Leitlinien nicht-feministischer Außenpolitik

02.03.2023, Lesezeit 8 Min.
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Das Auswärtige Amt stellte am Mittwoch die Leitlinien der „feministischen Außenpolitik“ vor. Vom Feminismus bleibt jedoch nicht viel übrig - und selbst am eigenen Anspruch scheitert man.

Wie angekündigt wurden am 1. März 2023 vom Auswärtigen Amt (AA) die Leitlinien der „feministischen Außenpolitik“ vorgestellt. Bereits im Koalitionsvertrag der „Ampel“-Regierung wurde ein Bekenntnis zum Feminismus in außenpolitischen Fragen betont, die mit diesen 89-Seiten starken Leitlinien nun konkretisiert werden. Der Begriff selbst wurde 2014 von Schwedens damaliger Außenministerin Margot Wallström geprägt, die sich besonders zur Überwindung von Geschlechterdiskriminierung und der Wahrung von Menschenrechten verpflichtet hat. Jetzt hat sich also auch die BRD diesem Schlagwort zugewandt und präsentiert eine eigene Konzeption, die sie mit einigen Beispielen aus der Praxis untermauert. Dass der Feminismus auch in der BRD nach wie vor mehr als notwendig ist, zeigt ein Bericht von Amnesty International (AI) vom 7. März 2022. Dort wird einerseits die Ungleichheit auf dem sogenannten Arbeitsmarkt und der Rente angesprochen (Frauen verdienen 18 Prozent weniger als Männer und erhalten durchschnittlich 46 Prozent weniger Rente), andererseits auch die Gewalt, die Frauen in der BRD erfahren. Besonders während der Coronapandemie stieg die Anzahl häuslicher Gewalt und Femizide, das sich auch daran zeigte, dass die Frauenhäuser übervoll waren. Weltweit sind die Frauen weiterhin unterdrückt: sowohl durch das Patriarchat als auch durch das herrschende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Ob Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und ihr Auswärtiges Amt mit ihrer „feministischen Außenpolitik“ wirklich etwas an den realpolitischen Umständen ändern wollen, wird durch einen Blick auf die Leitlinien schnell widerlegt.

Bereits in den einleitenden Worten der Außenministerin wird die bürgerliche Interpretation des Feminismus deutlich, der sich durch die ganzen Leitlinien ziehen wird. Dass eine bürgerliche Regierung die Frauenunterdrückung im Zusammenhang mit dem Klassenkampf nicht sieht oder anerkennt, ist nicht verwunderlich. Es wird vielmehr deutlich, dass ein staatstragender Feminismus elaboriert wird, der sich nicht mit den Strukturen der Frauenunterdrückung beschäftigt, sondern mit einer eklektischen Symptombekämpfung, die sich konsequenterweise gegen den eigenen feministischen Anspruch richten wird. Zentral werden der Ukrainekrieg und die feministische Revolution im Iran aufgezeigt, was die Aufgabe der „feministischen Außenpolitik“ sein soll: „Frauenrechte sind ein Gradmesser für den Zustand unserer Gesellschaft“. Übersetzt heißt das: Die Freiheit einer Gesellschaft zeigt sich anhand der Freiheit der Frau. Gegen diesen Anspruch gibt es freilich nichts einzuwenden, allerdings ist die Freiheit immer die Freiheit der Herrschenden und hiernach an ihrer Ideologie orientiert. Die bürgerlich-demokratischen Rechte, wonach alle Menschen die gleichen Rechte und Chancen haben, um an der Gesellschaft zu partizipieren, wird als Ausgangspunkt verstanden, um so die eigene Ideologie zu verbreiten, die nicht nur in der Praxis sowohl im In- als auch im Ausland stets konterkariert wird, sondern auch in der Juristerei.

Wenn Frauenrechte Gradmesser der Freiheit der Gesellschaft sind, so wird die BRD wohl kaum als freie Gesellschaft gelten. Alle drei Tage wird eine Frau von ihrem Partner oder ihrem Ex-Partner ermordet, täglich wird ein Tötungsversuch offiziell bei den Polizeistellen gemeldet. Das Bundeskriminalamt meldetet 2021 146.655 Fälle von physischer und psychischer Gewalt innerhalb einer Partner:innenschaft. Diese Daten sind jedoch nur sehr konservative Gradmesser, denn die Dunkelziffer ist aus verschiedenen Gründen weitaus höher und Taten außerhalb von Partner:innenschaften werden kaum registriert. Doch auch auf juristischer Ebene bleibt die Frau in der BRD unterdrückt und in ihren grundlegenden Rechten eingeschränkt. Paragraf 218 des Strafgesetzbuch hat weiterhin Bestand, der den Schwangerschaftsabbruch als grundsätzlich rechtswidrig betrachtet. Dass es Regelungen gibt, die unter bestimmten Voraussetzungen den Abbruch ermöglichen, ändert nichts an der Existenz der Strafmaßnahme, die ein schwerer Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frau ist. Wenn also das AA und Annalena Baerbock für die außenpolitische Ausrichtung einen „feministischen“ Kompass bedienen, der bereits im eigenen Land versagt, hat das nicht nur etwas Zynisches, sondern es ist vielmehr auch ein Ausblick, wie weit es mit dem „Feminismus“ der „Ampel“-Koalition wirklich geht.

Wie erwähnt werden als außenpolitische Praxis sowohl der Iran als auch die Ukraine herangezogen. Als Antwort auf die Handlung der theokratischen Diktatur im Iran nach der Ermordung der Kurdin Jina Mahsa Amini am 16. September 2022, verhängte die Europäische Union (EU) Wirtschaftssanktionen gegen das iranische Regime. Für das AA ist das „feministische Außenpolitik“, denn man sei dadurch auf der Seite der iranischen Frauen und bestrafe iranische Funktionär:innen. Dass Wirtschaftssanktionen einen Einfluss auf die Bevölkerung des zu bestrafenden Staates hat, betonte ein Bündnis von Menschenrechtsgruppen am 28. April 2022 in einem offenen Brief an den US-Präsidenten Joseph Biden. Dort wird auch auf den Iran verwiesen, dass Wirtschaftssanktionen und Blockaden gegenüber der theokratischen Diktatur besonders die Bevölkerung betrifft. Die Bevölkerung habe nur einen beschränkten Zugang zu Nahrungsmittel, Medizin und anderen Gütern und durch die Sanktionen wird die iranische Wirtschaft geschädigt, was wiederum zum Verlust von Arbeitsplätzen der Iraner:innen führt. Entweder verschließt das AA die Augen vor den Folgen ihrer Wirtschaftssanktionen, oder das Ideal der „Freiheit der Frauen“ hat einen höheren Stellenwert als die Frau an sich, getreu dem Motto: Niemand hat jemals gesagt, dass der Weg zur Befreiung ein einfacher sein wird. Oder: Kollateralschäden sind nicht die Ausnahme, sondern die Pflicht der westlichen Welt, die nun auf „Feminismus“ macht.

Dass die „feministische Außenpolitik“ an ihrem eigenen Anspruch krankt, zeigt die Haltung zum Ukrainekrieg und Russlands. Dass im Ukrainekrieg sexualisierte Gewalt vorkommt, ist nicht zu leugnen; die Streitfrage ist aktuell, ob diese einzig von Russland kommt oder auch von der Ukraine. Das AA und Baerbock sind sich jedoch sicher, dass nur Russ:innen sexualisierte Gewalt anwenden. So betonen sie, dass die „feministische Außenpolitik“ ihren Ausdruck darin findet, die Verbrechen aufklären zu wollen und entsprechende Institute und Menschenrechtsgruppen zu unterstützen. Russland verkommt in den Leitlinien nur als Aggressor, auf die russische Bevölkerung wird gar nicht eingegangen. Dass alle Menschen die gleichen Rechte und Chancen erhalten sollen, hört an der ukrainischen Grenze wohl auf, denn es findet sich keinerlei Bezug auf russische Frauen, die befreit werden müssen. Das ist jedoch nicht verwunderlich, denn seit einem Jahr arbeitet die BRD daran, Russland und die russische Bevölkerung als die absolute Verkörperung des Bösen darzustellen, die mittlerweile auch keinen Halt vor Faschismusrelativierungen mehr macht. Freilich könnte man darüber erbost sein, aber im Kern ist es nur konsequent, denn der Feminismus findet in einem bürgerlichen Rahmen schnell seine Grenzen und entkleidet sich jeglichen revolutionären Inhalts. Dieser Reduktionismus wird in den Forderungen deutlich, dass mehr Frauen in Führungspositionen vertreten sein müssen, denn nur so könne man eine befreite Gesellschaft erreichen.

Mit positiven Bezugnahmen auf „Partner:innen feministischer Außenpolitik“ wie Frankreich, Chile oder Mexiko wird ein weltweiter Anspruch kolportiert, der die Isolation der westlichen Welt aufbrechen soll. Doch letztlich wird die Frauenunterdrückung durch die „feministische Außenpolitik“ nicht bekämpft oder überwunden, sondern mit dem Anspruch verwaltet, im Namen der Frauenbefreiung die ewig gleiche Politik zu machen. Die Frauenbefreiung kann kein Werk des Kapitalismus sein, denn er als auch das Patriarchat sind die Wurzeln der Unterdrückung. Solange man daran nichts ändern, ja nicht einmal rütteln wird, verkommt jeder feministische Anspruch einer Außenpolitik zur blanken Farce. Die Veröffentlichung der Leitlinien kommt zum passenden Augenblick, nur wenige Tage vor dem Internationalen Kampftag der Frauen am 8. März. Das Papier des AA verdeutlicht die Notwendigkeit, dass dieser Tag weiterhin seine Existenzberechtigung hat, denn die Leitlinien der „feministischen Außenpolitik“ haben mit dem feministischen Befreiungskampf nichts gemein. Sie bremsen nur und enttarnen den staatstragenden Feminismus der „Ampel“-Koalition als antifeministische Maßnahme, die Frauenunterdrückung nicht zu überwinden, sondern gemäß der eigenen Ideologie zu verwalten, um so die eigenen Interessen weltweit zu verfolgen, auch um den Preis, die Unterdrückung der Frau dadurch zu begünstigen. Die Frauen aus dem Iran können ein trauriges Lied davon singen.

Dieser Artikel erschien zuerst im Freitag.

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