Kiewer Lügenbarone in Berlin

16.03.2016, Lesezeit 4 Min.
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"MarxIsMuss"-Kongress kündigt Referenten an, die jahrelang linke Gruppen betrogen haben

Der Kiewer Aktivist Zakhar Popovich besuchte im Jahr 2001 die Stadt Hamburg auf Einladung von Ursula Jensen, Mitglied der „Internationalen Bolschewistischen Tendenz“ aus der Hansestadt. Popovich vertrat die „Jungen Revolutionären Marxisten“ aus der Ukraine, die mit der IBT fusionieren wollten. Die Diskussionen liefen gut – man teilte sogar die Kritik an der Gruppe „Arbeitermacht“, eine konkurrierende trotzkistische Gruppe aus der Ukraine. Popovich erzählte außerdem, sein Kind sei krank – nur mit Bestechungsgeldern sei eine Behandlung zu bekommen. „Natürlich halfen wir“, sagt Jensen.

Wenig später reiste ein Vertreter der Gruppe „Arbeitermacht“ ebenfalls nach Westeuropa – er nutzte einen anderen Namen, aber auf Fotos ist Popovich eindeutig zu erkennen. Mitte 2003 flog der Betrug auf. Das Ausmaß war erstaunlich.

Um die Jahrtausendwende waren in der Ukraine Gruppen wie das „Ukrainische Arbeiterkommittee“ oder die „Radikalen Kommunisten“ wie Pilze aus dem Boden geschossen – insgesamt mehr als ein Dutzend. Jede wandte sich an eine linke Strömung im Ausland, die sich als trotzkistisch, linkskommunistisch oder marxistisch-humanistisch verstand. „Wir sind Gleichgesinnte – wir brauchen Unterstützung für unsere Arbeit in der Ukraine!“ Gemeint waren vor allem Spenden.

Dahinter steckten dieselben sieben Männer. Sie fuhren als Delegierte zu internationalen Konferenzen, erstellten einzelne Ausgaben nicht existenter Zeitungen und empfingen Unterstützer*innen in Kiew. Man findet teilweise noch Polemiken im Internet darüber, wie die eine Gruppe mit einer zweiten eine gemeinsame Kampagne durchführt, aber eine dritte für ihre Nicht-Teilnahme kritisiert.

Bis heute wissen die Betrogenen nicht, ob sie es mit Kleinkriminellen, staatlichen Agenten oder zynischen „Linken“ zu tun hatten. Aufgeflogen sind sie, als Gruppen in London Fotos von Treffen mit ihren „Genossen“ austauschten.

Offenbar waren die Männer ursprünglich beim „Committee for a Workers’ International“ (CWI) aktiv – zu dieser trotzkistischen Strömung gehört die „Sozialistische Alternative“ (SAV) in Deutschland. Das CWI schloss sofort sieben Mitglieder aus: Oleg Vernik, Boris Pastukh, Alexander Zvorskii, Yuri Baranov, Yaroslav Ganzenko, Alexei Aryabinskii, und Zakhar Popovich. Auch ihr Moskauer Komplize Ilya Budraitskis hatte sich als Vertreter verschiedener Gruppen ausgegeben, wurde aber nur für ein halbes Jahr suspendiert und spaltete sich wenig später vom CWI ab.

So weit so gut. Haben wir es nur mit einem besonders absurden Kapitel in der Geschichte von Hochstapler*innen und Abenteurer*innen in der revolutionären Bewegung zu tun? Wer den Namen „Zakhar Popovich“ bei Google eingibt, findet weit oben eine ausführliche Dokumentation des Betrugs. Doch weiter unten ist zu sehen, dass er heute Artikel über die Ukraine in internationalen linken Publikationen veröffentlicht.

MarxIsMuss

Der „MarxIsMuss“-Kongress, der Anfang Mai in Berlin stattfindet, ist eine der größten linken Diskussionsveranstaltungen des Jahres. Popovich und Budraitskis sind als Referenten angekündigt – ersterer als Sprecher der „Linken Opposition“ der Ukraine, letzterer als Vertreter der „Sozialistischen Bewegung Russlands“. Ob diese Gruppen wirklich existieren, sollte erstmal bewiesen werden.

Für diesen Artikel wurden drei linke Gruppen kontaktiert, die Anfang des Jahrtausends betrogen wurden. Keine hat je eine Erklärung bekommen – ihre Spenden für nichtexistente Gruppen wurden nie zurückgezahlt. „Wir sind eine proletarische Gruppe ohne wohlhabende Mitglieder“, sagt Walter Daum aus New York, der mit seinen Genoss*innen eine vermeintliche Schwesterorganisation in der Ukraine unterstützt hatte. Er spüre „einen gewissen Klassenhass gegen diese Betrüger, die jetzt ihre akademischen Karrieren aufbauen.“.

Bemerkenswert ist, dass Popovich und Budraitskis zudem Geschichten aus Kiew erzählen, die auch unabhängig von ihren „Jugendsünden“ unglaubwürdig sind. Budraitskis behauptete in einem viel gelesenen Interview auf der Website „Marx21“, dass die Maidan-Bewegung „im Kern nichts mit Faschismus zu tun hat“ – obwohl fast alle anderen Beobachter*innen von einer absoluten Hegemonie des rechtsradikalen „Rechten Sektors“ sprachen. Popovich behauptete auf einer Veranstaltung am 26. Mai 2014 in Berlin-Kreuzberg, auf dem Maidan würden rote Fahnen geschwenkt und sozialistische Forderungen erhoben. Die neue Oligarchenregierung sei „legitim und aus der Revolution hervorgegangen“.

Auf Anfragen haben die Betrüger nicht reagiert. Stört es das Netzwerk „Marx21“, das den „MarxIsMuss“-Kongress veranstaltet, dass sie ihre Analyse der Ukraine auf nachweisliche Betrüger stützen? Auch sie ließen mehrere Anfragen unbeantwortet.

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