Landesweiter Streik legt Argentinien lahm

26.09.2018, Lesezeit 6 Min.
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Der vierte landesweite Streik gegen die Regierung von Mauricio Macri legte gestern ganz Argentinien lahm. Obwohl die Gewerkschaftszentrale CGT nur zu einem 24-stündigen Streik ohne Demonstrationen aufgerufen hatte, führten linke und klassenkämpferische Sektoren Straßenblockaden durch.

Weder Busse noch U-Bahnen fuhren, Schulen und Behörden waren geschlossen, auch in der Privatwirtschaft war die Teilnahme enorm. Und zwar nicht nur in der Hauptstadt Buenos Aires, sondern auch in den wichtigsten Provinzen und großen Städten. Der Streik zeigt die Unzufriedenheit der arbeitenden Bevölkerung, die unter den steigenden Lebenskosten, zunehmender Arbeitslosigkeit und der sich immer verschärfenden Wirtschaftskrise leidet.

Selbst internationale Medien zeigten die Auswirkungen des Streiks. So waren auch in der Tagesschau beeindruckende Bilder von leeren Straßen, kämpferischen Streikposten und radikalen Forderungen zu sehen:

Der Streik ereignet sich in einer höchst explosiven Situation. Die Regierung verabschiedete vor Kurzem ein zweites Abkommen mit dem Internationalen Währungsfond (IWF). Seitdem schloss der Staat zehn Ministerien, die Inflation wird Ende dieses Jahres bei über 45 Prozent liegen, die innere Militarisierung schreitet voran und die Armut nimmt zu. Der Präsident der argentinischen Zentralbank, Luis Caputo, der die Währungspolitik des IWF mit gutem Gewissen durchführte, trat gestern zurück.

Die letzten Monate waren von massiven Protesten geprägt. Trotz immer härterer Angriffe seitens der Regierung und der Rechten, die nun sogar den linken Abgeordneten Nicolas Del Caño und Myriam Bregman Morddrohungen senden, nimmt der Widerstand nicht ab. Millionen protestierten für das Recht auf legale und kostenlose Abtreibung. Hunderttausende demonstrierten gegen die geplanten Kürzungen im Bildungssektor. Mehrere vereinzelte Streiks fanden statt, von den Werftarbeiter*innen der Rio-Santiago-Werft,bis zu Universitätsdozent*innen und Lehrer*innen.

Die Gewerkschaftsführungen und die bürgerliche Opposition bremsen den Kampf

Jedoch glänzten all diese Kämpfe, die die Bevölkerung gegen die Kürzungspläne der Regierung und des IWF führt, mit der Abwesenheit und Passivität der größten Gewerkschaftszentrale, der CGT.

Wie es üblich ist, rief sie schon vor Wochen zwar zu einem Generalstreik auf, um die Arbeiter*innen zu besänftigen – jedoch völlig ohne Mobilisierungen. Der Aufruf erfolgte, als eine starke Abwertung des argentinischen Pesos die Lebenskosten der arbeitenden Bevölkerung direkt angriff. Die kleineren Gewerkschaftszentralen, wie die CTA und CTA Autónoma, hatten zu 36-stündigen Streiks aufgerufen, die schon Montagmittag begannen.

Den „Anführer*innen“ der verschiedenen Gewerkschaftszentralen ist gemein, dass sie der Unzufriedenheit und Wut ihrer Mitglieder nachgeben mussten, und de facto das ganze Land lahmlegten. Interne Streitigkeiten finden trotzdem statt; so scheint es, als würde die CGT sich spalten. Die wichtigen Gewerkschaften der LKW-Fahrer*innen, der Banken und der Automobilindustrie riefen letzte Woche eine „Gewerkschaftsfront für das nationale Modell“ aus, um mit einem kämpferischen Anschein den für die Rückkehr der Ex-Präsidentin Cristina Fernández zu ebnen. Das „Kampfmittel“ ist das Gebet. Für den 20. Oktober ist eine Pilgerfahrt geplant. Der Anführer der Automobilgewerkschaft SMATA, Ricardo Pignanelli, erklärt: „Die strukturellen Schäden lassen sich reparieren, aber sie wollen unseren Geist brechen (…). Wir werden an Maria (…) wegen Hunger und Arbeit beten“.

Die verschiedenen Führungen der Gewerkschaften verbindet jedoch ein Ziel: ein für sie günstiger Regierungswechsel im kommenden Wahljahr 2019. So war auch die Gewerkschaftskundgebung auf der Plaza de Mayo mehr eine Wahlkampfkundgebung als eine Streikkundgebung.

Um die Politik der bürgerlichen Opposition zu erklären, ist es nötig, sich einen Einblick in die Situation des Landes zu verschaffen. Die Zustimmungsrate der Regierung sinkt konstant, die Arbeitslosigkeit steigt auf fast 10 Prozent. Die Regierung versucht den Ausverkauf des Landes, an die internationalen Investoren, umzusetzen und führt das starke Kürzungsprogramm, unter Vorgabe des IWF, größtenteils durch. Unterstützt wird sie hier durch die peronistische „Opposition“, die in den Parlamenten und Lokalregierungen keinen Widerstand leistet und vielen Kürzungspläne sogar selbst zustimmt.

Der Plan des Großteils der Opposition, der Verbindungen zu den Gewerkschaftsspitzen hat, ist, die Regierung zu schwächen. Jedoch ist das Ziel keineswegs, die Kürzungen des IWF zurückzuschlagen. Vielmehr wollen sie einem krisenerschütterten und ausgeraubten Land bei den Wahlen 2019 die Perspektive einer Wiederkehr einer angeblich „arbeiter*innenfreundlichen“ Regierung zu geben. Dies erklärt, warum die Gewerkschaftsbewegung, mit Ausnahme der Linken und einiger Einzelfälle, so passiv in der Krise interveniert. Große Töne erklingen immer in den Reden von CGT und Co., aber Streiks gegen Entlassungen und Großdemonstrationen gegen die Kürzungen sind Fehlanzeige.

Eine unabhängige Perspektive

Um eine unabhängige Perspektive aufzuzeigen, und dem Generalstreik mehr Schlagkraft zu geben, mobilisierten sich tausende Arbeiter*innen, zusammen mit Studierenden und linken Parteien, unabhängig von den reformistischen Führungen, und führten im ganzen Land Straßenblockaden durch. „Der Weg, um die Kürzungspläne des IWF und der Regierung von Macri zu stoppen, ist die Einheit auf den Straßen“, rief José Montes, Werftarbeiter und Anführer der Partei Sozialistischer Arbeiter*innen (PTS), auf einer Autobahnblockade, im Süden der Hauptstadt.

Für die Anführer*innen der CGT soll der Streik „die Regierung dazu bringen, den Arbeiter*innen und der Gesellschaft zuzuhören, und die Wirtschaftspolitik zu korrigieren.“

Juan Contrisciani, Betriebsrat in der Rio-Santiago-Werft, meint im Gegensatz dazu: „Was wir brauchen, ist ein Kampfplan, und nicht ein neuer Burgfrieden, wie es die CGT immer macht. Wir müssen den Generalstreik vorbereiten, bis wir Macri und die Kürzungspläne des IWF besiegen.“

Während die Gewerkschaftsführungen keinen neuen Streiktag ankündigten, bereitet sich die Regierung auf härtere Angriffe vor. Dagegen fordern die Basisgewerkschaften und die Linke einen Kampfplan, um den vom IWF diktierten Haushaltsplan zurückzuschlagen. Mittels Versammlungen an allen Arbeitsplätzen soll der Generalstreik mit Mobilisierungen gegen die Pläne der Regierung durchgesetzt werden. Bis die Regierung abtritt und eine Freie und Souveräne Verfassungsgebende Versammlung durchgesetzt wird, um alle Probleme des Landes zu diskutieren und zu entscheiden.

Um zu debattieren, wie es weitergeht, ruft die Partei Sozialistischer Arbeiter*innen (PTS) für den 6. Oktober zu Antikapitalistischen „Encuentros“ im gesamten Land auf, unter dem Motto: „Der Angriff findet heute statt, und der Kampf dagegen auch.“

 

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