LehrerInnen im Leiharbeitsstatus

06.06.2013, Lesezeit 6 Min.
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// An Berliner Schulen arbeiten etwa 600 bis 700 PädagogInnen ohne Staatsexamen mit befristeten Verträgen //

Torsten Müller und Micah Brashear diskutieren über den richtigen Umgang mit ihren SchülerInnen: Müller, der Deutsch und Mathe an einer Sekundarschule im Berliner Bezirk Moabit unterrichtet, setzt nur auf Lob, wenn er mit Jungs zu tun hat, die größer sind als er selbst; Brashear dagegen, der an einer Schule in Wedding für Englisch und Musik zuständig ist, kann auch mit solchen Jungs hart umgehen. Pubertierende Mädchen aus den reicheren Vororten wie Frohnau findet er viel schwieriger.

Die beiden Lehrer, 37 und 26 Jahre alt, klingen nach alten Hasen in ihren Berufen, die über die Jahre vieles schon ausprobiert haben. Was ihre Tätigkeit angeht, sind sie auch ganz normale Pädagogen.

Doch in den Augen des Berliner Senats sind die beiden jungen Männer keine richtigen Lehrer. Sie arbeiten seit mehreren Jahren im Klassenzimmer, doch sie haben kein abgeschlossenes Lehramtsstudium und kein Referendariat hinter sich – beide haben Philosophie studiert –, weshalb sie nur im Rahmen der „Personalkostenbudgetierung“ (PKB) beschäftigt sind. Offiziell sind sie nur Vertretungslehrer. Sie bekommen Verträge, die auf zwei, vier oder sechs Monate befristet sind, keine Bezahlung in den Ferien und auch deutlich weniger Geld als andere PädagogInnen.

„PKB könnte genauso gut für ‚PreKäre Beschäftigung‘ stehen“, heißt es in einem Gespräch während eines Treffens am Montag im Berliner DGB-Haus. Rund ein Dutzend VertretungslehrerInnen sowie mehrere PersonalrätInnen, SchulleiterInnen und GewerkschaftsfunktionärInnen waren der Einladung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gefolgt, um das PKB-System aus der Sicht der Beschäftigten zu diskutieren. Einige hatten sich schon vor zwei Monaten zu einer „PKB-Initiative“ zusammengeschlossen, andere sind zum ersten Mal gekommen, nachdem ihnen ihre PersonalrätInnen die Einladung gegeben hatten.

Seit 2008 werden die Berliner Schulen nur noch mit 100% ihres Personalbedarfs ausgestattet. Im Krankheitsfall – und mehr als 5% der überalterten Berliner LehrerInnenschaft ist dauerkrank – können die Schulen eigenständig VertretungslehrerInnen einstellen. Im letzten Jahr waren 98 Prozent der Berliner Schulen am PKB-System beteiligt. Dafür bekommen sie drei Prozent ihrer Personalkosten zusätzlich, die sie selbst budgetieren können.

Niemand weiß jedoch genau, wie viele PKB-LehrerInnen stadtweit beschäftigt sind, denn der Senat erfasst sie nicht statistisch – die Schätzungen gehen von 600 bis 700 aus. Manche sind junge Menschen mit Lehramtsstudium, die auf einen Referendariatsplatz warten, andere sind sogenannte QuereinsteigerInnen wie Müller und Brashear. Im vergangenen Schuljahr wurden 2.000 Verträge abgeschlossen, wobei eine Person auch ein halbes Dutzend Verträge in einem Jahr unterschreiben kann.

„Alle Rektoren haben mich unterstützt“, so Müller, „aber sie können leider nichts machen.“ Seine Bezahlung findet er grundsätzlich in Ordnung, auch wenn seine KollegInnen bis zu zweimal mehr verdienen. Für ihn wäre die Entfristung seines Arbeitsverhältnisses am wichtigsten, um sich in den Sommerferien nicht wieder arbeitslos melden zu müssen. Er wäre auch bereit, berufsbegleitend ein Referendariat zu machen, aber das wird ihm nicht angeboten – wegen seiner Fächerkombination müsste er noch mal studieren. „Ich habe eine Familie mit Kindern, ich kann nicht fünf Jahre lang wieder studieren.“ Als er zum ersten Mal, ohne jegliche Ausbildung, vor eine Klasse mit 25 Schülern gestellt wurde, war das schon eine große Herausforderung. Doch in den letzten drei Jahren ist er mittels „Learning by Doing“ zum Lehrer geworden.

Antje G., die Musik an Neuköllner Grundschulen unterrichtet, hat nach Jahren im Klassenzimmer vor Kurzem ein zweites Studium aufgenommen, weil sie keine andere Möglichkeit hatte, um einen dauerhaften Arbeitsvertrag zu bekommen. Sie arbeitet noch zwei Tage die Woche an der Schule und geht an den anderen Tagen zur Uni – „zum Glück habe ich einiges aus meinem ersten Studium der Kulturvermittlung angerechnet bekommen“ sagt sie.

„Wenn man sich drei, vier oder fünf Jahre an der gleichen Schule bewährt hat, dann hat man doch einen Anspruch auf eine feste Stelle, oder?“ fragt eine junge Lehrerin beim GEW-Treffen. „Ja, aber nur einen moralischen“, antwortet Susanne Reiß vom Vorstand der Berliner GEW. Zur Zeit gibt es keine Möglichkeit, eine feste Stelle einzuklagen, denn offiziell sind PKB-LehrerInnen nur zur Vertretung erkrankter KollegInnen da, auch wenn manche seit fünf Jahren an der gleichen Schule arbeiten. Es existiert auch keine bundesweite Entgeltordnung für Lehrkräfte, die die Einstellung von Menschen ohne den notwendigen akademischen Abschluss aber mit ausreichender Arbeitserfahrung ermöglicht, wie sonst im öffentlichen Dienst üblich ist.

Die Berliner GEW organisierte eine Reihe von Warnstreiks im letzten halben Jahr, um diese tarifliche Regelung der Eingruppierung einzufordern – bisher ohne Erfolg. „Aber wenn wir zusammen mit den angestellten Lehrern die Entgeltordnung durchsetzen, dann hat sich die Sache für uns auch erledigt“, so Brashear.

Noch ist das schwierig. Eine PKB-Lehrerin nahm an der Warnstreikwoche im Mai nicht teil: „Erstens war ich mir nicht sicher, ob ich daran teilnehmen durften, und zweitens war ich mir nicht sicher, ob der Streik etwas mit mir zu tun hat.“ Bei den Streiks stand die Gleichbehandlung der angestellten LehrerInnen mit ihren verbeamteten KollegInnen im Vordergrund – und manche angestellte LehrerInnen zeigen sich noch wenig solidarisch, weil sie Angst haben, dass ihr Beruf abgewertet werden könnte, wenn Menschen ohne zweites Staatsexamen im Schuldienst fest eingestellt werden.

Eine tarifpolitische Konferenz der Berliner GEW soll nach den Sommerferien beschließen, welche Arbeitskampfmaßnahmen mit welchen Forderungen kommen. Bis dahin wird eine PKB-Lehrerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollte, an einer privaten Sprachschule in Kalifornien arbeiten, um auch im Sommer Geld zu verdienen.

Jetzt wollen die PKBlerInnen ihre Situation in der Öffentlichkeit und besonders in der Gewerkschaft bekannter machen. In den nächsten fünf Jahren muss der Berliner Senat 8.000 neue LehrerInnen einstellen, um Pensionierte zu ersetzen. Aber ob feste Stellen oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden, muss noch durch Kampf entschieden werden.

dieser Artikel in der jungen Welt

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