Junge GEW Berlin: Generalangriff abwehren

22.03.2023, Lesezeit 5 Min.
1

Wir stehen vor einem Generalangriff auf die Bildung. Zeit, sich zu versammeln, fand die Berliner GEW-Jugend. Am Montagabend wurde deshalb unter anderem über die Notwendigkeit, den Arbeitskampf der Lehrer:innen zu einen Erzwingungsstreik zuzuspitzen diskutiert.

Fast 35 streikende Lehrer:innen und mit ihnen solidarische Schüler:innen und Aktivist:innen haben sich am Montag Abend versammelt. Die junge GEW (jGEW) Berlin hatte in die Neuköllner Otto-Hahn-Schule eingeladen, um gemeinsam über die Perspektive eines Erzwingungsstreiks zu debattieren.

Der Berliner – noch – rot-rot-grüne Senat ist der Arbeitgeber der Lehrkräfte, lässt sich aber seit neun Monaten nicht auf Verhandlungen mit der Gewerkschaft ein. Vor diesem Hintergrund schlagen einige ihrer Vertreter:innen vor, den Kampf für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz (TV G) alsbald aufzugeben, eröffnete die jGEW. Stattdessen solle die Hauptforderung einer Begrenzung der Schüler:innenanzahl pro Klasse lediglich im Schulgesetz verankert werden – eine schlechte Alternative, findet die Gewerkschaftsjugend. Schließlich ist das Schulgesetz abhängig von politischen Mehrheiten und wird heute schon umgangen.

Deswegen wurde sich schon im Februar bei mehreren Streikversammlungen für einen Erzwingungsstreik ausgesprochen. Jedoch sind im Nachhinein die Mehrheiten an der Basis gekonnt ignoriert worden. So hatte die Tarifkommission (TK) – offensichtlicherweise – sich wieder für nur zwei aufeinanderfolgende Warnstreiktage ausgesprochen.

Das läge darin begründet, dass es sich bei den erwähnten Mehrheiten um emotionale Mehrheiten handle. So verteidigte ein TK-Mitglied die Entscheidung des Gremiums am Montagabend.  Das Hindernis für einen Erzwingungsstreik sei die geringe Streikbeteiligung. Auf die Frage, woran er dies festmache, wenn doch vergangenen Monat mit 4.000 Streikenden so viele Lehrer:innen, Schulsozialarbeiter:innen und -psycholog:innen auf die Straße gingen wie nie zuvor, antwortete er nicht.

Nichtsdestotrotz sei die abnehmende Streikbeteiligung natürlich eine wirkliche Gefahr, argumentierten auch andere Anwesende. Einen wahrscheinlich mehrwöchigen Streik könne man nicht ernst nehmen, werde er nicht durchgehalten. Die Beteiligung am Streik dürfe also nicht einmal stagnieren, geschweige denn sinken.

Wie mobilisieren, damit der Erzwingungsstreik kein Reinfall wird?

„Erzwingungsstreik jetzt!“ heißt der Antrag der jGEW Berlin. Gemeint sei natürlich nie „Erzwingungsstreik morgen“ gewesen. So stünde dort auch geschrieben: „Die TK möge deshalb alle nötigen Schritte für eine Abstimmung über einen Erzwingungsstreik einleiten“.

Der Gewerkschaftsjugend und ihren Anhänger:innen zufolge gehören dazu auch Aufrufe zu mehrtägigen Warnstreiks, um diese zur Aktivierung der Kolleg:innen nutzen zu können. Dafür müssten in den Kollegien und den Bezirken Strukturen geschaffen werden, die dies ermöglichen. Gesamtkonferenzen können genutzt und mehr Streikversammlungen einberufen werden, um mehr Raum für Austausch zu haben. Vielleicht bräuchte es sogar eine Versammlung aller Streikenden oder in Streikcafés gewählter Delegierter, damit die Debatten an der Basis geführt werden können.

Auch müsse der Streik ausgeweitet werden. Dafür könne er im Unterricht – zum Beispiel im Klassenrat – thematisiert werden, um perspektivisch mit Schüler:innen zusammen zu streiken. Für die Zukunft von ihnen, uns und in letzter Instanz der gesamten Gesellschaft.

Für die Effektivität des Lehrkräftestreiks müssten aber auch Erzieher:innen und Sozialpädagog:innen mit aufgerufen werden. Insbesondere in Grundschulen (aber nicht nur) übernehmen diese sonst die Betreuung der Kinder.

Auch sollten sich die örtlichen Arbeitskampfleitungen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) koordinieren. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst – Berliner Stadtreinigung (BSR), Wasserwerke, Krankenhäuser und viele mehr – befinden sich auch mitten in einer Tarifauseinandersetzung für einen Inflationsausgleich. In der Hauptstadt fallen ihre Streiktage jedoch bisher nicht mit denen der Lehrer:innen zusammen, obwohl sich Streikende beider Arbeitskämpfe dafür aussprechen.

Auch forderte die Versammlung, in Streikversammlungen selbst Einfluss auf die Frage zu nehmen, wie ihr Arbeitskampf geführt wird. Und weiter: „Die TK möge deshalb […] einen Kampagnenplan vorlegen“. Falls dieser nicht existiere, müsse er entwickelt werden.

Schließlich steht ein Generalangriff auf den Bildungssektor vor der Tür. Letzten Monat hatte die Politik vorgeschlagen, zur Bekämpfung des akuten Lehrkräftemangels die Klassengrößen zu erhöhen, Lehrer:innen aus dem Ruhestand zurückzuholen und Teilzeitmöglichkeiten einzuschränken.

Diese dreisten Vorschläge sind in einem bundesweiten und sogar internationalen Kontext zu verorten. Denn auch in anderen Branchen und Ländern finden gerade massive Angriffe auf die Rechte von Beschäftigten statt. In Frankreich versucht die Regierung Macrons mit allen Mitteln das Rentenalter zu erhöhen, in Großbritannien soll das Streikrecht eingeschränkt werden. Hierzulande verlangt Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), dass Beschäftigte im öffentlichen Dienst für die Bundeswehr auf Gehaltserhöhungen verzichten – als sei es nicht schon Armutszeugnis genug, dass 16 Prozent des Bundeshaushaltes ans Militär und nur fünf an den Gesundheitssektor gehen.

Doch ist der Lehrer:innenstreik auch im Lichte des Widerstandes gegen diese Vorhaben zu sehen. In Frankreich und Großbritannien sowie Griechenland sind Massenstreiks zu beobachten. Und in Deutschland haben im Sommer 2022 Hafenarbeiter:innen gestreikt, nachdem sie es jahrzehntelang nicht getan hatten. Die Tarifauseinandersetzungen der Beschäftigten der Metallindustrie und aktuell der Postmitarbeiter:innen haben ebenfalls neue Dynamiken aufgezeigt, in denen tausende Kolleg:innen sich für Erzwingungsstreiks ausgesprochen haben. Die Frage, die sie stellen, ist, auf wessen Rücken die Krise ausgetragen wird: Auf unserem oder auf ihrem.

Mehr zum Thema