik der korrupte IBK-Regierung(und allen vorherigen) fortsetzen und sich dem französischen Imperialismus und anderen Weltmächten unterwerfen.

Aus diesem Grund wäre es für die Arbeiter*innen und die Bevölkerung Malis ein fataler Fehler, in Bezug auf Emanzipation und ein menschenwürdiges Leben ihre Hoffnung auf diese Militärjunta zu setzen. Nicht weniger katastrophal wäre es, der M5-RFP-Koalition, die von reaktionären Persönlichkeiten und islamistischen Organisationen gebildet wird, zu vertrauen. Und es liegt auf der Hand, dass der schlimmste ihrer Feinde der Imperialismus bleibt, insbesondere in seiner unverhohlenen militaristischen Form. All diese Kräfte sind Feinde der Ausgebeuteten und Unterdrückten in Mali und auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.

Dieser Artikel erschien erstmals am 20. August auf Französisch bei Révolution Permanente

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