Les Sauteurs: Die Sehnsucht nach Europa
"Les Sauteurs" dokumentiert das gefährliche Leben von Geflüchteten, die in Marokko versuchen, die spanische Exklave Melilla zu erreichen – und damit ein besseres Leben in Europa.
Der Gurugu ist ein bedrohlicher Ort. Mystisch, voller Gewalt und Elend. Es ist der Berg, von dem tausende junge Menschen jedes Jahr sehnsüchtig auf die Hafenstadt Melilla hinabsehen. Dort unten ist ein Stückchen Europa. Ihr Traum, der ihnen ein besseres Leben ermöglichen soll. Zwischen ihnen und der Europäischen Union befinden sich drei hintereinandergereihte Grenzzäune, bis zu sieben Meter hoch und 19 Kilometer lang, voller Stacheldraht und Infrarotkameras. Die Festung Europa zeigt sich hier von ihrer abscheulichsten Seite.
Monatelang kampieren die Männer auf dem Gurugu, warten auf die passende Gelegenheit, bei der sie in großen Gruppen den Zaun „angreifen“. Nur durch die schiere Masse haben sie eine Chance, dass einige von ihnen durchkommen. Viele werden verletzt, durch die Polizei, durch den Sprung vom Zaun oder den Stacheldraht. Dennoch riskieren sie es – trotz aller Entbehrungen und Gefahren, für einen kleinen Funken Hoffnung.
Gefilmt wurde das Ganze von Abou Bakar Sidibé. Er stand selbst auf dem Gurugu, lebte dort viele Monate, sprang unzählige Male über den Zaun – bis er es nach vielen erfolglosen Versuchen nach Melilla schaffte und von dort seine Reise auf das europäische Festland fortsetzte. Das Regisseurteam von Estephan Wagner und Moritz Siebert lieh ihm eine Kamera. Was Sidibé daraus machte, ist ein beeindruckendes Porträt einer verzweifelten Generation aus dem subsaharischen Raum, die eine lange und ungewisse Odyssee antritt. Der Ausplünderung ihrer Heimat durch das imperialistische Kapital steht ihre Hoffnung entgegen, in Europa ein besseres Leben zu haben.
Um dorthinzugelangen, nehmen sie die apokalyptische Finsternis des Gurugu auf sich. Sie fristen ihr Dasein unter freiem Himmel zwischen streunenden Hunden und Essensresten aus Müllcontainern. Phasenweise entsteht so etwas wie ein Alltag. Es gibt gewählte Anführer, Tanzeinlagen und ein Fußballspiel. Doch die Ungewissheit bleibt. Jeder Angriff auf den Zaun wird minutiös geplant. Ein Scheitern kann den Tod bedeuten. Der Gurugu wird so zum Schicksalsberg, an dem manche aufgeben und den Rückweg nach Togo oder Mali antreten, andere wie Sidibé ihren Traum verwirklichen.
Sidibé hat bei seiner Reise die Verzweiflung am Berg eingefangen. Einer seiner Begleiter starb bei einem Sturm auf den Zaun. Er, der es geschafft hat, weiß, dass ihn in Europa keinesfalls das Paradies empfangen wird. Ob er bleiben kann, ist ungewiss. Doch was die jungen Männer antreibt, fängt Sidibé in solchen Szenen ein: Sie sitzen schweigsam und ausgezehrt in der trostlosen Unwirklichkeit des Gurugu mit Blick auf die glitzernden Fassaden des sich im Meer spiegelnden Melillas, während aus einem Handy Whitney Houstons „I will always love you“ erklingt.