Kampf der Islamfeindlichkeit in Frankreich und darüber hinaus!

21.11.2019, Lesezeit 10 Min.
Übersetzung:
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Du Pain et des Roses, die französische Schwesterorgansation von Brot und Rosen, veröffentlichte diese Erklärung, um die aktuelle Welle von antimuslimischem Rassismus in Frankreich zu verurteilen. In ihr schlagen sie einen revolutionären, antirassistischen, internationalistischen Feminismus vor, der gegen alle Formen von Gewalt kämpft und sich gegen einen bürgerlichen und rassistischen Feminismus wendet.

Titelbild: basierend auf einem Foto nach einem islamfeindlichen Vorfall in Frankreich

Hinweis der Redaktion: Für Leser*innen, die mit den in dieser Erklärung beschriebenen Ereignissen nicht vertraut sind, bieten wir die folgende kurze Zusammenfassung. Anfang Oktober wurden vier französische Polizist*innen von einem Kollegen ermordet, den die Regierung als Bekehrten zum radikalen Islam dargestellt hat. Daraufhin forderten der französische Präsident Emmanuel Macron und der Innenminister Christophe Castaner (in getrennten Reden) die Öffentlichkeit auf, auf Anzeichen einer möglichen Radikalisierung unter den Muslim*innen in ihren eigenen Gemeinschaften zu achten und jeden, den sie verdächtigen, bei den Behörden anzuzeigen. Castaners Liste der Warnzeichen, die Gegenstand erheblicher Verhöhnung war, beinhaltet das Tragen eines Bartes oder eines vollen Schleiers und das Einhalten des Ramadans „auf prahlerische Weise“.

Im Vormonat hatte Bildungsminister Jean-Michel Blanquer die FCPE, Frankreichs größte Elternorganisation, verurteilt, weil sie ein Poster herausgegeben hatte, auf dem eine Frau mit Kopftuch mit den Worten abgebildet war: „Ja, ich gehe auf Schulausflüge, na und? Säkularismus bedeutet, alle Eltern ohne Ausnahme willkommen zu heißen.“

Blanquer räumte ein, dass es kein Gesetz gibt, das Frauen mit Kopftuch verbietet, Kinder auf Schulausflüge zu begleiten. Tatsächlich sprach er sich Anfang des Jahres gegen ein solches Gesetz aus, als es vom Senat verabschiedet wurde – nicht aufgrund (das ist jetzt deutlich) fehlender Sympathie für die Befürworter*innen des Gesetzes, sondern weil (so sagt er) ein solcher Schritt „viele Probleme bei der Durchführung von Schulausflügen schaffen wird“. In seiner Antwort auf das FCPE-Poster argumentierte er, dass es „so weit wie möglich“ vermieden werden sollte, Frauen mit Kopftuch auf Klassenfahrten zu bringen, und fügte hinzu, dass die FCPE mit der Veröffentlichung des Posters einen „bedauerlichen“ Fehler gemacht habe.

Mit anderen Worten, die Regierung spricht sich zwar gegen ein formelles Verbot von Frauen in muslimischer Kleidung bei Schulreisen aus, bekundet jedoch gleichzeitig ihre Sympathie mit denen, die ein solches Verbot durchsetzen wollen. Dadurch wird die Verfolgung und Marginalisierung muslimischer Frauen gefördert und gleichzeitig eine „legale“ Absicherung für diejenigen – einschließlich des Bildungsministers – geschaffen, die es für nützlich halten, Zugang zu einem hervorragend ausbeutbaren Pool von marginalisierten und verfolgten Menschen zu haben, die für wenig oder gar keinen Lohn arbeiten müssen.

Es dauerte nicht lange, bis Blanquers Worte Wirkung zeigten. Am 11. Oktober hat ein Mitglied der rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN) (ehemals Front National) auf einer öffentlichen Plenarsitzung des Regionalrats von Burgund-Franche-Comté in Dijon eine muslimische Frau, die ihren Sohn auf eine Schulreise begleitet hatte, um den demokratischen Prozess zu verfolgen, verbal angegriffen. RN-Mitglied Julien Odoul, zweifellos ermutigt durch die jüngsten Äußerungen von Blanquer und anderen, forderte, dass die Frau (in der Presse bekannt als Fatima E.) aufgefordert wird, entweder ihren Hijab zu entfernen oder den Plenarsaal zu verlassen. Der Ratsvorsitzende lehnte diese Forderung ab, woraufhin Odoul und die anderen anwesenden Mitglieder des RN herausstürmten.

Als Reaktion auf all dies sind in ganz Frankreich Demonstrationen zur Verteidigung der Rechte von Muslim*innen ausgebrochen, an denen Student*innen und Angehörige der Öffentlichkeit beteiligt waren. Am 10. November gingen sogar 20.000 Menschen in Paris gegen antimuslimischen Rassimus auf die Straße. Es ist wichtig, dass wir auf die Straße gehen, um die Unterdrückten und Verfolgten zu verteidigen. Doch wie unsere Kamerad*innen von Du Pain et des Roses unten argumentieren, gibt es noch mehr zu tun.

Die letzten Tage in Frankreich waren geprägt von der Islamfeindlichkeit der Regierung und der extremen Rechten. Macron und Castaner unterstützten die Hetze gegen Muslim*innen unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung; Blanquer versuchte Frauen, die den Schleier trugen, von der Begleitung von Kindern auf Schulreisen auszuschließen, und ein gewählter Abgeordneter von RN (Rassemblement National, Marien Le Pens rechtsextreme Partei) griff eine muslimische Frau sexistisch und islamophob an.

Wenn wir von einer islamophoben Offensive sprechen, dann um die Realität zu unterstreichen, dass Islamophobie und Rassismus schon immer das Herzstück des Staates und der Französischen Republik waren. Der Angriff des RN-Mitglieds auf eine Frau, die ein Kopftuch trug, während sie Kinder auf einer Schulreise begleitete, steht im Einklang mit der Regierungspolitik und der rassistischen, islamophoben und sexistischen Ideologie, die seit Jahren von verschiedenen politischen Kräften hoch gekocht und von den Medien verbreitet wird. Es ist eine Ideologie, die im Namen des Säkularismus und der Prinzipien der Republik darauf abzielt, die muslimische Bevölkerung zu stigmatisieren, zu verletzen, auszuschließen und zu verfolgen.

Wie Françoise Vergès, Autorin von A Decolonial Feminism, in einem Facebook-Post erinnerte, war die „Enthüllung“ muslimischer Frauen ursprünglich eine Taktik des französischen Militärs gegen die Bevölkerung der von Frankreich kolonisierten Gebiete. Die Kolonisator*innen behaupteten, sie würden sich für die Verteidigung der Frauenrechte und der „zivilisatorischen“ Werte der französischen säkularen Gesellschaft einsetzen. Und heute, während die ehemaligen Kolonien weiterhin unterdrückt und ausgebeutet werden, bietet der französische Staat die gleiche falsche Rechtfertigung für die Verfolgung von Muslim*innen auf seinem eigenen Boden.

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"Bist du denn nicht hübsch? Enthülle dich!" – Französisches Propagandaposter, Algerien, später 1950er.

Nach den Erklärungen von Castaner und Blanquer haben Islamfeindlichkeit und Rassismus zugenommen. Nicht nur das Kopftuch, sondern eine ganze Reihe von physischen Merkmale sowie eine Vielzahl von kulturellen und religiösen Praktiken werden heute als Indikatoren für eine „islamische Radikalisierung“ angesehen und mit Sanktionen belegt. Wir erleben derzeit den Höhepunkt jahrelanger Anstrengungen – vorgeblich im Namen der Prinzipien des Säkularismus und der Neutralität –, kulturelle Praktiken wie das Tragen eines Kopftuches als Vorwand für die Kontrolle, Verfolgung und Verurteilung aller Muslim*innen zu nutzen.

Diese sehr reale Aufstachelung zum Hass auf Muslim*innen kann nur schreckliche Folgen für das tägliche Leben eines ganzen Sektors der Bevölkerung haben. Muslimische Frauen sind seit Jahren Opfer von Ausgrenzung, Demütigung, Aggression und Entlassung und sind es heute mehr denn je durch die Gesetze zur Verbannung des Kopftuches aus der Schule und das Verbot von Niqab und Burka im öffentlichen Raum. Dies wird noch verschärft durch die anhaltende Propaganda, die behauptet, dass muslimische Frauen unterwürfig seien und unter dem Joch ihrer Väter und Ehemänner lebten. Die Propaganda porträtiert sie zudem als arbeits- sowie integrationsunwillig und als potenzielle Terrorist*innen.

Die Folge ist, dass Muslim*innen in ihrem persönlichen Leben, in ihrem Studium, in ihren Bewerbungen und bei der Arbeit diskriminiert werden, wo muslimischen Frauen mit der Kündigung gedroht wird, wenn sie das Kopftuch tragen und sich weigern, es zu entfernen. In diesen Fällen der Entlassung sind die Gerichte der Ansicht, dass „die Einschränkung der Religionsfreiheit durch die Art der Arbeit gerechtfertigt sein muss, für die die Person verantwortlich ist“. Unter dem Vorwand der Professionalität erlässt der Staat ein „Neutralitätsprinzip“, das es ermöglicht, Mitarbeiter*innen aus öffentlichen Unternehmen zu entlassen. Inzwischen haben die Gerichte empfohlen, dass auch private Unternehmen diesen Neutralitätsgrundsatz in ihre Arbeitsregeln aufnehmen, um Entlassungen besser zu rechtfertigen. Dies sind rassistische, auf juristischen Argumenten beruhende Ausschlüsse muslimischer Frauen aus einer Reihe von Berufen; diese Ausschlüsse drängen muslimische Frauen bewusst in Positionen, in denen sie „unsichtbar“ sein werden. Unter anderem führt dies direkt zur Arbeitslosigkeit.

Das ist natürlich zutiefst heuchlerisch. Das Tragen eines Kopftuches scheint staatliche oder private Arbeitgeber*innen nie zu stören, wenn sie auf der Suche nach schlecht bezahlten Arbeitskräften in Bereichen wie Reinigung, Körperpflege oder auch in der Bildung sind. Auch das nationale Bildungssystem von Blanquer zögerte bis vor kurzem nicht, unbezahlte Arbeitskraft in Form freiwilliger Unterstützung auf Klassenfahrten von Frauen, die einen Schleier tragen, anzunehmen.

Die folgende Aussage einer muslimischen Mutter, die nach dem Angriff des rechten Abgeordneten auf Fatima E. interviewt wurde, veranschaulicht dies perfekt: „Diese Ausflüge sind etwas, was wir mit unseren Kindern machen können, wo wir schon mit einem Kopftuch nicht arbeiten dürfen… Ich bin Computertechnikerin und niemand wollte mich mit meinem Kopftuch einstellen. Auf der einen Seite sagen sie, dass wir uns nicht beteiligen, und wenn wir uns engagieren wollen, verhindern sie dies, weil wir verschleiert sind….“ Die Regierung kümmert sich nicht um die Unterdrückung muslimischer Frauen. Sie trägt aktiv zu ihrer Marginalisierung, ihrer Prekarität, ihrer Isolation und zur Gewalt gegen sie bei.

„Das Problem der Schulen sind nicht verschleierte Frauen, es sind die Immatrikulationen“, sagte eine muslimische Frau im Radionetzwerk France Inter.

Während eine große Mehrheit der Bevölkerung Veränderungen fordert, hat sich die Regierung dafür entschieden, die Karte des Rassismus und der Islamophobie zu spielen und die Angst zu schüren, indem sie das Gespenst der islamischen Radikalisierung aufwirft. Während Lehrer*innen Rechenschaft für den Suizid von Christine Renon verlangen – eine Grundschuldirektorin, die Selbstmord beging und einen Brief hinterließ, der ihre Arbeitsbedingungen schilderte –, polarisiert Minister Blanquer durch den Angriff auf Frauen mit Kopftuch, die Schulausflüge begleiten, sowie durch die Aufhetzung, Kinder, die Anzeichen von Radikalisierung zeigten, zu „melden“.

Als Feminist*innen, Marxist*innen und Revolutionär*innen verurteilen wir die Heuchelei der Regierungen und aller Minister*innen, einschließlich Marlène Schiappa (Ministerin für Frauenrechte). Wir verurteilen auch die Heuchelei linksgerichteter politischer Organisationen und Kollektive, die zwar behaupten, jegliche Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, dabei aber gleichzeitig den staatlichen Rassismus unterstützen. Tatsächlich trägt dies zur Spaltung und Schwächung der Frauen bei, die auf unserer Seite stehen.

Islamfeindlichkeit und Rassismus sind Gewaltakte gegen muslimische Frauen. Staatlicher Rassismus verfolgt Muslim*innen in Frankreich und dient dazu, tödliche militärische Interventionen gegen Hunderttausende von Frauen auf der ganzen Welt zu rechtfertigen. Deshalb ist der Kampf für die Emanzipation der Frauen ein politischer Kampf gegen jene Kapitalist*innen, Sexist*innen, Rassist*innen und Imperialist*innen, die die heutige Gesellschaft regieren und bestimmen. Das sind die Menschen, die für die Ausbeutung und Unterdrückung der Mehrheit der Frauen und Menschen in der Welt verantwortlich sind.

Wir fordern die Abschaffung aller islamfeindlichen und rassistischen Gesetze, die Öffnung der Grenzen und die Bewegungsfreiheit, sowie das Recht der Frauen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen, ihre Kleidung, ihren Glauben, ihr Leben und ihre Sexualität frei zu wählen. Wir fordern völlige Unabhängigkeit vom imperialistischen Staat und seinen Institutionen!

Erstveröffentlichung am 17. Oktober auf Französisch bei Révolution Permanente.

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