Leiharbeit in der Fleischindustrie verboten – schön und gut, aber Tönnies muss trotzdem enteignet werden!

17.12.2020, Lesezeit 5 Min.
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Gestern beschloss der Bundestag, Arbeitsschutzmaßnahmen in der Fleischindustrie durchzusetzen, unter anderem ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit. Das ist trotz der Schlupflöcher ein Fortschritt. Es gilt aber weiterhin: Tönnies muss enteignet werden.

Zahllose Skandale über die Fleischindustrie begleiteten uns in diesem Jahr: 16-Stunden-Schichten, zusammengepferchte Arbeiter:innen in Sammelunterkünften, vom Management verursachte Corona-Infektionsherde. Die meist osteuropäischen Arbeiter:innen arbeiten unter schrecklichen Bedingungen, um ihre mickrigen Löhne nach Hause schicken zu können.

Hier sticht besonders Clemens Tönnies hervor. Der Milliardär, der bereits mit vielen rassistischen Kommentaren auffiel, hatte zwei Corona-Herde in seinen Fabriken zu verantworten, wo seine migrantischen Niedriglohnarbeiter:innen eingesperrt waren.

Selbst viele bürgerliche Medien berichteten über die untragbaren Zustände. Nun weicht die Regierung dem Druck der Öffentlichkeit und setzt, unter Protest der Fleischkapitalist:innen, tatsächlich ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in dieser Branche um. Dagegen stimmten AfD und FDP. Wenn der Bundesrat am morgigen Tag zustimmt, werden ab dem Neujahrstag keine bei Subunternehmen angestellten Arbeiter:innen mehr in Schlachtbetrieben arbeiten. Ein Verbot der Leiharbeit würde dann ab dem 1. April gelten.

Jedoch konnte die Fleischlobby einen Abdruck in der Abstimmung hinterlassen: Auf Druck der Unternehmerverbände wurden weitgehende Ausnahmen in das Gesetz aufgenommen, wie beispielsweise die Möglichkeit, dass “mittelständische” Unternehmen zu Spitzenzeiten weiterhin Leiharbeiter:innen anstellen dürfen – allerdings nur durch tarifvertragliche Regelungen. Erst 2024 soll diese Sonderregelung auslaufen.

Stehen wir vor einer “Neuordnung der Branche”?

Ein großes Lob an den Beschluss kam von Seiten des Vorstands der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Der Vorsitzende Guido Zeitler beschrieb es als einen “historischen Meilenstein”, der die Möglichkeit eröffnen würde, die “Branche neu zu ordnen”.

Jedoch bleiben mehrere Fragen offen: Jetzt, wo die Subunternehmen verboten werden sollen, was geschieht mit denen, die dort arbeiten? Die NGG lobt den parlamentarischen Beschluss, setzte jedoch noch keine ersichtlichen Anstrengungen hin, die migrantisch Arbeiter:innen zu organisieren und für eine Eingliederung mit Tarifvertrag zu kämpfen. Es deutet also darauf hin, dass die Arbeiter:innen in Zukunft keine Möglichkeit finden werden, in Deutschland legal einem Job nachzugehen.

Eine tatsächliche Neuordnung der Branche im Interesse der Beschäftigten durchzuführen, würde mit einschließen, das Verbot dieser Subunternehmen mit einer Forderung nach Übernahme aller Werk- und Leiharbeiter:innen mit unbefristeten Festverträgen zu verbinden. Nur so kann verhindert werden, dass Beschäftigte von der extremen Ausbeutung in die Arbeitslosigkeit fallen oder durch andere Tricks über den Tisch gezogen werden. Berichten zufolge drängen Subunternehmen Beschäftigte beispielsweise dazu, Aufhebungsverträge oder Eigenkündigungen zu unterschreiben, nur um dann neue, teils befristete, Arbeitsverträge in dem gleichen Betrieb zu bekommen. So wird auch der Kündigungsschutz unterlaufen. Gerade die migrantischen Arbeiter:innen in den Schlachthöfen, die jahrelang ihre Knochen hingehalten haben, müssen wie alle anderen Arbeiter:innen rechtlich gleichgestellt werden mit allen, die hier leben.

Nicht nur gegen diese Schlupflöcher gilt es zu kämpfen. Die Leiharbeit und ähnliche prekäre Beschäftigungsformen müssen auch in allen anderen Wirtschaftszweigen abgeschafft werden. Dass das ohne weiteres möglich wäre, zeigt das Beispiel der Fleischindustrie überdeutlich. Statt dieses Zugeständnis nur zu loben, ist es die Aufgabe der NGG und der weiteren DGB-Gewerkschaften, dafür einen entschiedenen Kampf zu führen.

Trotz allem “Business as usual”

Die gestrige Bundestagsdebatte zeigt exemplarisch, wie die deutsche Politik abläuft: Wir befinden uns in einer wirtschaftlichen und gesundheitlichen Krise, wobei letztere gestern alleine fast 700 Opfer forderte. Gleichzeitig bereichern sich Kapitalist:innen wie der Fleischbaron Tönnies trotz der Pandemie durch die Ausbeutung von (migrantischer) Arbeitskraft, in diesem Falle in bestialischer Form. Arbeitsminister Hubertus Heil rühmt sich derweil, gegen die “organisierte Verantwortungslosigkeit” vorgegangen zu sein.

Die Regierung stellt hierbei Riesensummen an Geld zur Verfügung, von denen das meiste in die Unternehmenstaschen fließt, und ein Bruchteil der Bevölkerung zugute kommt. Die Armut ist 2020 so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Dass hier ein paar weniger zu schrecklichen Bedingungen schuften müssen, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Trotz dieser Ungleichheit weigert sich Merkel weiterhin, Vermögensabgaben durchzuführen, die diese untragbare Situation lindern könnten. Sie behauptete zwar gleichzeitig, dass auch die Sozialleistungen nicht gekürzt werden würden. Ein Gleichgewicht ist das jedoch keineswegs, sondern vielmehr die Fortsetzung des Ist-Zustands: Die Reichsten werden in der Krise noch reicher, die Arbeiter:innen und Armen verlieren. Denn irgendjemand muss die Krise bezahlen.

Die Antwort, auf die Frage, wer die Kosten der Krise tragen soll, sollte eigentlich leicht zu beantworten soll: Diejenigen, die sich daran bereichert haben! Die Enteignung von Tönnies ist auch deshalb eine dringende Notwendigkeit, weil der Konzern mehrfach unter Beweis gestellt hat, dass er an einer Bekämpfung der Pandemie einfach kein Interesse hat. Unter der Kontrolle der Arbeiter:innen könnte dann endlich richtiger Arbeitsschutz herrschen.

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