LINKE: Wann streicht sich der Landesvorstand Berlin selbst die Gelder?

28.04.2022, Lesezeit 8 Min.
Gastbeitrag

Wir spiegeln solidarisch den Beitrag von Solid Nord-Berlin, denen die Gelder gestrichen werden sollen, während der Landesverband regelmäßig gegen das Programm verstößt.

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Foto: Hadrian / shutterstock.com

In der morgen stattfindenden Sitzung des Landesvorstandes von DIE LINKE Berlin soll uns, der linksjugend solid Berlin, die Autonomie über unsere finanziellen Mittel genommen werden. Es soll eine Bagatellgrenze eingerichtet werden, bis zu der wir über unsere Finanzen selber verfügen können, darüber muss der Geschäftsführende Landesvorstand zustimmen Oberflächliche Begründung ist ein Formfehler in der Abrechnung, weil die Entziehung der Autonomie über die Gelder aus politischen Gründen nicht mit der Satzung der Partei DIE LINKE vereinbar ist. Der tatsächliche, unter der Hand ausgegebene Grund sind jedoch die Beschlüsse der letzten Landevollversammlung des Jugendverbandes, im Besonderen die Unvereinbarkeit der Einschätzung zur Situation in Israel und Palästina mit dem Erfurter Programm. Ziel ist es, durch Kontrolle über die Finanzen und politischen Druck, den Jugendverband daran zu hindern die demokratisch gefassten Mehrheitsbeschlüsse auszuführen. Vergleicht man den Widerspruch des Beschlusses mit dem Erfurter Programm sowie den Widerspruch des Regierungshandelns der Berliner LINKEn so ist eine derartige Zensur durch die Partei auf dieser Basis eine absolute Farce.

Einer der LVV-Beschlüsse, über den der Berliner Vorstand nahezu aggressiv schweigt, ist der Beschluss über den Einsatz für den Austritt aus der Regierung. Grund dafür ist, dass die Regierungspraxis von DIE LINKE Berlin weder mit dem Erfurter Programm, noch mit dem Wahlprogramm von DIE LINKE Berlin vereinbar ist. Mit der aktiven Bekämpfung von uns als Jugendverband will der Vorstand bezwecken, dass wir weder in finanziellen Mitteln noch in Arbeitskapazitäten die Möglichkeit haben, für die Umsetzung dieses Beschlusses zu kämpfen. Deshalb folgt anschließend eine notwendige Gegenüberstellung unserer und ihrer Genauigkeiten bezüglich der Programmatik von DIE LINKE sowie ein Abgleich mit dem Wahlprogramm.

Das zentrale Wahlversprechen der Berliner Linkspartei war die Umsetzung des Volksentscheides „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Im Wahlprogramm heisst es: „Nach einem erfolgreichen Volksbegehren werden wir uns für eine zügige Umsetzung des Volksbegehrens und ein entsprechendes Gesetz einsetzen. Für uns ist dabei klar, dass die Entschädigung sehr, sehr deutlich unterhalb des Marktwertes liegen muss, so wie es Art. 15 GG ermöglicht. Wir orientieren uns und kämpfen für eine Entschädigungssumme, die sich nicht am Werterhalt der Eigentümer:innen misst, sondern am Interesse der Allgemeinheit. Eine Richtschnur kann hierfür das Faire-Mieten-Modell der Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« sein, das von einem Ertragswert bei sozialen Mieten ausgeht.“. Geblieben ist davon die Verschleppung der Umsetzung durch eine Expert*innenkommission, und ein derartig miserabler Umgang mit der Initiative, dass diese in Brandbriefen die Linkspartei des Verrats bezichtigt.

Das Erfurter Programm spricht sich klar gegen Abschiebungen aus. „Menschen, die vor Menschenrechtsverletzungen, Kriegen und politischer Verfolgung geflohen sind, dürfen nicht
abgewiesen oder abgeschoben werden. Wir fordern die Wiederherstellung des
Grundrechts auf Asyl und kämpfen gegen die Illegalisierung von Flüchtlingen, gegen
Abschiebungen, gegen jede Form von Sondergesetzen wie die Residenzpflicht sowie gegen Sammellager. Die Abschottungspolitik der EU ist unmenschlich – wir wollen keine Festung Europa.“. Diametral entgegengesetzt zeigt sich die Praxis der Berliner Regierung. In absoluten Zahlen ist das Land Berlin mit 959 Abschiebungen auf Platz vier in der bundesweiten Abschiebestatistik (https://www.bpb.de/themen/migration-integration/zahlen-zu-asyl/265765/abschiebungen-in-deutschland/). Mit 263 Abschiebungen pro Million Einwohner*innen liegt Berlin damit sogar Bundesweit auf Platz eins der Abschiebungen im Verhältnis zur Bevölkerung. So sieht als der „Kampf“ gegen Abschiebungen innerhalb der Landesregierung Berlins aus. Selbst die kümmerlichen Forderungen nach dem Verzicht auf Nachtabschiebungen sowie der Verzicht auf Abschiebungen bei humanitär nicht vertretbaren Witterungsbedingungen im Winter wurden nicht erfüllt.

Auch bezüglich der Ausschreibung der S-Bahn findet man im Wahlprogramm klare Worte: „Wir treten für die Kommunalisierung der Berliner S-Bahn ein, auch um auf Ausschreibungen der S-Bahn-Leistungen verzichten zu können. Die Kommunalisierung soll über den Aufbau eines landeseigenen Unternehmens zum Betrieb der Berliner S-Bahn oder über den Einstieg der Bundesländer Berlin und Brandenburg in die S-Bahn Berlin GmbH erfolgen. Die dafür notwendigen Verhandlungen mit der Deutschen Bahn und der Bundesregierung müssen schnellstmöglich starten. Wir lehnen Ausschreibungen ab. Sie erzeugen einen teuren Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten und Fahrgäste und gefährden die sozial-ökologische Verkehrswende nachhaltig. Eine Zerschlagung der S-Bahn und den Einzug privater Kapitalinteressen in Betrieb und Instandhaltung der Berliner S-Bahn tragen wir im Sinne der Millionen Fahrgäste und der Beschäftigten nicht mit.“ Auch im Erfurter Programm heisst es „Unser Ziel ist ein flächendeckendes und barrierefreies Angebot des öffentlichen Verkehrs mit attraktiver Taktung, guten Umsteigemöglichkeiten sowie sozialverträglichenTarifen. Einen unentgeltlichen Nahverkehr sehen wir als Vision, auf die wir langfristig hinwirken wollen. Der öffentliche Personennah- und -fernverkehrmuss unter Einbeziehung von Interessenvertretungen der Fahrgäste, Beschäftigten, Umweltverbände und anderen Betroffenen kooperativ und demokratisch reguliert und betrieben werden. Die Deutsche Bahn muss einer breiteren demokratischen Kontrolle unterliegen. Privatisierungen öffentlicher Verkehrsunternehmen lehnen wir ab.“ Gehandelt hat DIE LINKE auch hier, wie ist es auch an dieser Stelle anders zu erwarten, völlig gegenteilig. Die Ausschreibung für das S-Bahn-Netz ist weiterhin im vollen Gange und von irgendeiner Absicht der R2G-Regierung Kommunalisierung einzuleiten kann nicht die Rede sein.

In den zentralen aufflammenden Problemen und Fragen, die uns als Arbeiter*innenjugend betreffen, hat die DIE LINKE nicht nur versagt, sondern handelt auch im diametralen Widerspruch zu den sich selbst gesetzten Ansprüchen.

Schauen wir uns nun den Vorwurf an uns an. Im Erfurter Parteiprogramm heisst es: „Deutschland hat wegen der beispiellosen Verbrechen der Deutschen an den Jüdinnen und Juden während des deutschen Faschismus eine besondere Verantwortung und muss jeder Art von Antisemitismus, Rassismus, Unterdrückung und Krieg entgegentreten. Insbesondere diese Verantwortung verpflichtet auch uns, für das Existenzrecht Israels einzutreten. Zugleich stehen wir für eine friedliche Beilegung des Nahostkonfliktes im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung und damit die
völkerrechtliche Anerkennung eines eigenständigen und lebensfähigen palästinensischen Staates auf der Basis der Resolutionen der Vereinten Nationen.“ Wir sehen in unserem Beschluss anderthalb Widersprüche zu dieser Formulierung. Den klarsten Widerspruch sehen wir natürlich dort, dass wir die Errichtung eines einzigen Staates unterstützen anstatt einer Zwei-Staaten-Lösung. Wegen solch einer taktischen Frage aber so ein Fass aufzumachen, ist aus unserer Sicht absurd. Viel mehr noch, ist eine zwei-staaten-lösung nicht realisierbar und zementiert den Status Quo der Apartheid. Dieselbe Außenpolitik wie die CDU-Bundestagsfraktion zu vertreten, sollte einem dabei zu denken geben. Der halbe Widerspruch stammt aus der Formulierung des Existenzechts Israels. Aus unserer Sicht liegt an dieser Stelle, mit unserer Vision eines sozialistischen, bi-nationalen Staates, in dem sowohl jüdische Israelis als auch jetzige arabische Israelis und Palästinenser*innen gleiche Staatsbürger*innenrechte sowie zusätzlich besonders geschützte Minderheitenrechte (wie zB Schulbildung in der eigenen Sprache usw.) gar kein Widerspruch vor. Der „halbe“ Widerspruch kommt daher, dass einige hier den Anspruch auf die fortgesetzte Entrechtung von arabischen Israelis sowie Palästinenser*innen hineinlesen und auf eine Existenzberechtigung als Apartheidsstaat sowie nicht nur auf eine nicht-Unterstützung sondern sogar auf das Recht der Niederschlagung von Bewegungen mit eben genau den von uns formulierten Forderungen hineinlesen. Das ist jedoch aus unserer Sicht nicht mit dem antirassistischen Anspruch einer sozialistischen Partei vereinbar und gibt auch die Passage im Erfurter Programm nicht her.

Verglichen mit dem Regierungshandeln R2Gs, für dass sich die Partei zu verantworten hat, sind die Vorwürfe an uns geradezu lächerlich. Die Partei sollte sich an die eigene Nase fassen, anstatt sich damit zu beschäftigen, für den Sozialismus brennende, kämpferische Jugendliche und junge Menschen derartig auszubremsen. Wir fordern weiterhin unsere Unabhängigkeit und Autonomie als Jugendverbands. Die Partei sollte eher schätzen, welche Sektoren der Arbeiter*innenjugend wir für die linksjugend solid begeistern können, anstatt uns so zu sabotieren. Und legt man den Maßstab der Abweichung von dem Erfurter Programm an, müsste sich der Landesvorstand selbst einen externen Verwalter für seine Mittel besorgen.

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