Kämpferischer Widerstand von Geflüchteten an der Jahnsporthalle [mit Fotogalerie]

11.07.2016, Lesezeit 6 Min.
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In der Nacht von Freitag auf Samstag begann eine Gruppe von 30 Asylsuchenden vor der Jahnsporthalle in Berlin Neukölln ihren Protest gegen die erniedrigenden Bedingungen des Lagersystems und die Willkür der Berliner Behörden.

Vergangener Samstag, nachts um 1:00 Uhr morgens: Lieder des Kampfes und der Freiheit, lautes Singen und Klatschen erschallten vor den Augen der verdutzten Polizei unter einer aufgespannten Plastikplane. Seit 10 Monaten ist die Jahnsporthalle am Columbiadamm 192 eine Notunterkunft für 150 Asylsuchende, die meisten von ihnen kommen aus Syrien. Vor zwei Wochen kam der Bescheid, dass die Unterkunft geschlossen wird und die Bewohner*innen diese verlassen müssen. Ein Teil von ihnen entschied sich, diesen Beschluss nicht hinzunehmen und für ein menschenwürdiges Leben zu kämpfen.

Nachdem ein kleinerer Teil auf eigene Initiative individuelle Wohnungen und Wohnheime organisierte, wurden ihnen diese vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) zugestanden. Der größte Teil sollte allerdings in andere Notunterkünfte und vor allem in die engstens gedrängte und immer weiter wachsende Massenunterkunft in den Hangars des ehemaligen Tempelhofer Flughafens umziehen.

Widerstand gegen die Pläne

Ebenso wie die anderen hatten 30 der Bewohner*innen das erniedrigende Dasein in ihrer Notunterkunft restlos satt. Auch sie organisierten sich bereits im vorab Plätze in Wohnheimen, wodurch in der Regel der Hartz-IV-Satz und zumindest gewisse persönliche Freiheiten ermöglicht werden. Ohnehin sollte dies für alle Asylsuchenden nach maximal sechs (verlängert von zuvor drei) Monaten in Notunterkünften gelten. Auch gibt es hier keinerlei Perspektive auf eine menschenwürdige Arbeit. Noch müssen sich einige hier als unterster und am meisten entrechteter Teil unserer Klasse verdingen, illegalisiert oder in Ein-Euro-Jobs. Sechs Stunden Arbeit an sieben Tagen der Woche für 500 Euro sind keine Seltenheit. So wie sie müssen deutschlandweit viele Geflüchtete im Niedriglohnsektor arbeiten – alleine 30.000 von ihnen kamen im letzten Jahr dazu.

Doch das LaGeSo hatte die Gesuche des Umzugs in die Wohnheime trotz expliziter Bestätigungen der dortigen Betreiber*innen einfach abgelehnt: die 30 Menschen sollen entweder ins Massenlager im Tempelhof ziehen oder landen auf der Straße, denn eine Wohnung zu finden ist zwar zulässig, aber extrem schwierig. Hier war das Leben schlecht, aber immerhin erfuhren die Asylsuchenden etwas würdigere Bedingungen durch die engagierten Arbeiter*innen. Einige erlebten schon am eigenen Leib, was das Leben im Massenlager Tempelhof bedeutet. Wie sie es selbst auf ihr Transparent ausdrückten: „Schlafen auf der Straße [ist] besser als im Flughafen Tempelhof!“.

Die Vermutung liegt sehr nahe, dass diese Entscheidung mit der guten Beziehung zu tun hat, die das Amt mit der Betreibergesellschaft des Lagers pflegt: die Tamaja Soziale Dienstleistungen GmbH, welche zynisch mit dem Slogan „Weil es um Menschen geht…“ wirbt. Um was es Tamaja in jedem Fall geht sind saftige Profite, denn die Lagerindustrie ist ein Millionengeschäft, gebaut auf mieser Versorgung, Repression und Prekarisierung, sowie auf Überausbeutung der Beschäftigten. Die Gesellschaft ist der größte Betreiber von Unterkünften in Berlin, zu dem auch die Massenunterkunft am Tempelhofer Feld gehört. Mit dem Umzug wollen sie so ihren Gewinn durch höhere Bewohner*innenzahlen weiter steigern. Für den Senat wiederum stellt Tamaja eine besonders billige „Lösung“ der Unterbringung dar. Es ist leicht sich auszumalen, was die Senatsregierung darüber denkt, wenn weitere Asylsuchende dem Beispiel der Bewohner*innen der Jahnsporthalle folgen und sich „erdreisten“, auch nur ihr Recht auf die immer noch sehr bescheidene Unterbringung in Wohnheimen einzufordern: Ein politischer Supergau vor kurz vor den Senatswahlen im September?

Dabei sollte doch in dieser heißen politischen Phase genau das Gegenteil erreicht werden. Die Jahnsporthalle ist bei weitem nicht die einzige Halle, die gerade wieder für einen ‚ordnungsgemäßen Betrieb‘ geräumt wird. ‘Besorgte Bürger*innen‘ sollen aufatmen und die ‚gelungene Integrationspolitik‘ der Regierung bestaunen können. Für tausende Asylsuchende werden schon weitere Plätze im Tempelhofer Massenlager bereit gemacht, als künftig einzige Notunterkunft und nach wie vor abgeschottet von der Öffentlichkeit.

Seit der Nacht zum Samstag haben die von der Polizei wenig beeindruckten und kämpferischen Geflüchteten vor der Halle ausgeharrt. Planen, Feldbetten, Isomatten, Schlafsäcke und jegliche Aufbauten sind verboten und wurden konfisziert. Die erwartete Schlüsselübergabe des Betreibers an den Senat blieb bisher aus. Am Samstag Nachmittag wurde auch der politische Ausdruck untersagt und daher eine Dauermahnwache angemeldet. Repressionen seitens der Polizei, die ständig vor Ort ist, sind möglich, sodass weitere politische Unterstützung vor Ort sehr wichtig ist.

Der Widerstand ist ungebrochen

Nach einer kämpferischen Demo gegen Abschiebeabkommen und die Festung Europa am Samstag Nachmittag stießen solidarischen Aktivist*innen zu dem Protest vor der Halle dazu und sind auch weiterhin bei der Dauermahnwache. Auch die Verbindung zu Aktivist*innen wurde gesucht, die am Abend gegen den anderswo brennenden Konflikt um die Rigaer Straße 94 beteiligt waren. Dort wurde gegen die Repression linker Strukturen und gegen den Ausverkauf des Wohnraums demonstriert. Darin offenbart sich der direkte Zusammenhang dieser Kämpfe.

Am Sonntag blieb es dann die meiste Zeit ruhig, abgesehen von einer Konfrontation zwischen den Aktivist*innen und einem Gespann aus Stadtbezirksrat Bernd Szczepanski (Grüne) und dem Imam der nahegelegenen Dar Assalam Moschee. Die Kämpfer*innen wurden angehalten, doch bitte „zur Vernunft zu kommen“ und sich nicht gegen einen Umzug in das Massenlager am Tempelhof zu sperren. Sie selbst waren es, die unmissverständlich klar machten, dass diese Art der„Unterstützung“ nicht erwünscht ist. Solidarische Aktivist*innen mit Papieren, die der Aufstachlung bezichtigt wurden, erfuhren physische Angriffe und wurden dann selbst angezeigt. Diese dreiste Repression verurteilen wir scharf.

Der Kampfgeist der Geflüchteten ist nach wie vor sehr stark. Am Montag Morgen wurde eine Demonstration zum Neuköllner Rathaus organisiert, vor dem die Asylsuchenden nochmals verstärkt ihren Unmut in Redebeiträgen zum Ausdruck brachten. Sie machten klar, dass sie sich nicht „wie Tiere behandeln lassen“ werden, wie einer von ihnen sagte. Sie fordern unter anderem, nicht im Tempelhof sondern in Wohnheimen untergebracht zu werden und anständige Verpflegung. Die Mahnwache findet weiterhin am Columbiadamm 192 statt. Unterstützung ist willkommen und notwendig, denn dieser Protest stellt eine Möglichkeit dar, der lange Phase der geringen Kampfintensität in der migrantischen Bewegung eine neue Dynamik zu geben.

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